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Böses Erwachen nach zwei Tabletten

38 Jahre ist eine Freitalerin unfallfrei Auto gefahren. Doch dann kommt es zu einem teuren Crash. Mit weiteren Folgen.

Von Louis Venus
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Symbolbild.
Symbolbild. © dpa

Mit einem Taschentuch wischt sich Kerstin P.* eine Träne aus dem Gesicht. Fünf Minuten vor Prozessbeginn am Amtsgericht Dippoldiswalde steht sie mit ihrem Rechtsanwalt vor dem Gerichtssaal. Ein letztes Gespräch vor der Verhandlung. Mit den rot gefärbten Haaren, ihrem mintgrünen Oberteil und einem Gesichtsausdruck, aus dem man von Anfang an eine Mischung aus Reue und Verzweiflung erkennen kann, wirkt die 78-Jährige nicht wie eine Straftäterin. Wie sie später selbst schluchzend anmerken wird, sei sie selbst die Gestrafte. 

Fahruntüchtig mit dem VW unterwegs

Vor Gericht muss sie sich wegen Gefährdung des Straßenverkehrs und Fahrens unter Einfluss von Beruhigungsmitteln verantworten. Am Morgen des 15. Mai sei Karin W. in Freital mit einem VW Golf gefahren und dabei mit drei umstehenden Autos kollidiert. Dabei habe sie unter Einfluss von Beruhigungsmitteln gestanden. Zwei Tabletten mit dem Namen Tavor, die vor allem bei Panikattacken und Schlafstörungen verabreicht wird, soll sie genommen haben. "Unter näherer Selbstbetrachtung hätte der Angeklagten ihre Fahruntüchtigkeit auffallen können", erklärt der Staatsanwalt bei der Anklageverlesung. Des Weiteren beziffert er den verursachten Sachschaden mit etwas mehr als 8.000 Euro. 

Aufgeregt vor dem Abschied aus dem Beruf

Obwohl Frau P. bereits seit zwölf Jahren in Rente sein könnte, hat die 78-Jährige noch bis ins hohe Alter gearbeitet. Zuletzt in der Kantine eines Krankenhauses, in dem sie ein Vierteljahrhundert tätig war. Der 15. Mai war der Tag, an dem sie sich aus dem Berufsleben und damit von ihren Kollegen verabschieden wollte. Einen Kuchen hat sie gebacken und aufgeregt sei sie gewesen. So aufgeregt, dass sie in der Nacht davor kein Auge zugetan hat. Um an jenem Morgen schließlich der Aufregung Herr zu werden, entschloss sich die frisch gebackene Rentnerin, eine der Beruhigungstabletten zu nehmen, die sie vor dreieinhalb Jahren bei der Beerdigung ihres Mannes bekommen hat. Als die eine Tablette nicht die gewünschte Wirkung zeigte, nahm sie eine zweite. Dass jene dann eine zu viel war, wurde ihr spätestens nach der Kollision mit den drei Autos klar. 

Mehrere Monate Führerscheinentzug

Der Anwalt der Seniorin argumentiert, dass ihre Mandantin nicht vorsätzlich gehandelt habe. Sie sei zudem über 38 Jahre unfallfrei gefahren. Zu guter Letzt will er einem Führerscheinentzug vorbeugen und gibt zu Protokoll,  dass die 78-Jährige ihre behinderte Schwester betreut und dieser Tätigkeit ohne Auto nicht mehr nachgehen kann. Auch habe der Vorfall bei der Angeklagten einen Lerneffekt ausgelöst - in ihrem Namen verspricht der Verteidiger: Derartiges werde nie wieder vorkommen. 

Auch die Seniorin führt ihre weiße Weste und darüber hinaus ihre 63 Jahre im Arbeitsleben ins Feld. Was passiert sei, mache ihr auch ohne einen Urteilsspruch zu schaffen. "Ich bin bestraft, ich bin einfach bestraft", sagt sie unter Schluchzen im Gerichtssaal. 

Doch einen Freispruch gibt es trotzdem nicht: Richter Christian Mansch verurteilt die Frau zu einer Geldstrafe von knapp 2.000 Euro (55 Tagessätze à 35 Euro) und zu acht Monaten Führerscheinentzug. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 

*Name geändert

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