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Dresden-Prag: Die neue Bahnstrecke der Superlative

Zwischen Heidenau und Pirna soll künftig eine neue Trasse abzweigen – mit dem dann längsten Eisenbahntunnel Deutschlands.

Von Thomas Möckel
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Neubaustrecken-Projektleiter Kay Müller mit Streckenvarianten: Allein der Bau des Tunnels dauert zehn bis zwölf Jahre.
Neubaustrecken-Projektleiter Kay Müller mit Streckenvarianten: Allein der Bau des Tunnels dauert zehn bis zwölf Jahre. © Daniel Förster

Mitte des vorvergangenen Jahrhunderts nahm ein gewaltiges Infrastrukturprojekt Fahrt auf. Die Eisenbahn war auf dem Vormarsch, das Königreich Sachsen und das Kaisertum Österreich präferierten eine neue grenzüberschreitende Fernbahn, auf Wunsch der Österreicher sollte sie entlang von Elbe und Moldau verlaufen, wo sie nur geringe topografische Schwierigkeiten erwarteten. 1842 nahmen Vermesser erstmals Maß an der Trasse im Elbtal, 1845 begannen die Arbeiten auf dem Gelände des heutigen Dresdner Hauptbahnhofes. Am 31. Juli 1848 ging der erste Abschnitt von Dresden nach Pirna in Betrieb, die Gesamtstrecke Dresden-Bodenbach (Děčín) wurde erstmals am 6. April 1851 befahren.

Doch noch vor dem Baustart kam der Wunsch nach einer Alternative auf. So erschien 1845 eine Broschüre mit dem etwas sperrigen, aber sehr aufschlussreichen Titel: „Gründe, die es höchst wünschenswerth machen, dass die Eisenbahn von Prag nach Dresden, von Aussig aus, nicht an der Elbe her, sondern über das Erzgebirge nach Pirna geführt werden möge!“ Darin listen die Autoren eine Reihe aus ihrer Sicht entscheidender Vorzüge einer solchen – freilich oberirdischen – Bahnlinie auf, beispielsweise geringere Baukosten und kürzere Fahrzeiten zwischen Dresden und Teplitz (Teplice). Die Strecke sollte von Pirna aus über das Seidewitztal, Nentmannsdorf, Göppersdorf, Breitenau und Fürstenwalde hinüber ins Böhmische führen. Gebaut wurde sie nie.

Doch nun, 178 Jahre später, sieht es so aus, dass dieses Projekt doch noch Realität wird. Nicht gleich, aber in ein paar Jahren, und auch in anderer Form – nämlich größtenteils unterirdisch. Seit 2016 plant die Deutsche Bahn eine Neubaustrecke Dresden-Prag, die zwischen Heidenau und Pirna abzweigen und mit einem mindestens 25 Kilometer langen Tunnel unter dem Erzgebirge hindurch bis nach Tschechien führen soll. Wird sie eines Tages gebaut, entstünde so der erste grenzüberschreitende und zugleich längste Bahntunnel Deutschlands.

Gleise und Weichen: So könnte einmal ein Überholbahnhof vor dem Tunnel aussehen.
Gleise und Weichen: So könnte einmal ein Überholbahnhof vor dem Tunnel aussehen. © Deutsche Bahn

Zwei Varianten für die neue Trasse

Für die neue Strecke gibt es aus Sicht der Bahn mehrere Gründe. So will sie künftig mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Dazu bedarf es aber zusätzlicher Kapazitäten, weil die Elbtalstrecke zwischen Pirna und Děčín mit rund 240 Zügen täglich bereits mehr als ausgelastet ist. Zudem ist die Trasse im Elbtal eine der wenigen noch vorhandenen Nadelöhre auf dem europäischen Nord-Süd-Bahnkorridor, der von Skandinavien bis auf den Balkan verläuft. Diese Engstelle soll in Zukunft umgangen werden. Überdies soll sich mit der Neubaustrecke die Fahrzeit von Dresden nach Prag von derzeit reichlich zwei Stunden auf etwa eine Stunde verkürzen. Und Tschechien wird durch das Neubauprojekt ans mitteleuropäische Hochgeschwindigkeitsnetz angeschlossen.

