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Mutprobe auf Kanal-Kopie

Olympiasieger Siegbert Horn stirbt an einem Tag, an dem in Rio gepaddelt wird. In Pirna hatte er einen Neuanfang gewagt.

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© Daniel Förster

Von Jochen Mayer

Triumph und Trauer an einem Tag: Der Franzose Denis Gargaud Chanut holte vorigen Dienstag Olympiagold mit dem Canadier im Wildwasser. Am gleichen Tag starb einer seiner Vorgänger: Siegbert Horn, Kajakslalom-Olympiasieger 1972, erlag einem Krebsleiden. Bei den München-Spielen stand das Gischt-Paddeln erstmals im Programm. Die DDR-Flotte gewann alle vier Entscheidungen, die Sportart flog aus dem Programm, kehrte erst 1992 zurück.

Der Triumph sei nur möglich gewesen, lautet eine Begründung, weil der Augsburger Kanal eine Kopie bei Zwickau hatte. Das wollte Siegbert Horn gegenüber der SZ nicht bestätigen und zeigte alte Narben an Fingerknöcheln von rauen Betonwänden. „Der Zwickauer Kanal war viel schmaler und gefährlicher als der in Augsburg“, sagte er 2004. „Die Olympiaanlage hatte erstbesten, glatten Beton. Der Muldeabfluss ließ nie so eine Strömung zu wie die Isar. Aber wir bekamen ein Gefühl für künstliche Strudel.“ Bei Trainingslagern in Augsburg spürten DDR-Olympiakandidaten die Unterschiede: „Zuerst fürchteten wir den Isar-Kanal, bald liebten wir ihn. Zwickau wurde dagegen zur Mut- und Härteprobe.“

1971 verbucht das DDR-Team mit Rang fünf den besten Platz bei vorolympischen Tests, Westdeutsche dominierten. „Vielleicht waren sie sich zu sicher“, vermutete der dreifache Weltmeister. „Sie sahen auch, welche Fortschritte wir machten. Ihre Nerven flatterten.“ Horn lag im Olympiarennen nach dem ersten Durchgang auf Rang 17. Beim Masseur machte er sich Luft, den Kopf frei. Die Bestzeit im zweiten Lauf brachte Gold. Das Olympia-Aus seines Sports führte zum Motivationsknacks, der menschliche Umgang beim Armeeklub in Leipzig deprimierte. Er wechselte als Sportlehrer zur Uni Leipzig.

Die Wende brachte die Kündigung. Horn schulte um, machte Abschlüsse als Physiotherapeut und in Naturheilkunde. Als Praktikant in Krankenhäusern fing er ganz unten wieder an, überwand Tiefschläge. In Pirna gelang privat und beruflich ein Neuanfang. In seiner Physiotherapie wollte er kein Gesundheitsapostel sein, wusste aber, wie Körper und Geist zusammenspielen, wie Kraft aus innerer Ruhe wächst. Die Erfahrung des Olympiasiegers: „Selbst herauskommen aus Tiefen, das gibt Lebensstärke.“ 2014 öffnete Horn eine Praxis in Elsterwerda. Er wurde 66 Jahre alt, hinterlässt Ehefrau und drei Kinder sowie zwei erwachsene Kinder aus erster Ehe.