Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Merken

Patrouille im Hauptbahnhof

Herrenlose Gepäckstücke, Drogenjunkies, Kriminelle: Für die Bundespolizei geht es auf Streife immer um die Sicherheit.

Teilen
Folgen
NEU!
© Tobias Wolf

Tobias Wolf

Dresden. Schon von Weitem fallen die Fahrräder mit den Taschen vor dem Café in der Bahnhofshalle auf, nur die Besitzer sind nicht zu sehen. Martin Liebelt greift zum Funkgerät, ist sofort mit seinem Kollegen Heiko Süßmilch vor Ort. Sieht nach Touristen aus. Jetzt muss es schnell gehen. Im Café finden die Bundespolizisten die Radler. Sie hatten das Gepäck die ganze Zeit im Blick. Alles gut. Keine Gefahr. Lässt sich das nicht schnell klären, müsste die Bahnhofshalle gesperrt werden.

Illegale Einwanderer werden in der Bundespolizei-Inspektion registriert und müssen ihre Fingerabdrücke abgeben.
Illegale Einwanderer werden in der Bundespolizei-Inspektion registriert und müssen ihre Fingerabdrücke abgeben. © Tobias Wolf

Aus Sicherheitsgründen bleibt in der Regel nur eine Viertelstunde, um die Besitzer herrenlosen Gepäcks zu finden. Denn Liebelt und Süßmilch wollen den Extremfall verhindern: einen Anschlag mit Kofferbomben. „Fünf Gramm TNT-Sprengstoff, das ist so groß wie eine Erbse, reichen, einen Koffer zu zerstören“, sagt Liebelt, während seine Augen die Umgebung mustern. „In der Größe einer Zigarettenschachtel droht massiver Schaden.“ Lebensgefahr für alle, die in der Nähe sind.

2015 fanden Bundespolizisten 31 Gepäckstücke ohne Besitzer, in diesem Jahr sind es schon 41. „Das ist oft Unachtsamkeit, aber wir sind sensibel“, sagt Liebelt. Erst am Vortag war der Bahnhof gesperrt, weil ein Koffer einsam herumstand. Der 39-jährige Profi ist seit 1993 dabei, hat schon Castortransporte begleitet und militante Atomgegner festgenommen. Partner Heiko Süßmilch kam ein Jahr später zum Bundesgrenzschutz, wie die Behörde damals hieß. Beide haben eine Spezialausbildung, die Gefechtsübungen der Bundeswehr ähnelt. Die Männer checken die Halle. Dichtes Gedränge. Pendler quellen aus Regionalbahnen. Die Augen gehen nach links und rechts, es gilt, das wichtige Detail aus der Flut der Eindrücke herauszufiltern.

Freundliche Dienstleistung

Im Wartesaal neben der Gepäckaufbewahrung dösen ein paar Männer. Ein Mittsechziger fragt Süßmilch im Durchgang zur Haupthalle nach der Tourist-Information. Der Polizist deutet auf ein Büro am Ende der Halle. Die freundliche Dienstleistung ist die nette Seite des Jobs. Nun erregt ein Jugendlicher auf dem Bahnsteig die Aufmerksamkeit der Polizisten. Es ist erstmal nur ein Bauchgefühl, weil hier immer wieder illegale Einwanderer ankommen.

Für eine Reise hat der junge Mann ein bisschen wenig Gepäck dabei. „Guten Morgen, Bundespolizei, die Papiere bitte.“ Liebelt gibt die Daten per Funk durch. Kollegen im Revier gleichen sie mit einer Datenbank ab. Süßmilch mustert den Jüngling. Einer sichert immer und behält Hände und Mimik des Gegenübers im Blick. Über Funk kommt Entwarnung. Der Ausweis des 22-jährigen Asylbewerbers aus dem Irak ist echt. Die Beamten verabschieden sich freundlich. Nun geht es vor die Tür. Auf dem Fußweg endet der Patrouillenbereich an der Traufkante, also da, wo der Regen vom Dach auf den Fußweg tropft. Deshalb jagen sie keine Parksünder, das macht die Dresdner Polizei. „Aber wir sprechen sie an“, sagt Liebelt und bekommt prompt Gelegenheit dazu. Vor dem Eingang an der St.Petersburger Straße steht ein Auto, obwohl dort Parkverbot gilt. Es dauert ein bisschen, bis der Polizist den Besitzer überzeugen kann, wegzufahren.

Bußgeld fällig

Die Streifenrunde ist fast vorbei. Am Bahnsteig 17 erwartet eine asiatische Reisegruppe den Zug von Prag nach Hamburg. Liebelt und Süßmilch ebenfalls. Sie kennen den Fahrplan, wissen, dass er verspätet ist. An Bord sind Kollegen und Zöllner, die den Zug von der Grenze bis Dresden begleiten. Vielleicht brauchen sie Unterstützung. Aber es ist alles in Ordnung. Eine illegale Einreise gab es zumindest mit diesem Zug nicht. Sonst hätte die Inspektion neben dem Bahnhof jetzt Arbeit: Identität feststellen, Registrieren und in eine Erstaufnahme-Unterkunft bringen. Drogenschmuggler setzen eher auf die S-Bahn, wohl, um inmitten von Ausflüglern unterzugehen.

Das nächste Detail löst keine Freude aus. Der junge Pole vor der Anzeigetafel scheint gleichzeitig Kaffee und Bier zu trinken, aus der Umhängetasche lugt eine offene Flasche Wodka hervor. Ein strafrechtliches Problem ist das trotz der frühen Stunde nicht, der Schriftzug ACAB auf dem Pullover aber schon. Übersetzt: Alle Polizisten sind Bastarde. Sonst nutzen Links- und Rechtsextremisten das als Beleidigung. In Dresden sind dafür 150 Euro Bußgeld fällig. Der 21-Jährige grinst, sagt, das sei in Polen kein Problem, zieht den Pullover aber aus. Die Anzeige gibt es trotzdem. Es sind einige, die den Männern auf Streife begegnen und schon morgens alkoholisiert sind.

Reisende belästigt

Wie der Dresdner, der Bahnhofsverbot hat. Er hatte Reisende belästigt. Liebelt und Süßmilch treffen ihn am Seiteneingang. Der Mann, speckiger Bart, tiefe Furchen im Gesicht und eine Alkoholfahne, ist eigentlich erst 32, würde aber glatt für Mitte Fünfzig durchgehen. Die Polizisten überzeugen ihn, draußen zu bleiben. „Man kennt seine Pappenheimer“, sagt Süßmilch.

Täglich sind sie mit all dem konfrontiert, was die meisten eher aus dem TV kennen. Da ist die 26-jährige Dresdnerin, die sich mit Diebstählen ihren Crystal-Konsum finanziert, wie Mitte vierzig aussieht und wegen der harten Droge wohl eine schwere Psychose hat. Wird sie von den Polizisten angesprochen, kann es passieren, dass sie um sich schlägt, sagt Liebelt. „Sie saß schon bei uns in der Zelle und fragte, ob wir auch die ganzen Vögel sehen würden, die sie gerade sieht.“ Es klingt nach echtem Bedauern. Ronny, ein regelmäßiger Klient, eigentlich Psychiatriepatient, fährt ständig nach Berlin, feiert tagelang auf Drogen und irrt hinterher im Bahnhof umher.

Es sind die Härtefälle der Gesellschaft, die den Bundespolizisten immer wieder begegnen. „Man darf aber nicht alles zu nah an sich ran lassen und muss über Extremsituationen mit Vertrauten reden.