Für die Strecke gibt es zwei Alternativen: einmal eine sogenannte Volltunnel-Variante, einmal eine teiloffene Variante. Anfangs gab es diesbezüglich mehrere verschiedene Routen in mehreren Korridoren. Nach dem Raumordnungsverfahren bei der Landesdirektion Dresden blieben zwei Korridore für einen möglichen Trassenverlauf übrig. Sowohl die Volltunnel-Variante als auch die teiloffene Strecke haben gemein, dass sie zwischen Heidenau und Pirna – etwa in Höhe des Niederhofes – von der bestehenden Elbtalstrecke abzweigen.

Die teiloffene Strecke ginge dann zunächst durch einen 2,5 Kilometer langen Tunnel, taucht am Pirnaer Feistenberg wieder auf, führt dann mit einer riesigen Brücke – etwa 30 bis 40 Meter über der neuen Südumfahrung – über das Seidewitztal, um dann bei Dohma vollends im Tunnel zu verschwinden, der bei dieser Variante etwa 27 Kilometer lang wäre. Der vor dem Tunnel erforderliche Überholbahnhof läge dann direkt neben dem Dohmaer Ortsteil Goes.

Pechhütte in Heidenau: Im Frühjahr 2023 will die Bahn hier ein Infozentrum für die neue Bahnstrecke eröffnen.
Pechhütte in Heidenau: Im Frühjahr 2023 will die Bahn hier ein Infozentrum für die neue Bahnstrecke eröffnen. © Daniel Schäfer

Strecke geht wohl nicht vor 2040 in Betrieb

Die Volltunnel-Strecke würde ab Heidenau komplett im Tunnel bis Tschechien verlaufen, der Tunnel wäre in diesem Fall etwa 30 Kilometer lang. Diese Volltunnel-Varianten basieren größtenteils auf Vorschlägen der Dohmaer Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“, die mehrere dieser Routen bis ins Detail planen ließ. Sie ist grundsätzlich für die neue Trasse, plädiert aber für den Tunnel auf der gesamten Länge, weil dieser Mensch und Umwelt am wenigsten beeinträchtige. Allerdings fühlen sich die Initiativler mehr und mehr von der Bahn übergangen. Sie befürchten, dass es doch auf die teiloffene Strecke hinausläuft, zumal das die bevorzugte Variante des Freistaates Sachsen ist. Gegen eine solche Strecke hatte die Bürgerinitiative aber schon vor dem Raumordnungsverfahren rund 37.000 Einwände von Kommunen und Anwohnern gesammelt.

Die Bahn beteuert indes, zunächst anhand von erst kürzlich festgelegten Kriterien gleichberechtigt je eine Volltunnel- und eine Teiltunnelvariante komplett durchzuplanen, Ende 2024 soll dann eine Vorzugsvariante feststehen. Bis auf der Trasse allerdings Züge rollen können, dauert es noch lange. Zunächst einmal muss dann das Eisenbahnbundesamt die Vorzugsvariante genehmigen, der Bundestag muss die Gelder dafür freigeben.

Danach schließt sich ein aufwendiges Planfeststellungsverfahren an, das wohl mindestens fünf Jahre dauern dürfte. Die Bahn rechnet frühestens Anfang der 2030er-Jahre mit dem Baurecht für die Strecke. Danach schätzt Kay Müller, Neubaustrecken-Projektleiter der Deutschen Bahn, allein die Bauzeit für den Tunnel auf zehn bis zwölf Jahre. Daher könnten erst um 2040 herum die ersten Züge auf der neuen Strecke verkehren. Die geschätzten Baukosten liegen derzeit bei etwa 1,3 Milliarden Euro.