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Mit 67 wieder Lehrer

Mit der Rente war für Wolfgang Hahn nicht Schluss. Der Oberschullehrer ist an eine Grundschule gewechselt.

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© Sven Ellger

Von Sandro Rahrisch und Ghith Al Haj Hossin

Mäusevater ist aber auch ein schwieriges Wort. Wolfgang Hahn spitzt die Lippen und lässt das Fabeltier mit sonorer Stimme durch das Klassenzimmer der 144. Grundschule in Mickten vibrieren. Okay, Mausevater war doch falsch, müssen die vier Knirpse aus Afghanistan, Indien, Albanien und Vietnam zugeben. Aber jetzt scheint klar zu sein, was die Pünktchen auf dem A zu suchen haben. Bis der Lehrer wissen will, wie man „Äpfel“ ausspricht. Seit einem Jahr steht Wolfgang Hahn wieder vor der Tafel. Dabei ist der 67-Jährige vor sieben Jahren in Rente gegangen.

40 Jahre lang hat der Dresdner Tausenden von Schülern Deutsch beigebracht, zwei Oberschulen geleitet und Zehntklässlern geholfen, einen Lehrbetrieb zu finden. Bis zu seiner Pension. „Wenn man so lange mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet hat, fällt es einem schwer, sich in den Garten zurückzuziehen“, sagt Hahn. „Ich konnte mir nie vorstellen, den ganzen Tag nur Unkraut zu jäten.“ Immer wieder hat er in den letzten Jahren Kurse gegeben – Deutsch für Langzeitarbeitslose, Berufsberatung für Oberschüler. Alles Jobs auf Zeit, nur ein paar Stunden in der Woche. Dann setzte der Flüchtlingsstrom nach Europa ein. „Ich habe gesehen, dass viele Kinder nach Dresden kommen. Und ich habe mich gefragt: Wenn es in unseren Schulen keine kleinen Gruppen gibt, wie sollen sie dann Deutsch lernen?“ Die Bildungsagentur spricht den Rentner im vergangenen Jahr an und möchte wissen, ob er sich vorstellen kann, in den Schuldienst zurückzukehren. Hahn bewirbt sich und unterrichtet seither zweimal die Woche Deutsch als Fremdsprache.

Eine Rückkehr in einen altbekannten Job ist es nicht. „Mein ganzes Leben lang habe ich junge Erwachsene unterrichtet. Als ich letztes Jahr an die Grundschule gegangen bin, habe ich mich schon gefragt, wie ich als Alter bei den Jungen ankomme.“ Grundschüler zu motivieren, setze voraus, sich in ihre Gedankenwelt hineinzuversetzen. Hahn arbeitet mit Plüschtieren und Handpuppen. Davon hat er in Mickten einen ganzen Schrank voll. Heute sitzt „Lehrer Lämpel“ auf der Bank. Ein Elefant, der aufpasst, dass auch alle mitmachen. Wenn die Kinder zum ersten Mal in die Schule kommen und noch kein Wort Deutsch sprechen, lässt Hahn sie Bilder ausmalen. Eine Ampel zum Beispiel. Dann schreiben sie das Wort ab, sprechen es nach und lernen es auswendig. Bilder mit Worten verbinden, das steht am Anfang.

Wenn bei den deutschen Schülern Deutsch auf dem Stundenplan steht, zieht sich Hahn mit den Flüchtlingskindern in einen anderen Raum zurück. Mit drei bis fünf Kindern sitzt er um einen Tisch. „Das ist ein idealer Zustand“, sagt er. „In ihren Klassen reden die Kinder anfangs kaum ein Wort. Hier plappern sie drauflos und werden selbstbewusster.“ Die Kinder würden unheimlich schnell lernen. „Neulich erzählte mir ein Junge, dass er letzte Nacht das erste Mal auf Deutsch geträumt habe. Als Lehrer freue ich mich darüber. Aber die Kinder müssen aufpassen, dass sie ihre Wurzeln nicht vergessen.“

Wolfgang Hahn hatte schon vor seinem neuen Job mehrere Angebote erhalten, von Berufsschulzentren, Oberschulen und der Handwerkskammer. „Aber wenn ich die Chance bekommen hätte, an meine alte Schule zurückzukehren, hätte ich abgelehnt.“, sagt er. Es wäre in den letzten Jahren schwieriger geworden, mit jungen Erwachsenen zusammenzuarbeiten. Viele hätten kein Berufsziel vor Augen und würden sich nicht mehr um gute Noten bemühen. „Wenn ich jetzt morgens aus dem Auto steige und die Kinder ‚Herr Hahn‘ aus dem Fenster rufen, geht mir das Herz auf.“

Lehrer will der Dresdner schon werden, als er selbst noch die Schulbank drückt. „Doch meine Eltern wollten, dass ich ein Handwerk lerne.“ Er lässt sich zum Betriebsschlosser ausbilden, arbeitet ein Jahr lang in dem Beruf. „Da habe ich gelernt, mit ganz verschiedenen Typen von Menschen klarzukommen. Das hat mir später sehr geholfen.“ An der Abendschule holt Hahn das Abitur nach und studiert Deutsch und Sport auf Lehramt.

Des Geldes wegen ist er nicht in den Schuldienst zurückgekehrt, sagt der Lehrer. „Okay, es ist ein Zubrot. Über die Runden würden wir aber auch mit unserer Rente kommen.“ Vor einem Jahr ist auch Hahns Frau in den Ruhestand gegangen. Sie war ebenfalls Lehrerin, unterrichtete Förderschüler. „Begeistert war sie nicht von meinem Plan, wieder zu arbeiten. Aber inzwischen akzeptiert sie es.“ Ohnehin sei es nicht mehr so, dass er durchziehen kann wie früher. „Heute freue ich mich montags auf die kommenden zwei Tage in der Schule. Mittwochs freue ich mich auf fünf Tage Freizeit.“ Zweimal die Woche trainiert Hahn im Fitnessstudio.

Wie lange er arbeiten möchte? Ein Jahr, das war der Plan. Inzwischen steht fest, dass die Micktener Grundschule eine weitere erste Klasse bekommt. Und damit wohl auch mehr Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. „Ich habe das Angebot gemacht, ein Jahr dranzuhängen.“ Im Unterricht lerne auch Hahn noch dazu. „Als ich vor Kurzem Gummibärchen mitgebracht habe, rief ein Schüler: Igitt, da ist Schweinefett drin. Er kommt aus einem arabischen Land, wo Schweinefleisch tabu ist. Ich habe dann gleich einen Tipp bekommen, wo ich in Dresden Gummibärchen ohne Gelatine kaufen kann.“