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Meißnerin lag wochenlang tot in Wohnung

Annerose Pioch wurde nur 67 Jahre alt. Ihr Tod bleibt rätselhaft.

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Von Peter Anderson

Die Tür zur Wohnung von Annerose Pioch im Haus Fischergasse 23 ist versiegelt. Ein Aushang droht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr fürs Entfernen des Siegels. Hinter der Tür war vor wenigen Tagen die bereits stark verweste Leiche der 67 Jahre alten Meißnerin entdeckt worden.

Am 5. August hatte sie der Pflegedienst das letzte Mal lebend gesehen. Die Helfer kauften für die alte Dame einmal in der Woche ein und brachten den Müll heraus. Seit Jahren schon verließ die Rentnerin ihre Wohnung nicht mehr. Sie wollte allein leben, in Ruhe gelassen werden von der Welt draußen. Das hatte sie immer wieder betont gegenüber ihrer Betreuerin, gegenüber dem Pflegedienst und Ärzten auf Hausbesuch.

Simone Müller, der Nichte von Annerose Pioch, lässt der Tod ihrer Tante keine Ruhe. Sie fragt sich, was seit dem 5. August geschehen ist. Warum fiel niemandem etwas auf? Wie kann es geschehen, dass ein Mensch so einsam stirbt und sein Ableben wochenlang nicht bemerkt wird?

Licht ins Dunkel bringt ein Besuch bei Betreuerin Elke K. Ihren richtigen Namen will die Meißnerin nicht in der Zeitung lesen. Sie befürchtet negative Folgen.

Seit Jahren nicht rausgegangen

Vorzuwerfen habe sie sich nichts, sagt sie energisch. Als Betreuerin war sie lediglich für Behörden-Angelegenheiten zuständig. Schon das sei schwierig genug gewesen. Elke K. zeigt der SZ ein psychologisches Gutachten über Annerose Pioch. Die Rentnerin wird als geistig klar, aber sozial vollkommen isoliert beschrieben. Sie habe keinerlei Interesse am Aufbau von Kontakten zu Nachbarn oder Verwandten. Eine allgemeine Antriebslosigkeit sei zu bemerken. Nach der Wende hatte die frühere Chefsekretärin offenbar keine feste Arbeitsstelle mehr gefunden.

Betreuerin Elke K. kommt ins Erzählen. Der Ausweis von Annerose Pioch war seit Jahren abgelaufen. Sie habe es abgelehnt, einen neuen zu beantragen. In der Wohnung trat Schimmel auf, weil die alte Dame nicht lüftete. Zu den verabredeten Malerarbeiten habe die Mieterin jedoch nicht geöffnet. Die Tür blieb zu. Auch deshalb sei niemand verwundert gewesen, als Annerose Pioch am 12. August den Pflegedienst des DRK nicht einließ. Das war zuvor schon öfter vorgekommen. Lebensmittel hätte angeblich ein mit Annerose Pioch bekannter junger Mann besorgt.

Betreuerin Elke K. weist in einem Hefter Notizen vor, aus denen hervorgeht, dass sie den Vermieter und die Betreuungsbehörde über den Abbruch des Kontaktes informierte. Die Wohnungsbaugenossenschaft habe geantwortet, Nachbarn würden aus der Wohnung von Annerose Pioch regelmäßig Musik hören. Kein Grund zur Beunruhigung. Wenn ein Mensch isoliert leben wolle, könne er daran nicht gehindert werden. Das sei kein Straftatbestand, sagt Elke K. Erst als Anfang September eine andere Betreuerin den Fall übernahm, wurde die Wohnung geöffnet.

Bestätigt werden diese Angaben vom Landratsamt. Der SZ teilte die zuständige Sachgebietsleiterin mit, dass es „nicht ungewöhnlich“ war, dass Frau Pioch die Tür nicht öffnete. Es seien oft „wiederholte Versuche der Kontaktaufnahme“ notwendig gewesen.

Ein Trost für Simone Müller ist das nicht. Gestern traf sich die Nichte der Verstorbenen mit Verwandten zu einer Feierstunde auf dem Meißner Friedhof. Sie habe am Urnengrab von Annerose Pioch ein Bild aufgestellt, sagt sie, der Toten gedacht, von ihr gesprochen.