Merken

Mut zur Lückenschließung

In der Grünen Straße in Kamenz wird eine Wohnung ohne Dachboden gebaut. Im Sanierungsgebiet. Das ist spektakulär.

Teilen
Folgen
NEU!
© Grafik: Ehrlich Architekten GbR

Frank Oehl

Kamenz. Der kleine Saumarkt an Grüner und Wallstraße ist ein Hingucker im Kamenzer Sanierungsgebiet. Jahrelang wurde der Blick auf das hübsch gestaltete Areal arg getrübt – von der dachbewachsenen, einsturzgefährdeten Ruine der Grünen Straße 19 bis 21 dahinter. Das Ärgernis verschwand irgendwann, aber eine Lücke im Straßenzug ist geblieben. Sie soll nun auf spektakuläre Weise geschlossen werden. Der Bauausschuss des Stadtrates hat am Dienstagabend einstimmig grünes Licht gegeben. Und damit Mut bewiesen.

So könnte die Ansicht von der Bautzener Straße aus aussehen.
So könnte die Ansicht von der Bautzener Straße aus aussehen. © Grafik: Ehrlich Architekten GbR

Immerhin geht es um einen Bau im Sanierungsgebiet, was eigentlich durch eine strenge Gestaltungssatzung reglementiert ist. Die historische Bausubstanz der Stadt muss geschützt werden, klar. Ein Merkmal ist dabei die sogenannte „geschlossene Bebauung“. So war bisher für Ersatzneubauten auch die Dachform vorgegeben. Davon ist im Entwurf der Grünen Straße 19 bis 21, die im Auftrag des Kamenzer Bauträgers ein Bautzner Architekturbüro vorstellte, nichts mehr zu sehen. Die Lückenschließung sieht überhaupt kein Dach mehr vor. Auch bei der Außendämmung und der Fenstergestaltung wird die Gestaltungssatzung praktisch außer Kraft gesetzt. Architekt Jörg Hehl, der berufener Bürger im Bauausschuss ist, lobte den Entwurf in höchsten Tönen: „Das ist schlicht und funktional zugleich und sehr gelungen. Die Hüter des heiligen Grals sollten sich endlich mal umstimmen lassen.“

Nicht auf alles übertragbar

Das war klar in Richtung der Rathausspitze gegangen, aber federführend für die Vorlage im Ausschuss war ja der OB selbst gewesen. „Wir haben schon mehrfach bewiesen, dass sich Modernität und historischer Bestand nicht ausschließen müssen.“ Roland Dantz nannte als Beispiele das Stadttheater und den Funktionalbau am Sakralmuseum St. Annenkirche. Es gehe mit der Vorlage zur Grünen Straße nicht um eine Art „wurzelziehenden Wandel“, dessen Wirkungen nun beliebig auf jeden Punkt der Innenstadt zu übertragen ist. „Was modern ist, ist noch nicht automatisch gut“, sagte der OB, was aber der positiven Bewertung des Entwurfes an der Grünen Straße keinen Abbruch tut. Der Neubau füge sich in die vorhandene Bebauung ein und bilde in seiner modernen Art einen interessanten Kontrast zur übrigen Bauweise. Gleichwohl sei die Auffälligkeit durch die enge Gasse und den Saumarkt davor zurückgesetzt, was auch die Architekten betonten. Mit dem dachlosen Neubau solle außerdem eine Brücke zwischen den zwei unterschiedlichen Architekturen der beiden Seitenhäuser gebaut werden.

Wie sieht es aber mit der Nutzbarkeit der geplanten Bebauung aus? Bauherrin ist eine Neu-Kamenzerin, die jetzt schon quasi um die Ecke wohnt und sich als Beigeordnete des Landrates auf eine längere Tätigkeit für den Landkreis Bautzen einstellen kann. Sie lässt eine größere einstöckige Wohnung errichten, die auf das seit 2014 fertige, teilweise mit Bruchsteinmauerwerk gebaute Erdgeschoss aufgesetzt wird. Hier sind bislang Stellplätze und Abstellräume für die Mieter der Nebengebäude eingerichtet. Dabei bleibt es im Prinzip, wobei die Neugestaltung der Grünen Straße 19 bis 21 auch einen gassenseitigen Wohneingang vorsieht.

Keine faulen Kompromisse

Für die Fassadengestaltung gibt es noch mehrere Varianten, die auch eine stärkere Strukturierung ermöglichen würden. Der Bauausschuss bat die Macher, in diese Richtung noch stärker nachzudenken. Auf einen Dachboden will sich Architekt Carsten Ehrlich aber keinesfalls begeben. „Es bringt nichts, es allen recht machen zu wollen. Ein Steildach an dieser Stelle wäre ein fauler Kompromiss.“

So bleibt es bei einem flachen Gründach, das in gewisser Weise auch begangen werden könnte. Allerdings ohne Aufbauten und dergleichen, und auch einen Sonnenschirm könne man sich nur schwer vorstellen, so der Architekt. Einen Zugang zum Dach gebe es aus der Wohnung gleichwohl, aber vor allem auch eine Treppe in den jetzt schon liebevoll gestalteten Innenhof. „Auch die sanierten Hofmauern bleiben natürlich.“

Ein Beispiel für junge Leute

Die Bauausschussmitglieder waren allesamt überrascht und dennoch recht angetan vom Vorstoß zu deutlich mehr Modernität an dieser Stelle. Hier und da ging es noch um das eine oder andere Detail, aber grundsätzlich wurde dem Entwurf einhellig zugestimmt. Besonders stark setzte sich Stadtrat Sandro Gebler ein, der sich schonmehrfach für mehr Lebendigkeit in der Kamenzer Innenstadt engagiert hat. „Hier verschwindet ein jahrelanger Schandfleck. Die Lückenschließung könnte vor allem jungen Leuten Mut machen, sich an Gebäude im Stadtzentrum zu wagen.“