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Neue Kohle für Sachsens Ökozug

Der Freistaat fördert den Ecotrain der Erzgebirgsbahn mit weiteren 60 Millionen Euro. Das Pilotprojekt für ganz Deutschland hat jedoch zwei Jahre Verspätung.

Von Michael Rothe
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Noch steht der umgebaute Hybridzug im Ex-RAW Chemnitz. Eigentlich sollte er schon 2018 durch das Erzgebirge rollen.
Noch steht der umgebaute Hybridzug im Ex-RAW Chemnitz. Eigentlich sollte er schon 2018 durch das Erzgebirge rollen. © dpa/Jan Woitas

Vom Fernverkehr abgehängt, könnte Chemnitz beim umweltfreundlichen Regionalverkehr schon bald den Ton angeben. Denn bei der dort ansässigen Erzgebirgsbahn läuft unter dem Namen Ecotrain ein richtungsweisendes Pilotprojekt. Mit dem Hybridzug soll die Bahn auch auf Nebenstrecken umweltfreundlicher werden. Zur Umsetzung stellt Sachsen 60 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung, verteilt über zehn Jahre. Das hat die sächsische Staatsregierung am Dienstag beschlossen. Das Vorhaben ist Teil des geplanten Forschungscampus’ für automatisiertes Zugfahren, dem Smart Rail Connectivity Campus in Annaberg-Buchholz.

Für jenen Ecotrain wurde ein Hybridantrieb entwickelt, der den herkömmlichen Dieselmotor ersetzt – ein Elektroantrieb aus einer Dieselmotor-Generator-Einheit und einer Lithium-Ionen-Batterie. Wo es Oberleitungen gibt, erfolgt das Nachladen im Betrieb über Stromabnehmer und während der nächtlichen Pausen über Kabeleinspeisung. Ferner wird die beim Bremsen freiwerdende Energie gespeichert und später wieder für den Antrieb genutzt.

Für die Innovation war die DB Regionetz Verkehrs GmbH 2016 im Rahmen des Bundeswettbewerbs „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ prämiert worden. Die Bahntochter hat gemeinsam mit den Technischen Universitäten Chemnitz und Dresden und mit dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in der Landeshauptstadt – je nach Einsatzgebiet – drei bedarfsgerechte Varianten für die Triebzüge VT 642 von Siemens entwickelt, von der bundesweit rund 600 unterwegs sind. Derzeit wird ein Fahrzeug als Prototypen der Grundversion umgebaut. Ziel sei die Zulassung durch das Eisenbahn-Bundesamt noch 2019 und im Forschungs- und Technologiezentrum Chemnitz bis 2021 eine Kleinserie von zwölf Zügen umzurüsten, sagt Wirtschaftsstaatssekretär Hartmut Mangold. Im Zuge dessen solle das einstige Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) zum Innovationsstandort entwickelt werden. „In den vergangenen vier Jahren ist die Belegschaft dort bereits von 14 auf 80 Mitarbeiter gewachsen“, sagt Lutz Mehlhorn, Chef der Erzgebirgsbahn.

Ausgleich für höhere Betriebskosten

Staatssekretär Mangold nennt drei Vorteile des Ecotrains: Das RAW bekomme eine neue und nachhaltige Aufgabe, Sachsen leiste einen Beitrag für geringeren Ausstoß an Kohlendioxid (CO2) „und für mich das Wichtigste: Wir sind Referenzregion für ein neues technologisches Produkt“.

„Testfahrten sollen im 2. Halbjahr erfolgen, Termine offen“, heißt es von der Deutschen Bahn auf SZ-Anfrage. Im Anschluss daran solle das Zulassungsverfahren mit dem Eisenbahn-Bundesamt starten.

Zunächst ist der Regelverkehr zwischen Annaberg-Buchholz und Chemnitz ab 2021 geplant. In der Folge sei das System aber nicht nur auf die drei anderen Linien der Erzgebirgsbahn übertragbar, sondern auf viele der bundesweit nicht elektrifizierten 13.000 Kilometer Bahnstrecke. 1.300 Dieselzüge legen dort laut Deutsche Bahn umgerechnet 6.250 Erdumrundungen zurück – mit entsprechendem Ausstoß an CO2 und Stickoxiden. Da die vorzeitige Ausmusterung der auf 30 Jahre ausgelegten Züge vermieden werde, spare die Branche Milliarden an Investitionen, Wartungs- und Energiekosten, heißt es. Alle Ecotrains ermöglichten rein elektrisches und damit leiseres und abgasfreies Fahren in Wohngebieten.

Laut einer Antwort von Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) auf eine Anfrage der Grünen im Landtag wurden für das Umrüstprojekt bislang gut 18,6 Millionen Euro Förderung beantragt.

Die neue Finanzspritze ist laut Mangold nötig, weil die Triebwagen im Betrieb teurer sind als herkömmliche: pro Zugkilometer 12,70 gegenüber zehn Euro. Die Landesgelder würden nur die Differenz ausgleichen, so der Staatssekretär. Zwar wolle der Bund Verkehrsprojekte zur CO2-Einsparung mit 36 Millionen Euro fördern. Der für Sachsen zu erwartende Anteil sei aber ein Tropfen auf den heißen Stein. „Darauf wollen wir uns nicht verlassen, wir müssen es selbst in die Hand nehmen“, sagt Mangold. Für die zusätzliche Förderung sei eine Änderung der ÖPNV-Finanzierungsverordnung nötig, da bisherige Regelungen Mehrkosten für innovative Antriebe nicht abdeckten und es noch keine Anreize zum Einsatz umweltfreundlicher Fahrzeuge gebe. Das Geld solle der Zweckverband Verkehrsverbund Mittelsachsen erhalten.

Der Regelbetrieb könnte 2021 starten, wenn alle Züge umgerüstet sind. An Grünes Licht vom Eisenbahnbundesamt noch in diesem Jahr glaubt Erzgebirgsbahnchef Mehlhorn nicht. Laut Staatssekretär Mangold gibt es auch keinen Zeitdruck. Weil es ein Vorhaben von bundesweiter Bedeutung sei, sei Qualität wichtiger. Bereits jetzt hat das Projekt zwei Jahre Verspätung. Grund: Probleme mit Stromlaufplänen. 2017 zog die Bahn die Reißleine, wechselte die Software und begann von vorn.