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Niedergang eines Bahnhofs

Erst scheitert die Stadt Radebeul mit dem Ankauf des Bahnhofs Kötzschenbroda. Dann gibt es immer wieder nur Ankündigungen des neuen Besitzers.

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© Norbert Millauer

Von Peter Redlich

Radebeul. Den Anblick haben täglich Tausende in Radebeul-West, aus der vorbeifahrenden Bahn, beim Warten auf dem Bahnsteig oder einfach nur im Vorbeigehen vom Bürgersteig aus. Der zerfallende Bahnhof Kötzschenbroda. „Unmöglich, ein Trauerspiel, wann passiert endlich was?“, sind die Worte und Sätze, die dabei am häufigsten gesprochen werden. Die Verfallsgeschichte.

Nach Mietern für den Bahnhof Kötzschenbroda wird noch gesucht.
Nach Mietern für den Bahnhof Kötzschenbroda wird noch gesucht. © Norbert Millauer

Die Geschichte: Es war das wichtigste Gebäude in Kötzschenbroda

Einen Bahnhof hatte Kötzschenbroda, seit es die Bahnstrecke zwischen Dresden und Leipzig gab. Mit der Bahn kaum der Aufschwung, entwickelte sich der heutige Ortsteil damals zur Kleinstadt. Industrie entstand neben bereits bestehender Landwirtschaft. Bewohnerschaft und Arbeitsplätze nahmen mit der Eisenbahnverbindung und dem modernen Bahnhof zu, der neu aufgebaut von der Königlich-Sächsischen Staatseisenbahn am 16. Juni 1896 eingeweiht wurde. Der Bahnhof bestand damals aus einem rege genutzten Empfangs- und Abfertigungsgebäude, einer Wartehalle, Bahnsteigüberdachungen und einem Eisenbahnerwohnhaus.

Jahrzehntelang wurde der Bahnhof gut besucht. Auch noch nach 1990. Allerdings vermietete die Bahn schon in den Folgejahren Teile des Gebäudes. Hier befand sich die Taxizentrale Radebeuls und auch eine Berühmtheit – das mit neun Sitzplätzen kleinste Kino der Welt. Der Niedergang begann, als die Bahn den Bahnhof Kötzschenbroda im Paket mit anderen Immobilien an eine britische Gesellschaft verkauft hatte. Die hatte kein Interesse, wollte nur den Weiterverkauf.

Das Kaufszenario: Hin und Her bei Stadt und Stadtrat um den Erwerb

Die ersten Ideen, den Bahnhof Kötzschenbroda als Stadtimmobilie zu erwerben und zum Mittelpunkt eines weiteren Sanierungsgebietes in West zu machen, gab es schon seit 2007. Vier Jahre später scheitert die Bewerbung als Sanierungsgebiet. Es wird ein neuer Anlauf genommen. Die Stadt bewirbt sich ernsthaft um den Ankauf des Bahnhofs. Der Radebeuler Architekt Thomas Scharrer sucht für sein sich entwickelndes Büro mehr Platz und will sich mit der Stadt die Immobilie an der Güterhofstraße teilen.

Der Bahnhof wird jetzt von der britischen Gesellschaft Patrol Capital angeboten. Die Stadt kann in Verhandlungen den Kaufpreis – wegen des Bauzustandes – von 225 000 Euro auf 170 000 Euro drücken.

Doch im Stadtrat entbrennt 2013 bis 2014 immer wieder die Diskussion um die Folgekosten. Radebeuls OB Bert Wendsche (parteilos) nennt mögliche Aufwendungen – ähnlich dem Bahnhof in Ost – von über drei Millionen Euro. Stadträte von Bürgerforum/Grüne, SPD und Die Linke sehen die Stadt damit überfordert und verlangen zuerst ein Nutzungskonzept.

Der Radebeuler Denkmalschutzverein schaltet sich ein und lädt Bürger ein, sich zu möglichen Inhalten für den Bahnhof zu äußern. Die Stadtbibliothek West sollte einziehen, am Vorplatz ein Café, Bürger wollen das kleine Kino behalten und schlagen Touristinfo, Fahrkartenverkauf, öffentliche Toilette und Räume für die Musikschule vor. Architekt Scharrer wird mit Vorplanungen zur Neugestaltung des Bahnhofs von der Stadt beauftragt.

Es wird weiter diskutiert. Architekt Scharrer dauert das alles zu lange. Er springt vom gemeinsamen Projekt mit der Stadt ab. Rathausspitze und Stadtrat erfahren, dass ein Privatmann den Bahnhof kaufen will. Erneut Diskussion im Stadtrat. CDU-Fraktionsführer Ulrich Reusch sagt, die Stadt solle notfalls im Alleingang den Bahnhof erwerben und sich einen neuen Partner suchen. SPD-Fraktionschef Gey fordert die Stadt auf, ihr Vorkaufsrecht rasch noch geltend zu machen. Das alles scheitert. Der Bahnhof wird an einen bei Dresden ansässigen Landwirt verkauft.

Die Absichtserklärungen: Gute Ideen des Privatmannes, aber mehr nicht

Der neue Bahnhofsbesitzer, der nicht öffentlich auftreten möchte, nennt Anfang 2015 seine Absichten mit dem Gebäude. Zur Güterhofstraße hin sollten die Fenster bodentief erweitert werden und Läden einziehen. Am Bahnhofsvorplatz könnte sich aus dem Gebäude heraus ein Café mit Außenplätzen etablieren. Im Gebäude selbst sollte ein Biomarkt angesiedelt werden; dort möchte der Eigentümer auch Produkte aus der eigenen Landwirtschaft anbieten. Der Investor führt Gespräche mit Rathausführung und Denkmalbehörde auf.

Ende 2015 ist der Notarvertrag über den Verkauf des Bahnhofs an den neuen Besitzer besiegelt. Er bekommt die Schlüssel für das Gebäude. In den Folgemonaten veranlasst der Eigentümer an dem zuvor vernachlässigten Haus Notsicherungen. Zugleich sucht er Mieter für den Bahnhof.

Im ersten Anlauf kündigt der Bahnhofeigner den Baubeginn für Frühjahr 2016 an. Die Stadt Radebeul treibt die Planungen für das Sanierungsgebiet West voran. Im Stadtrat herrscht Erwartungsfreude zu den Plänen für den Bahnhof. Zumal dieser auch äußert, das Parkhaus in die Pläne einbeziehen zu wollen.

Der aktuelle Stand: Ankündigungen und weiterer Verfall des Bahnhofs

2017, im April, lässt der Eigentümer des Bahnhofs mitteilen, dass die neuen Mieter „so gut wie feststehen“. Der Wartesaal mit seinen Säulen solle erhalten bleiben. Gute Gespräche mit den Denkmalpflegern seien gelaufen. Baustart solle noch 2017 sein.

Ende 2017, das Sanierungsgebiet ist beschlossen. Es gibt staatliche Fördermittel bis 2023. Der Besitzer äußert Kaufinteresse am Bahnhofsvorplatz. Erneut eine Ankündigung, dass bis April Klarheit herrschen solle. Nichts passiert, außer dass der Bahnhof weiter verfällt.