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Meißner Tafel: „Wir sind doch kein Supermarkt“

Die Meißner Tafel hat mit personellen Engpässen zu kämpfen. Und schlechten Manieren einiger Kunden. Die Chefin ist auf Nachfolgersuche.

Von Andre Schramm
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Schleppen, sortieren, verteilen: Die Arbeit bei der Tafel ist nicht immer einfach.
Schleppen, sortieren, verteilen: Die Arbeit bei der Tafel ist nicht immer einfach. © Claudia Hübschmann

Meißen. Dankbarkeit und Dreistigkeit liegen wohl nirgends näher beieinander als bei den Ausgabestellen der Tafel. Ursula Gleisberg, Chefin der Meißner Tafel, kann ein Lied davon singen. Neulich gabs Ärger, weil das Fleisch "knapp" war. Ein Herr hatte nur eine Schnitzelpackung für sich und seinen Kumpel bekommen und sich danach tierisch aufgeregt. "Ausgeteilt wird das, was übrig ist. Jeder ist mal dran", sagt die 87-Jährige. Sie achtet schon sehr darauf, nur solche Lebensmittel rauszugeben, die sie selbst auch noch essen würde. Dass nicht immer alles vorhanden sei, damit müsse man eben leben. "Wir sind kein Supermarkt, bieten den Menschen lediglich ein Zubrot", sagt die Vorsitzende der Meißner Kinder- und Familienhilfe.

"Da ham wir nüscht mehr zu fressen und müssen sterben." Ansagen wie diese machen die ehrenamtliche Arbeit am Kynastweg manchmal nicht gerade einfach. Wenn Ursula Gleisberg sowas mitbekommt, mischt sie sich ein – ganz diplomatisch. "Wenn es für Genussmittel noch reicht, dann kann's so schlimm nicht sein", lautet einer ihrer Standardsätze. Danach sei meistens Ruhe. Sie spricht oft von "ihren Rentnern" und für Außenstehende ist nicht ganz klar, wen sie damit meint. Personal oder Kundschaft? "Sie müssen das nicht tun. Sie haben Familie, Enkel, Lebensabend und trotzdem stehen sie hier und lassen sich runtermachen", erklärt sie. Jetzt ist klar, wer gemeint ist. Man könne das gar nicht genug wertschätzen, schiebt sie noch hinterher.

Seit knapp zwei Jahren wird die Lebensmittelausgabe über ein Fenster bewerkstelligt. Die Pandemie zwang die Meißner Tafel nur 14 Tage in die Knie. Das war ganz am Anfang, als viele Hamsterkäufe machten. "Wir hatten allerdings bis heute keinen einzigen Coronafall", freut sich die Chefin. Auf der anderen Seite der Plexiglasscheibe gibt's leider auch viele Ruheständler. Sie seien durch die Bank weg freundlich. "Eine Generation, die noch bitte und danke kann und gelernt hat, mit wenig auszukommen", erzählt Frau Gleisberg. Es mache sie manchmal traurig, wenn sie im Gespräch erfahre, dass manch Seniorin heute eine Rente von 500 Euro bekommt. Man merkt aber auch ziemlich schnell, dass die Chefin nicht sonderlich gut auf SGB-II-Empfänger zu sprechen ist. "Es gibt keine Sanktionen mehr", sagt sie. Das sei falsch. Viele hätten sich bequem eingerichtet. Neuerdings kommen viele Mütter mit ihren Kindern zur Tafel. Sie seien aus dem Frauenschutzhaus, heißt es.

Personal wird knapp

Früher haben in der Ausgabestelle 25 bis 30 Mitarbeiter geholfen. Heute sind es noch 17. "Wir waren in den letzten Wochen kurz davor zuzumachen", sagt Ursula Gleisberg. In ihrer Not hat sich die Tafel-Chefin an die Agentur für Arbeit gewandt – mit Erfolg. Sie hat vier Männer und vier Frauen geschickt. Die Frauen waren da, die Männer nicht. Zwei der Damen werden voraussichtlich anfangen. Auch die Bitte an die Ausländerbehörde hat sich gelohnt. Eine junge Inderin (37) hilft neuerdings mit aus. "Ne ganz Liebe", sagt die Tafel-Chefin. Dass die ausländische Kollegin schlechter bezahlt wird als die Ein-Euro-Jobber, regt Frau Gleisberg schon wieder auf. Apropos Ausländer.

Ursula Gleisberg (87), Chefin der Meißner Tafel, ist schon auf Nachfolgersuche. Zuletzt hatte die Tafel mit Personalengpässen zu kämpfen.
Ursula Gleisberg (87), Chefin der Meißner Tafel, ist schon auf Nachfolgersuche. Zuletzt hatte die Tafel mit Personalengpässen zu kämpfen. © Claudia Hübschmann

Seit 2015 kommen mehr Ausländer zur Tafel. "Es handelt sich vor allem um Familien, die das Bleiberecht haben", erzählt die 87-Jährige. Probleme gibt es nicht. Am Anfang habe man sich zwar mit Händen und Füßen verständigen müssen. Inzwischen habe sich alles eingespielt. "Sie sind sehr dankbar für die Unterstützung", sagt sie. Sorgen bereiten ihr gegenwärtig die Energiekosten. Die drei Tafel-Fahrzeuge legen im Monat viele Hunderte Kilometer zurück, bis zu den Ausgabestellen in Lommatzsch und Nossen. Um Sprit zu sparen, wurden die Routen zu den Märkten nochmals optimiert. "Wenn das so weitergeht, dann werden wir auf 3,50 Euro erhöhen müssen", sagt die Tafel-Chefin. Gegenwärtig zahlen Erwachsene 3 Euro für den Einkauf.

"Ich gehe nicht mehr an den Laptop"

Über die Zukunft hat sich Ursula Gleisberg schon viele Gedanken gemacht. Einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin hat sie noch nicht gefunden, auch nicht im Verein. "Ich möchte das, was 26 Jahre aufgebaut wurde, in guten Händen wissen", sagt sie. Manche Dinge lohnen aber nicht mehr: Sich mit dem Laptop auseinanderzusetzen zum Beispiel. Aktuell sucht die Meißner Tafel dringend eine Bürokraft auf 400-Euro-Basis. Wäre noch zu klären, was man wirklich zum Leben braucht? Auch darauf hat Gleisberg eine Antwort: "Ich habe damals mit meinem Mann zwei Jahre in Algerien gelebt. Ich kann Ihnen sagen, die Menschen brauchen nicht viel, um glücklich zu sein."