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Der schwimmende Streifenwagen

Die Wasserschutzpolizei sorgt für Ordnung auf der Elbe. Doch manche sind einfach unbelehrbar.

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© Katja Frohberg

Jörg Stock

Meine Rettungsweste sitzt. Was soll ich tun, wenn ich über Bord gehe? „Ruhe bewahren“, sagt Jens Große. Er trägt weiß und blaue Schulterstücke mit Goldstreifen. Er sieht aus wie ein Dampferkapitän. Aber er hat eine Pistole am Gürtel. Herr Große ist Polizist. Sein Revier ist die Wasserstraße. „Leine los!“, tönt es vom Bug. Große legt die Hand auf den Gashebel. „Nicht erschrecken“, sagt er. Zweimal achtzig PS quirlen das Elbwasser. Die Bootsnase steigt aus den Wogen, der Schub drückt mich in den Sitz. Die Patrouille beginnt.

Die beiden patrouillieren im Einsatzboot „Cat“, ...
Die beiden patrouillieren im Einsatzboot „Cat“, ... © Katja Frohberg
... kontrollieren auch Angler wie den Welsfischer René Riegert ...
... kontrollieren auch Angler wie den Welsfischer René Riegert ... © Katja Frohberg
und reden Paddlern ohne Rettungswesten ins Gewissen.
und reden Paddlern ohne Rettungswesten ins Gewissen. © Katja Frohberg

Die Wasserschutzpolizei sorgt für Ordnung auf der Bundeswasserstraße Elbe. Dass es hier eine Ordnung gibt, so wie im Straßenverkehr an Land auch, weiß längst nicht jeder, sagt Polizeihauptkommissar Große. Mancher Hobbykapitän wähnt sich in der großen Freiheit. „Die Leute denken: Ich bin auf dem Wasser, da ist alles gut.“ Die Sorglosigkeit kann sich bitter rächen. Auf dem Fluss zu fahren ist in etwa so, wie ohne Bremse einen Abhang hinabzurollen, sagt Große. „Stoppen geht nicht.“

Jens Große führt den Wasserschutzpolizei-Abschnitt Dresden. Seine Einheit be-streift gut achtzig Flusskilometer zwischen Meißen und Schmilka. Voriges Jahr hat sie knapp tausend Ordnungswidrigkeiten aufgedeckt – Verstöße gegen das Schifffahrtsrecht, technische Mängel, fehlende Ausrüstung. Auch bei Unfällen rückt der Wasserschutz aus. In diesem Jahr sind schon zwei Paddler ertrunken. Dazu kommt ein halbes Dutzend Beinahe-Katastrophen, meistens nach Kollision mit Fahrwassertonnen.

Wir tunneln die Pirnaer Stadtbrücke. Mandy Schöneck, die Polizeiobermeisterin an Großes Seite, deutet aufs Gekräusel am Pfeiler. Strömung. Die Elbe sieht immer so lieb aus, sagt sie. Aber sie hat Bärenkräfte, zieht ein Paddelboot im Nu unter eine Tonne und gibt es nicht mehr her. Ein Kanu, das Anfang Juli in Bad Schandau kenterte, musste ein Kran des Schifffahrtsamts befreien, so fest hatte es sich verkeilt.

Der Paddelverkehr auf dem Elbstrom wird immer dichter, so scheint es der Polizistin. Allein in ihrem Abschnitt operieren etwa zwanzig Bootsvermieter. An diesem Morgen aber ist der Fluss ziemlich leer. Da kommt an backbord ein kleines blaues Faltboot auf. Mandy spät durchs Fernglas nach dem Fahrzeug. Ihr Entschluss: Kontrolle.

Die Faltbootbesatzung, Vater und Sohn, ist unterwegs nach Radebeul. Ihrem Boot fehlt die Kennzeichnung. Der Vater staunt. Hat er neulich nicht im Fernsehen gesehen, dass ein mit Muskelkraft betriebenes Boot kein Kennzeichen braucht? Ein amtliches Kennzeichen nicht, sagt Mandy. Einen Namen schon. Der Schriftzug soll mindestens zehn Zentimeter groß sein. „Suchen sie sich was Schönes aus“, sagt Jens Große. „Dicke Flunder oder Sturmvogel oder so was.“ Der Verstoß kostet eigentlich 35 Euro Strafe. Heute soll die Ermahnung genügen.

