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Ein Rentner wandert zweimal um die Erde

Die große Leidenschaft von Henry Lehmann ist das Wandern. Der 72-jährige Rentner nimmt an Wettbewerben und Extremwanderungen teil und führt Wandergruppen quer durch die Region. Dabei hat er schon einiges erlebt.

Von Natalie Stolle
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Auch durch die Meißner Altstadt wandert Henry Lehmann gern mal bei seinen Touren quer durch die Region.
Auch durch die Meißner Altstadt wandert Henry Lehmann gern mal bei seinen Touren quer durch die Region. © Claudia Hübschmann

Landkreis Meißen. Manche Rentner setzen sich nach einem arbeitsreichen und anstrengenden Leben zur Ruhe. Und manche wandern zweimal um die Erde. Henry Lehmann gehört zur zweiten Sorte. Der 72-Jährige war gelernter Landmaschinen- und Traktorenschlosser und in einer Tourismusfirma tätig, mittlerweile ist er Rentner, sein Leben hat jedoch nichts mit Ruhestand zu tun.

Seit 1973 wandert er und ist aktuell im Sächsischen Bergsteigerverbund als Wanderleiter und Dozent tätig. „Man erlebt da einiges, das kann ich Ihnen sagen!“, lacht Lehmann, wenn er an die bewegte Zeit zurückdenkt. Das Wandern ist nicht einfach nur ein Hobby, viermal die Woche geht er ins Fitnessstudio, um sich fit zu halten.

Die Nacht hindurch

Er nimmt an Wettbewerben teil, hat so schon 97.856 Kilometer nur im Wettbewerbsmodus gesammelt und somit zweimal die Erde umrundet. Im nationalen und internationalen Vergleich ist er damit nicht an vorderster Front der Liste, stellt Lehmann klar, aber in der Altersgruppe 50 bis 60 bei den Männern war er mal auf dem vierten Platz.

Auch vor weiten und anstrengenden Herausforderungen schreckt er keinesfalls zurück. Beim Extremwandern liegt das Ziel bei 100 km, die durch die Nacht nonstop gewandert werden. „In der Nacht, da erlebst du Sachen!“, erzählt Lehmann. „Da gibt's Stellen in der Landschaft, da findest du auch mal Liebespaare im Auto, die nicht gedacht hätten, dass um die Zeit jemand vorbeikommt.“

Er erinnert sich auch an ein Auto, dass den Wanderern einmal nachts auf einem Feldweg entgegenkam und plötzlich scharf kehrt machte, als die Wanderer sichtbar wurden. „Vielleicht hatten die was auf dem Kerbholz, wer weiß?“, mutmaßt Lehmann im Nachhinein.

„Da wird dann auch mal mitgefeiert!“

Doch auch die Wanderer selbst kommen bei den Extremwanderungen an ihre Grenzen. Von anderen werden an bestimmten Stellen Essensrationen gestellt, damit die Wanderer nicht zu viel Gepäck mit rumschleppen müssen. Lehmann erinnert sich, dass bei einer Wanderung ein Teilnehmer sogar im Laufen eingeschlafen ist und in einen Bach hineingelaufen ist. Passiert ist aber zum Glück nichts.

Am liebsten wandert Lehmann Richtung Königsbrück den Biberlehrpfad entlang. Der Pfad ist an bestimmten Punkten mit Sehschlitzen versehen, sodass man die Biber heimlich beobachten kann. „Das ist meine Ecke, wo ich gern hingehe“, sagt Lehmann lächelnd.

Seine Routen führen jedoch sonst überall lang. Mindestens 20 km sind aber Vorschrift, andernfalls wird die Wanderung nicht angerechnet. Verbissen sieht Lehmann das Wandern trotzdem nicht. Wenn er mit seiner Truppe mal durch einen Ort kommt, wo auf einem Grundstück gerade eine Feier im Gange ist, da wird dann auch mal mitgefeiert, erzählt er.

