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Mit Zirkus aus dem psychischen Tief

Fliegen als Teil einer Therapie? Im Bahnhof Niedersedlitz wird gezeigt, dass das funktioniert.

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Von Alma Uhlmann

Immer wieder rattern Züge an dem alten Bahnhofsgebäude in Niedersedlitz vorbei, doch die Kinder drinnen stört das wenig. Dort verbringen Sechs- bis Vierzehnjährigen den Nachmittag in einer Tagesgruppe, die sich auf den ersten Blick kaum von anderen in Dresden unterscheidet: Die zehn Kinder basteln, tollen mit den Erziehern herum oder spielen mit der Murmelbahn. Doch die Kinder dieser Tagesgruppe werden unter besonders schwierigen Umständen groß. Auf ihren kleinen Schultern lasten aus unterschiedlichen Gründen psychische Probleme. Das therapeutische Programm der Radebeuler Sozialprojekte gibt dem Alltag der Mädchen und Jungen Struktur. Sie werden nach der Schule abgeholt, essen zusammen Mittag – und proben für ein Zirkusprojekt.

Mehr Körpergefühl und Empathie

„Der Zirkus macht richtig Spaß“, erzählt der elfjährige Tim lächelnd. Seit einem knappen Jahr besucht er die Tagesgruppe. Nach einem Vorfall, über den der Junge nicht sprechen möchte, hat er sich sehr zurückgezogen und konnte kaum noch mit Menschen in Kontakt treten. Das Zirkusprojekt ‚Fliegen lernen’ half Tim, wieder Vertrauen zu seinen Mitmenschen zu entwickeln. Seine Mutter Antje stand ebenfalls für das Projekt auf der großen Bühne des Festspielhauses Hellerau. „Es war eine sehr intensive Zeit mit Proben in den Ferien und an Wochenenden“, erzählt sie. Doch der Aufwand hat sich gelohnt. „Das gemeinsame Theaterspielen hat die Bindung zwischen mir und meinem Sohn wieder vertieft“, erzählt die Mutter.

Die Zirkuspädagogin Charlotte Mehling erklärt, dass die Kinder durch den Zirkus spielerisch Körperbewusstsein und Empathie entwickeln. „Das macht sie stabiler und widerstandsfähiger.“ Antje kann das bestätigen. „Es ist fast schade, dass Tim in letzter Zeit solche Fortschritte macht.“ Denn eine gute Entwicklung bedeutet, dass er die Tagesgruppe bald verlassen wird und die Radebeuler Sozialprojekte auch die Mutter nicht weiter mit Hausbesuchen unterstützen können.

Trotzdem soll der Übergang möglichst sanft gestaltet werden. Antje ist weiterhin mit der Organisation in Kontakt und Tim hat in der Tagesgruppe feste Freundschaften geschlossen. „Die Jungs besuchen sich regelmäßig nach der Schule.“ Tims Mutter ist froh, dass er nun wieder mehrere stabile Bezugspunkte hat. Sie helfen Tim, langsam wieder im Alltag anzukommen. Zirkus als Teil einer Therapie? Das kann also wirklich funktionieren, wie das Projekt in Niedersedlitz zeigt.