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Moslembrüder bieten eine Alternative

Ägypten. Die Wahl zum Parlament stellt wichtige Weichen für die Zukunft.

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Von Birgit Cerha,SZ-Korrespondentin in Kairo

Ägypter, gebt eure Stimme dem Islam“; „Islam ist die Lösung im Kampf gegen den moralischen Verfall, der viele Moslems und den Staat befallen hat“; „Der Koran ist unsere Verfassung“.

Mit solchen, für das Regime Hosni Mubarak und dessen amerikanische Schutzmacht höchst provokativen Slogans zieht Ägyptens Moslembruderschaft (MB) durchs Land, ja sie wagt sich gar in die Metropole Kairo, wo sie seit Tagen gut besuchte Kundgebungen veranstaltet. Sie spricht mit Menschen in entlegenen, armen Regionen Ägyptens, die Vertreter des Regimes und der regierenden „Nationalen Demokratischen Partei“ (NDP) bisher stets gemieden hatten.

Viele Versprechen

Sie verspricht bessere Trinkwasserversorgung, Kanalisation, höhere Qualität des Brotes, mehr Gesundheitseinrichtungen und Schulen. „Wir sind in jeder Straße, in jeder Moschee. Direkte Verbindung mit dem Volk ist wichtiger als jede Propaganda“, erläutert Essam el Erian, führendes MB-Mitglied, die Strategie seiner Bewegung für die heute stattfindenden Parlamentswahlen. Es sind die zweiten Wahlen in nur zwei Monaten, und sie sind für die Zukunft des Landes noch bedeutungsvoller als jene im September, bei der Mubarak 88,6 Prozent der Stimmen für seine fünfte, sechsjährige Amtsperiode gewonnen hatte.

Zwar waren bereits die Präsidentschaftswahlen ein Novum, da Mubarak unter massiven Demokratisierungsdruck durch die USA erstmals mehrere Kandidaten zuließ. Doch keiner hatte sich als ernsthafter Rivale für den 77-jährigen „Rais“ (wie die Ägypter ihren Präsidenten ehrfurchtsvoll nennen) erwiesen, keiner hatte eine Chance, nachdem Jahrzehnte der Repression die Oppositionskräfte de facto zur Bedeutungslosigkeit verdammt haben.

Neue Akzente

Doch die Parlamentswahlen bringen einige neue Akzente in das traditionell lahme politische Leben am Nil. Das Regime verspricht, mit alten Traditionen der Stimmenkäufe, Einschüchterung von Oppositionellen und anderen Wahlfälschungen zu brechen und für einen wirklich freien und fairen Urnengang zu sorgen. Vertreter ziviler Organisationen werden als unabhängige Wahlbeobachter zugelassen. Um eine bessere Kontrolle zu ermöglichen, werden die Wahlen in drei Phasen vom 8. November bis Anfang Dezember abgehalten.

Und Mubarak weiß die Augen des Westens, insbesondere der USA, auf sich gerichtet. Das neue Parlament besitzt richtungsweisende Bedeutung für die Zukunft. Es soll, so verspricht Mubarak, die Details von Verfassungsreformen beschließen, die Mubarak während seiner Wahlkampagne im Sommer dem Volk verheißen hatte. Dabei geht es um die Einschränkung der Macht des Präsidenten zu Gunsten der Legislative, die Unabhängigkeit der Justiz, die Ankurbelung der Wirtschaft und die Aufhebung der seit mehr als 20 Jahren geltenden Notstandsgesetze, die dem Regime zur Repression unliebsamer politischer Kräfte dienen.

Vor allem aber werden jetzt schon Weichen gestellt für die künftige Präsidentschaft. Niemand zweifelt daran, dass dies Mubaraks letzte Amtsperiode ist. Nach einer im Frühjahr beschlossenen Verfassungsreform dürfen jene Parteien bei künftigen Präsidentschaftswahlen Kandidaten aufstellen, die in der Nationalversammlung und im Shura-Rat (dem Oberhaus) mindestens fünf Prozent der Sitze innehaben. Das hat bis heute keine Oppositionspartei geschafft.

Die NDP verfügt in der 444-köpfigen Nationalversammlung über 404 Mandate, die Opposition nur über 18, Unabhängige über 22 Mandate. Zehn Sitze werden direkt vom Präsidenten vergeben. Die einzige Bewegung, die die Fünf-Prozent-Hürde schaffen könnte, ist die MB. Sie präsentiert sich zwar als Alternative zum Regime, hält sich aber mit offener Kritik zurück und spricht sich auch nicht offen für den Sturz Mubaraks aus.