Streik am Rewe-Zentrallager in Nossen

Nossen. Es herrscht ausgelassene Stimmung mit Musik auf dem Parkplatz vor dem Rewe-Logistikzentrum in Nossen-Starbach. Doch mit Feiern hat die Veranstaltung nichts zu tun, das verraten die gelben Westen mit dem Aufdruck der Gewerkschaft Verdi, die alle tragen. Rund 250 im Einzelhandel Beschäftigte aus Dresden, Ostsachsen und Chemnitz sind dem Aufruf zum Streik am Donnerstagvormittag gefolgt, darunter etwa 150 Mitarbeiter aus dem Nossener Lager.
„Wir wollen für unsere Arbeit das Geld, was uns zusteht“, sagt eine Verkäuferin einer Marktkauf-Filiale in Chemnitz-Röhrsdorf. „Es wird immer mehr Arbeit und weniger Leute. Die Rentner werden nicht ersetzt. Wir werden immer nur vertröstet“, sagt die Frau verärgert. Eine Gruppe Frauen aus dem Lager in Nossen steht zusammen. Neben ihrer Forderung nach mehr Geld beklagen sie die Arbeitsbedingungen. „Der Umgangston hat sich sehr geändert“, sagt Birgit. Sie arbeite in der Kommission Trockensortiment. Seit 23,5 Jahren sei sie im Logistikzentrum beschäftigt, einige der Arbeiten seien ihr inzwischen aufgrund des Alters zu schwer. „Es gibt ja auch leichtere Jobs, wir haben auch schon Vorschläge gemacht.“ Aber es ändere sich nichts. „Man will ja nicht in Watte gepackt werden“, aber es gebe andere Möglichkeiten. Die Frauen vermissen die Wertschätzung. „Man ist hier nur eine Nummer“, sagt Kollegin Franziska. Ein wenig Mitspracherecht würden sie sich wünschen. So sei es auch ganz normal, dass man von einem auf den anderen Tag eine Stunde eher zur Arbeit erscheinen oder eine Stunde länger bleiben müsse. „Rücksicht auf Termine oder wenn wir unsere Kinder betreuen müssen, wird nicht genommen“, sagt Franziska.

Was die Frauen gar nicht verstehen können, warum sie in Sachsen die niedrigsten Löhne in ganz Deutschland haben. „In Oranienburg zum Beispiel bekommen die Mitarbeiter im Durchschnitt 200 Euro mehr als wir hier in Nossen“, sagen die Frauen voller Unverständnis. „Wir haben einen Stundenlohn von 13,35 Euro, dabei haben wir in Nossen den meisten Umsatz.“ Birgit fragt, „wann werden wir hier endlich das Gleiche verdienen für die harte Arbeit, die wir hier leisten müssen“ und Franziska, die wesentlich jünger ist, ergänzt, „am Abend kriechen wir nur noch und zusätzlich arbeiten wir unter ständigem Leistungsdruck.“ Wenn zwei Tage einmal nicht die 100 Prozent erbracht worden sind, weil man sich mal nicht so fühle, „dann kriegste gleich einen Rüffel“. Angst, Ärger vom Unternehmen wegen des Streiks zu bekommen, haben die beiden nicht. Doch selbstverständlich sei das nicht. „Die Leute hier sind schon sehr mutig“, sagt die Verdi-Streikleiterin in Nossen, Andrea Busch. Sie ist Gewerkschaftssekretärin im Fachbereich Handel. Sie freut sich über die hohe Beteiligung in Nossen. „Die Beschäftigten hier im Logistikzentrum klagen über mangelnden Respekt seitens des Arbeitgebers. Die Wertschätzung lässt zu wünschen übrig. Wenn der Arbeitgeber nicht entgegenkommt, werden wir länger streiken.“
Arbeitgeber will Streikende vertreiben und ruft Polizei
Bereits in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, um 1.45 Uhr, habe man den Gegenwind des Arbeitgebers in Nossen gespürt. „Wir sollten das Betriebsgelände verlassen. Es wurde sogar die Polizei dafür geholt.“ Aber, so erzählt Busch, „wir haben das Recht, auf dem Betriebsgelände zu streiken. Wir wollen ja stören. Das ist der Sinn.“ Die Polizei habe alles aufgenommen und sei dann aber wieder gefahren. Seitdem sei Ruhe seitens des Unternehmens.
