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Neuer Brief an Meißen

Meißen sorgt in der Flüchtlings-Debatte immer wieder für negative Schlagzeilen. Ehemalige Meißner wenden sich daher in einem offenen Brief an die Bürger der Stadt – nicht zum ersten Mal.

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© Symbolbild/Claudia Hübschmann

Meißen. Liebe Meißnerinnen und Meißner, auch wir – ebenfalls abgewanderte Meißnerinnen und Meißen – schreiben euch, weil wir unsere Heimat gern mit Freude erwähnen und Menschen nach Meißen einladen wollen. Und wir glauben, das wollen auch die meisten Meißner. Aber, wir alle kennen auch die unsympathischen Töne in der Stadt. Wir alle haben sie viele Male gehört. Und darauf nicht mit der nötigen Empörung reagiert!

Nun kennen wir das Resultat: es zündelt in Meißen und in Sachsen. Und ein Großteil der sächsischen Gesellschaft scheint diese Taten immer noch zu tolerieren. Es wird still und heimlich oder auch ganz offen zugestimmt, wenn’s mal wieder brennt. Man könne die zündelnden Brandstifter schon ein wenig verstehen. Zwar fährt man selbst jede Woche rüber nach Bayern zum Arbeiten und die eigenen Kinder sind längst der Arbeit hinterher gezogen. Aber die Ausländer, die seien Schmarotzer, wenn sie das Gleiche wollten. Bei all dem bewahre Gott: “Rechts”, sind die Sachsen nicht! “Wir doch nicht! Wir Sachsen sind ganz weltoffen!”

Liebes Meißen. Wir hängen an unserer Geburtsstadt. Und trotzdem haben wir inzwischen oft Bauchschmerzen, wenn wir hierhin zurückkommen. Wir sehen jetzt eine Stadt, in der die lautesten Schreihälse die öffentliche Wahrnehmung dominieren. Wir sehen eine Stadt, in der Nächstenliebe und Solidarität nur aus den Reihen weniger Bürger wahrnehmbar sind. Wir sehen eine Stadt, die sich selbst über Brandanschläge nicht empört.

Mit dem Blick auf unser altes Meißen fragen wir uns: Warum werden reale politische Probleme auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen? Unzufriedenheit mit Schulen, schlecht bezahlte Arbeit, niedrige Hartz-IV-Sätze, der demographische Wandel mit niedrigeren Renten… diese Probleme gibt es. Aber das alles hat nichts mit den Neuankömmlingen zu tun.

Wir fragen uns auch: Warum gehen 50 Prozent der Menschen nicht wählen? Warum klinken sie sich aus der politischen Willensbildung aus? Warum beschweren sie sich dann aber, dass ihre Interessen nicht vertreten werden?

Und vor allem fragen wir uns: Warum wird der rote Faden des Grundgesetzes nicht beachtet? Wieso steht Meißen für die Grundwerte unserer Demokratie nicht ein, wenn in den Straßen der Stadt “Heimatschützer” gegen unser aller Freiheit, Gleichheit, Menschenrechte und Solidarität demonstrieren – oder wenn sogar Häuser brennen?

Liebe Meißner. Lasst uns nicht wegschauen, wenn verächtlich und voller Hass über jene Menschen gesprochen wird, die jetzt auf unsere Hilfe angewiesen sind. Wenn ihr gegen rechtes Gedankengut seid, dann sagt es. Sagt es laut! Geht zu Gegendemos! Schreibt es in der Zeitung! Sagt es den Politikern, wenn sie das Problem verharmlosen. Sagt es euren “Heimatschutz”-Nachbarn! Sagt es den freundlichen Verwandten, die am Geburtstagstisch über die „Asylanten“ herziehen! Sagt es auf der Straße, wenn ihr die üblichen abfälligen Floskeln hört!

Nur wenn ihr es sagt, kann der Rest der Republik, kann Europa, kann die Welt verstehen, dass es mitten in Sachsen eine großartige Stadt gibt. Eine Stadt, die man nicht verteidigen muss, weil sie mit ihrer Offenheit und sympathischen Art für sich selbst spricht.

Christiane Krauß, Braunschweig

Claudia Kotte, Dresden

Claudia Leideck, Dresden

Franziska Hartmann, Dresden

Friederike Merkel, Dresden

Henryk Schwäbe, Wiesbaden

Johannes Kunath, Berlin

Katrin Leuchtenberger, Lingen

Katrin Richter, Berlin

Maria Donath, Berlin

Milena Müller, Freital

Peter Voß, Dresden

Rico Zocher, Berlin

Sascha Schrauber, Stuttgart

Sebastian Hübner, Aachen

Tim Tschapek, Dresden

Torsten Menzel, Berlin