Wir sausen weiter, mit vierzig auf dem Tacho, hüpfen über die Heckwelle des Dampfers „Pillnitz“. Der Kapitän grüßt. Es werden noch viele Kapitäne grüßen. Auf dem Wasser herrscht ein spezielles Zusammengehörigkeitsgefühl, sagt Jens Große. „Wir sind alle abhängig vom selben Element.“ Am Prossener Hafen entdecken wir im Uferkraut das Rutenspalier eines Anglers und halten darauf zu. Fischereikontrollen gehören zum Amt der schwimmenden Polizei. Der Fischer wird sauer sein, denke ich, wenn wir ihm die Beute vergraulen. Aber nein. Er hilft sogar beim Anlegen und Aussteigen, holt dann beflissen seine Dokumente hervor – Fischereischein, Erlaubnisschein, Fangbuch.

René Riegert campiert schon seit gestern an diesem Fleck. Der Sebnitzer ist auf Wels aus. Welse angeln heißt Geduld haben. Lohnt sich das? Er lächelt vielsagend. „Man hofft es.“ Alles in Ordnung mit den Papieren. Aber die Plane in Riegers Unterschlupf muss raus. Sobald der Wetterschutz einen Boden hat, ist er kein Wetterschutz mehr, sondern ein Zelt. Zelten ist verboten im Landschaftsschutzgebiet. Und das Schlauchboot? Namenlos wie zuvor das Paddelboot. Der Fischfreund gelobt, es sofort zu beschriften.

Kaum wieder abgelegt, tuckert ein Motorboot aus Prag heran. Miroslav und Marina Smolik sind seit vier Tagen auf dem Fluss mit Ziel Dresden. Jens Große, der fließend tschechisch spricht, studiert das Bootszertifikat, plaudert nebenher ein wenig, empfiehlt zum Mittagessen ein Lokal am Johannstädter Elbufer. Dass sie kontrolliert werden, ist für die beiden Tschechen normal. Erst gestern gab es eine Polizeikontrolle in Decin, sagt Marina. Kein Problem.

Zurück geht’s kurzzeitig mit Höchstgeschwindigkeit von 60 Stundenkilometern. Es fühlt sich an wie 120. In einiger Entfernung ein Schlauchboot. Kinder sind darauf. Sie winken. Wir winken auch. Dann stutzt Mandy, lässt wenden.

„Manche sind unbelehrbar“

Im Boot sitzt eine Familie aus Braunschweig. Vater, Mutter, zwei Jungs, sechs und neun Jahre alt, und ein Mädchen, vielleicht zwei. Schwimmwesten? Fehlanzeige. Die Jungs sind „Freischwimmer“, sagt die Mutter. Und die Kleine? Die werde man schon nicht ins Wasser fallen lassen. Man habe versucht, ihr eine Rettungsweste anzuziehen. „Aber sie hat geschrien wie abgestochen.“ Da hat man es bleiben lassen.

Die Polizisten müssen schlucken. Mögen die Jungs auch schwimmen können. Was, wenn sie beim Sturz ins Wasser auf einen Stein schlagen? Bewusstlos werden? „In der Elbe können sie nichts ausrichten“, beschwört der Hauptkommissar die Eltern. „Das ist kein Schwimmbad hier!“ Mandy schaut auf das Kleinkind im Arm der Mutter. „Sie machen sich ewig Vorwürfe, wenn was passiert!“

Einen Strafzettel können die Beamten nicht schreiben, denn Rettungswesten sind kein Muss auf diesem Schlauchboot. Selbst wenn: Eine Westentragepflicht gibt es sowieso nicht. Nur das Verantwortungsgefühl. Normalerweise setzt bei so einem Gespräch der Aha-Effekt ein, sagt Jens Große. Aber diesmal hat er davon nichts gemerkt. „Manche sind einfach unbelehrbar.“