Bis zum Arbeitsende am Samstag werde in Nossen weiter gestreikt. Nossen sei laut Gewerkschaft einer der sechs Streikschwerpunkte im Rahmen der Verhandlungen für den Einzel- und Versandhandel in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die vierte Runde starte am Montag. In Sachsen und Thüringen waren diesmal die Beschäftigten von 37 Betrieben zum Streik aufgerufen. Betroffen sind unter anderem Kaufland, Netto, Aldi, IKEA und H&M. Die Tarifverhandlungen ziehen sich laut Verdi in beiden Branchen in die Länge. Im Groß- und Außenhandel wird seit Mai und im Einzel- und Versandhandel seit Juni verhandelt. „Wir haben kein Verständnis für die Verhandlungsstrategie der Arbeitgeber, gerade im Lebensmittelgroßhandel und Lebensmitteleinzelhandel wurden in den letzten eineinhalb Jahren noch nie dagewesene Umsätze realisiert, die Gewinne haben alle Planungen übertroffen, aber für die Beschäftigten soll es nur minimale Erhöhungen geben, die noch deutlich unter der Inflationsrate liegen“, informierte Verdi-Verhandlungsführer für den Handel Jörg Lauenroth-Mago.
Die Auswirkungen auf die Rewe-Märkte im Landkreis
Inwieweit der Streik im Nossener Logistikzentrum Auswirkungen in den umliegenden Rewe-Märkten zu spüren ist, sei noch unklar. So sagt die Leiterin des Riesaer Rewe-Marktes in der Merzdorfer Straße, Andrea Genz, „wir müssen abwarten, wie sich der Streik auswirkt. Er hat ja erst begonnen.“ Ein bis drei Lkw mit Waren kämen jeden Tag aus Starbach. Björn Keyser, der die Rewe-Märkte in den Meißner Neumarkt-Arkaden, im Radebeuler Löma-Center und in Radebeul-Ost an der Stadtgrenze zu Dresden betreibt, rechne mit zwei Tagen Verzögerung, bis die Streikauswirkungen in den Märkten ankommt. Er schätze, dass vor allem am Freitag und Samstag einige der im Auslieferungslager bestellten Artikel nicht geliefert werden. „Das sind einige Konserven, Nudeln, vielleicht Toilettenpapier“, sagt Keyser. „Allerdings sind die Märkte noch gut bevorratet“, sodass es aus seiner Sicht kaum zu Engpässen kommen werde. Wenn von mehr als einem Dutzend Nudelsorten mal drei fehlen würden, sehe er darin noch kein Problem. Frisches Obst und Gemüse werden weiterhin eintreffen, weil ja nicht alle Mitarbeiter im großen Lager streiken, so seine Einschätzung. Ähnlich sieht es Michel Reimer, Rewe-Markt-Betreiber in der Sidonienstraße am Bahnhof Radebeul-Ost: „Obst und Gemüse trifft ein. Am Samstag vermute ich, werden wir die ersten kleinen Lücken im Regal haben.“ Reimer und Keyser rechnen damit, dass gleich Anfang nächster Woche die fehlenden Produkte nachgeliefert werden.
Für die Streikenden im Logistikzentrum heißt es „in den nächsten Tagen Überstunden schrubben“, sagt Franziska, denn derzeit sei es sehr ruhig im Lager. Fast die gesamte Belegschaft habe sich am Streik beteiligt, ergänzt Birgit. „Wir haben aber schon viele Stunden herausgearbeitet.“ So werde in der nächsten Woche der eine oder andere Artikel nicht in den Rewe-Märkten zu finden sein. (mit SZ per und jör)