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„Mich stört der Begriff Abrissmeister“

Riesa schrumpft nicht mehr so stark wie befürchtet. Trotzdem reißt der Großvermieter WGR weiter ab.

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© Sebastian Schultz

Riesa. Sachsen bleibt Abrissmeister: Diese Meldung sorgte vor wenigen Tagen vor Aufregung. Demnach waren zwischen 2012 und 2015 im Freistaat fast 14 000 Wohnungen mit staatlicher Förderung abgerissen worden – so viel wie nirgendwo sonst im Osten. Linke und Grüne fürchten, dass damit günstige Wohnungen knapp werden. Das Verhältnis von Abriss und Neubau stimme nicht. Die SZ sprach dazu mit Roland Ledwa, dem Chef der Wohnungsgesellschaft Riesa (WGR) – dem größten Vermieter der Stadt.

Roland Ledwa ist Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft Riesa, der mit knapp 5000Wohnungen etwa jede vierte Riesaer Wohnung gehört.
Roland Ledwa ist Geschäftsführer der Wohnungsgesellschaft Riesa, der mit knapp 5000Wohnungen etwa jede vierte Riesaer Wohnung gehört. © Sebastian Schultz

Herr Ledwa, Sachsen kann sich mit dem Titel „Abrissmeister“ schmücken. Gilt das auch für Riesa?

Mich stört der Begriff „Abrissmeister“. Wenn in Sachsen die Wohnungswirtschaft das Überangebot vom Markt nimmt, ist das für alle Beteiligten gut.

Wie meinen Sie das?

Für Wohnungsunternehmen ist es wichtig, dass sich die Wirtschaftlichkeit erhöht. Schließlich müssen sie Geld erwirtschaften, um den verbliebenden Bestand in Schuss zu halten. Für die privaten Wohnungseigentümer ist es von Vorteil, dass ihr Angebot attraktiv bleibt. Und für die Mieter ist trotz der Abrisse immer noch genügend Wohnraum vorhanden – nicht nur in Riesa, sondern auch in Dresden.

Allerdings ist Wohnraum nicht gleich Wohnraum. Was ist, wenn man in besonderen Stadtteilen etwas sucht?

Ja, wenn man beispielsweise eine freie Vierraumwohnung in einem speziellen Viertel mit fünf Minuten Fußweg bis zur Elbe sucht, da wird es schwierig.

Wie viel Wohnungen haben Sie in Riesa in den vergangenen Jahren abgerissen?

Wir als WGR haben seit 2001 etwa 1 400 Wohnungen vom Markt genommen. Zuvor hatten wir rund 6 000 Wohnungen im Bestand. Mann muss aber wissen, dass wir und die Wohnungsgenossenschaft Riesa aber die Einzigen sind, die den Wohnungsmarkt in der Stadt regulieren.

Nach welchen Kriterien hat die WGR ihre Wohnungen abgerissen?

Für uns sind die Statistiken zur Einwohnerentwicklung und der Wohnungsleerstand entscheidend: Bis Anfang des Jahres ging die 5. Bevölkerungsprognose des Statistischen Landesamtes von einem Bevölkerungsrückgang in Riesa von 2010 bis 2025 um 20 Prozent aus. Die neueste Vorausberechnung ist nicht mehr so pessimistisch: Sie sagt von 2014 bis 2030 ein Minus von zweieinhalb bis sieben Prozent aus.

Merkt man das schon?

Ja: 2015 hat Riesa nur noch 113 Einwohner verloren, im ersten Quartal 2016 gar 27 Einwohner gewonnen. Das liegt vor allem an den Zuzügen. Von einem Trend kann man jedoch noch nicht sprechen.

Und wie sieht es beim Leerstand aus?

Der liegt aktuell bei etwas mehr als 13 Prozent aller Wohnungen. Da sind auch solche Häuser mit gerechnet, die gar nicht mehr belegt werden, weil sie beispielsweise zur Sanierung vorgesehen sind.

13 Prozent sind immer noch viel ...

Wir gehen davon aus, dass wir auch in den nächsten Jahren Wohnungen vom Markt nehmen – aber deutlich weniger als in der Vergangenheit. Nach dem aktuellen Konzept werden wir 2017 weitere 24 Wohnungen am Karl-Marx-Ring wegnehmen, 2018 voraussichtlich 48 Wohnungen in Weida.

Wie kann ich mir dieses „wegnehmen“ vorstellen: Reißen Sie ganze Blöcke ab oder bauen Sie nur obere Etagen ab?

Das hängt vom Wohngebiet ab. Der reine Abriss ist günstiger. Aber für ein Wohngebiet kann es attraktiver sein, wenn man nur einzelne Etagen eines Blocks zurück baut, wie auf der Freitaler Straße oder dem Karl-Marx-Ring.

Wie sieht es mit Sozialwohnungen in Riesa aus: Bekommt eine von Hartz IV lebende Familie mit Kindern auch eine passende Wohnung?

Das ist in Riesa grundsätzlich kein Problem. Das klappt vielleicht nicht in jedem Stadtteil. Jedenfalls gibt es in Riesa genug Wohnungen, von denen sich zu Fuß Einkaufsmöglichkeiten, Ärzte, Bushaltestellen erreichen lassen – auch Kita und Schule.

Wie viel Fördergeld ist denn für den Stadtumbau nach Riesa geflossen?

Zwischen 2001 und 2015 waren es etwa fünf Millionen Euro, die für Abrisse und Rückbau verwendet worden. Ohne das Geld hätten wir nicht mal die Hälfte der Wohnungen vom Markt nehmen können. Dann hätten wir bestimmte Teilbereiche eines Stadtteils stilllegen müssen.

Wie soll so etwas aussehen?

Beispiele dafür habe ich vor einigen Jahren unter anderem in den USA gesehen. Da stehen ganze Straßenzüge leer und verfallen – etwa etwa in Utica und Detroit. Ähnliches gibt es in Manchester oder teilweise im Osten Russlands – überall dort, wo die Einwohnerzahl stark zurückgeht. Dass wir hier mithilfe staatlicher Gelder Städte gestalten können, ist für Städte mit einem Bevölkerungsrückgang enorm wichtig!

Dazu wird Riesa wohl weiter gehören ...

Riesa bietet viele Arbeitsplätze, hat mehr Ein-, als Auspendler und so viele Angebote vom Kino über die Gastronomie bis zu Freizeit- und Sporteinrichtungen. So eine Vielfalt findet sich in einer Stadt dieser Größenordnung nicht oft. Riesa ist lebenswert! Viele andere Städte, auch in Westdeutschland, würden sich unsere Probleme wünschen.

Hat die WGR auch Neubaupläne?

Das ist für uns nicht vordergründig. Was wir schaffen wollen, sind neue Eigenheimstandorte: damit Bauwillige in Riesa bauen können und nicht ins Umland abwandern.

Gespräch: Christoph Scharf