Von Ralph Schermann
Görlitz. Beim Tippelmarkt war er nicht zu übersehen: ein roter DDR-Kleintransporter vom Typ B1000. Der zur Freiwilligen Ortsfeuerwehr Ludwigsdorf/Ober-Neundorf gehörende Oldtimer wird in den kommenden Wochen noch oft im Stadtbild zu sehen sein. Das Kulturhistorische Museum nutzt ihn zur Werbung für ein besonderes Projekt: „Erfahrung DDR“.


Knapp drei Jahrzehnte nach dem Ende der Deutschen Demokratischen Republik verblasst die Erinnerung an diesen Ostteil Deutschlands mehr und mehr, wird verklärt oder verdammt, einseitig oder auch mal falsch dargestellt, und für Jugendliche handelt es sich nur noch um eine untergegangene Epoche der deutschen Geschichte. Das war der Grund für das neue Projekt: „Bevor DDR-Erfahrungen gänzlich in Vergessenheit geraten, wollen wir dieses Kapitel Görlitzer Stadtgeschichte noch einmal lebendig werden lassen und dokumentieren“, erklärt Museumssprecherin Kerstin Gosewisch. Das traf auf offene Ohren: Der Förderverein Kulturstadt Görlitz-Zgorzelec, die Evangelische Kulturstiftung, das Bistum und sieben weitere Vereine, Verbände und Einrichtungen boten sich als Projektpartner an. Genauso breit gefächert stellen sich die Organisatoren die Besucher vor: „Die Bürger bekommen die Möglichkeit, sich mit ihren spezifischen Erinnerungen an das Leben in der DDR auseinanderzusetzen und diese nachgeborenen Generationen und Neu-Görlitzern mitzuteilen“, betont Kerstin Gosewisch. Feuer und Flamme für das Projekt war spontan auch der Oberbürgermeister. Siegfried Deinege versprach, selbst mit nach persönlichen Erinnerungsstücken zu suchen: „Das Projekt ist eine große Chance für die Görlitzer: Wenn Geschichte auf diese Art plastisch dargestellt wird, bleibt sie auch jenen in Erinnerung, die nicht daran Anteil hatten.“
Dass andere als Museumsfachleute nach Exponaten kramen, ist diesmal ausdrücklich gewollt. „Für das Kulturhistorische Museum ist diese Form neu. Wir sind diesmal keine Ausstellungsgestalter, sondern vor allem Moderator, Schauplatz und Veranstaltungsort“, erklärt Museumsleiter Jasper von Richthofen. Im Mittelpunkt dieses aus Bundesmitteln geförderten Projektes stehe „das Partizipationsprinzip“. Zu Deutsch: Es geht ums Mitmachen.
Begleitprogramm
Entstehen soll dabei eine vom 18. November bis nächstes Jahr im April im Görlitzer Kaisertrutz gezeigte und auch während der Laufzeit ständig ergänzte Hauptausstellung in zwölf thematischen Abteilungen, begleitet von einem reichhaltigen Rahmenprogramm. Für diese Schau stellt das Museum die Fläche bereit – und das Team im roten Barkas schwärmt aus, um von den Görlitzern die Exponate dafür leihweise entgegenzunehmen. „Es geht dabei um das alltägliche Leben in Görlitz zu DDR-Zeiten. Gezeigt werden sollen private Erinnerungsstücke verbunden mit einer persönlichen Geschichte“, sagt von Richthofen. Es gehe dabei nicht um spektakuläre Kunstobjekte mit großem Schauwert. Das Projektteam hofft vielmehr auf eine große Vielfalt an Hausrat, Kleinmobiliar, technischen Geräten, Kleidung, Konsumgütern, Arbeitsutensilien, Auszeichnungen, aber auch an dokumentationswürdigen Fotografien, Filmen, Kassetten, Dokumenten. „Schrankwände müssen freilich zu Hause bleiben“, merkt der Museumsleiter an, dem es auch um weitere Erkenntnisse geht: Unabhängig der Exponate „wollen wir wissen, welche Erinnerungen die Görlitzer haben, was sie sich vielleicht aus der DDR zurückwünschen und worauf sie aus heutiger Sicht gern verzichten würden.“
Schon nach dem ersten Aufruf trifft das Projekt auf viel Resonanz, vor allem über die elektronischen Medien. Bis aus Ungarn sogar kündigten bereits ehemalige Görlitzer an, zur Schau beitragen zu wollen. Manche schrieben wie Peter Rietzschel via Facebook, dass es wichtig sei, an die DDR zu erinnern: „So wie meine Eltern und Großeltern sich gern an ihre Kindheit und Jugend erinnerten, so geht es vielen, die diese DDR erlebten. Es geht dabei um eine kritische Betrachtung dieser Zeit, aber auch um eine ebenso kritische Betrachtung der Art und Weise, wie heute in Schulen und Medien über diese Zeit berichtet wird. Die DDR war eben nicht nur Stasi, die meisten hier führten ein ganz normales Leben mit Gegenständen, an die wir uns heute gern erinnern.“ Andere sehen es dagegen wie Alex Heider als „Ostalgie in der sozialistischen Hängematte.“ Auch darin aber zeigt sich die Notwendigkeit des Projektes: Nichts ist für eine Ausstellung wichtiger, als eine breite Diskussion über sie.