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Mit 100 in den Sauerland-Blitzer

Ein Professor nutzte offenbar eine rechtliche Grauzone und die Hilfe eines Online-Portals, um Fahrverbot und Punkte für seine Raserei zu vermeiden. 

Von Alexander Schneider
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© Symbolbild: dpa

Wahrscheinlich war der Uni-Professor und Unternehmensberater mit Schwerpunkt strategischer Unternehmensführung zwischen seinen Fachhochschul-Standorten unterwegs, als er in Meschede in einen Blitzer raste. Statt der erlaubten 50 Sachen hatte der Dresdner in dem Ort mal eben das Doppelte auf dem Tacho. Dafür erhielt er Post vom Hochsauerlandkreis. Der Hochschullehrer mit dem Bleifuß sollte ein Bußgeld von 200 Euro zahlen. Weiter wurden ihm zwei Punkte in Flensburg und ein einmonatiges Fahrverbot in Aussicht gestellt.

Doch was wäre der deutsche Rechtsstaat ohne die eine oder andere Grauzone? Für Raser gibt es da eine Internet-Plattform, die sich „Punktehandel Flensburg“ nennt, und auf der ein angeblicher „Rene Meier“ ankündigt, er übernehme Punkte, Bußgeld und Fahrverbot, natürlich nicht ganz uneigennützig. Aber wie das so ist mit Grauzonen – für den einen schimmern sie fast weiß, ein anderer ist von ihrer tiefen Schwärze überzeugt. Zu Letzteren zählt die Dresdner Staatsanwaltschaft. Für sie beging der Professor eine Anstiftung zur Urkundenfälschung. Im Oktober wurde der Angeklagte per Strafbefehl zu einer Geldstrafe über 6000 Euro verurteilt, weil er nicht zu seinem Prozess erschienen war. Am Mittwoch war er nun da, weil er die saftige Strafe nicht akzeptiert.

2000 Euro an Online-Ablass-Handel

Laut Anklage habe sich der 63-Jährige eben an Maiers Online-Ablass-Handel gewandt und mindestens 2000 Euro dafür bezahlt, dass Meier den Anhörungsbogen der Bußgeldstelle Hochsauerland ausfüllt und die Raserei auf sich nimmt. Es ist nicht strafbar, sich einer Ordnungswidrigkeit zu bezichtigen. Tatsächlich habe jedoch ein „Hans Richter“ den Bogen ausgefüllt, was der Angeklagte gewusst habe. Einen Hans Richter, das ist der Clou, mit der Adresse eines Hamburger Schreibbüros, gibt es nicht.

Doch dann folgte eine Überraschung angesichts der drakonischen Geldstrafe vom Oktober. Als Rechtsanwalt Christian Pahlke erklärte, sein Mandant werde sich zu den Vorwürfen nicht äußern, verwies der Richter auf die rechtliche Grauzone, gut ausgelotet in einem Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. Februar dieses Jahres, in dem es um die Irreführung von Bußgeldbehörden mit fiktiven Personen geht. Kurz: Die Gesetzeslücke ist, obschon hochrichterlich vermessen, noch immer existent. Es bleibt kaum ein Spielraum, daraus Straftaten zu generieren.

Selten hat es am Amtsgericht eine kürzere Beweisaufnahme gegeben. Die Argumentation: Dem Dozenten war nicht nachzuweisen, gewusst zu haben, wer sich auf seinem Anhörungsbogen der Raserei bezichtigt. Daher wurde er freigesprochen. Auch der Blitzer bleibt ungesühnt – die Sache von 2017 ist längst verjährt.

Die Staatsanwaltschaft sieht den Fall anders. Sie hatte 7500 Euro Geldstrafe gefordert und kündigte Berufung an.