Verbotene Wanderungen während Corona

Die öffentlichen Touren, die Lehmann leitet, sind dabei ganz unterschiedlich und finden in einem Umkreis von 50 km um Dresden statt. Dabei geht es aber gern auch mal weg von den üblichen Pfaden und quer durch die Landschaft. Genau das reizt aber die Teilnehmenden auch, so Lehmann. Wege zu erkunden, die sie sonst nicht wählen würden.

Die Wanderungen sind kostenlos, ohne Anmeldung und immer eine Rundtour, was bedeutet, sie enden, wo sie angefangen haben. Lehmann wählt zudem stets einen Ausgangspunkt, der auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Egal, was für Wind und Wetter herrschen, keine Tour wird abgesagt. Nur auf das richtige Schuhwerk und wetterfeste Kleidung sollen die Teilnehmer achten, stellt Lehmann klar.

Auch Corona konnte den Wanderlustigen nicht aufhalten. Die Wanderungen waren im Zuge der Einschränkungen verboten worden. „Ich hab sie trotzdem gemacht“, verrät Lehmann. Das ging auch gut bis auf einmal. Bei einer Wanderung in Freital wurde seine Gruppe dann doch erwischt. Der Versuch die Gruppe auseinanderzuziehen, um zu simulieren, sie wären lediglich zu zweit unterwegs, durchschauten die Polizisten allzu schnell. Es blieb jedoch bei einer Verwarnung.

Die junge Generation wandert nicht

Die Geschichten von Lehmann, sie könnten ein ganzes Buch füllen. „Das Wandern ist eine Selbstbestätigung für mich. Es geht darum anderen Leuten was zu geben“, erzählt er. Aber er sieht auch die aktuellen Probleme in der Wanderbewegung. Einen Nachfolger für die Wanderleitung zu finden, ist nicht so einfach. „Keiner hat mehr den Mut oder die Lust, das zu machen“, so Lehmann. Es würde zwar eine Entschädigung für An- und Abfahrt und Verpflegung geben, aber davon leben kann man nicht wirklich.

Auch bei den Teilnehmenden habe sich viel verändert, sagt Lehmann. Die jüngsten Wanderer bei seinen Wanderungen sind 40. Sogar aus der Ukraine machen jetzt einige mit, Probleme bei der Verständigung gibt es zum Glück keine. Doch die ganz jungen, die kommen nicht mehr wandern. „In der DDR und der Zeit der Wende war das noch anders“, erinnert sich Lehmann.

Zudem hat jeder heutzutage einen Schrittzähler im Handy oder der Uhr. „Da kommt dann schon mal: Lehmann, das waren keine 10 km!“, sagt Lehmann lachend. Die Vorschrift vom Verband ist da eindeutig, 96 Prozent der ausgeschriebenen Strecke müssen erfüllt sein. Zu viel wird aber auch nicht angerechnet, da würde dann auch mal gern gemeckert bei den Teilnehmenden.

Aufhören undenkbar

Lehmann gibt zu, mit den Jahren ist das Wandern trotzdem schwerer geworden. Der Muskelkater würde dann doch mal früher kommen als sonst. „Du merkst, dass der Körper weniger wird. Mal sehen, wie lange ich das noch in der Art und Weise machen kann“, sagt der Rentner nachdenklich.

Neben dem Wandern spielt er auch in einer Band, die sich schon zu Schulzeiten gründete. Die „Rumtreiber“, die sich umbenannt haben in „Band 22“, treten unter anderem auf der offenen Bühne Dresden auf. In Pflegeheimen und betreutem Wohnen ist Lehmann auch mal anzutreffen, ebenso als Naturschützer im NaBu.

Die Musik, wie auch das Wandern, liegen dem Rentner spürbar am Herzen. Pläne kürzer zu treten, gibt es bei ihm trotzdem nicht. „Aufhören fällt aus!“, sagt er entschieden.

Die nächste öffentliche Wanderung unter der Leitung von Henry Lehmann ist am 4. März geplant. Die Wanderung startet in Königsbrück am Bahnhof 9 Uhr und ist kostenlos für alle Teilnehmenden. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.