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Neue Bahnstrecke Dresden-Prag: Plant die Bahn gegen die Mehrheit?

Die Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“ kämpft weiter für eine Volltunnel-Strecke, fühlt sich aber zunehmend ignoriert und ausgebremst.

Von Thomas Möckel
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Fährt die Bahn künftig durch einen Tunnel oder über eine teiloffene Strecke Richtung Prag? Eine Antwort gibt es darauf bislang nicht - oder doch?
Fährt die Bahn künftig durch einen Tunnel oder über eine teiloffene Strecke Richtung Prag? Eine Antwort gibt es darauf bislang nicht - oder doch? © Marko Förster

Die neue Bahnstrecke von Dresden nach Prag, die die Deutsche Bahn derzeit plant, soll nun bis Ende dieses Jahres erste konkrete Züge annehmen. Noch steckt das Milliarden-Projekt, dessen Kernstück ein mindestens 26 Kilometer langer Tunnel von Heidenau bis Tschechien durch das Erzgebirge ist, im Anfangsstadium. Gleichwohl will der Beförderungskonzern noch 2022 erste Vorschläge für den Trassenverlauf präsentieren.

Im Einzelnen plant die Bahn derzeit zwei Varianten komplett durch, eine Volltunnel-Variante sowie einen teiloffenen Streckenverlauf. Bei der Volltunnel-Variante würde die neue Strecke zwischen Heidenau und Pirna von der bestehenden Elbtalstrecke abzweigen und dann vollends im Tunnel bis Tschechien verlaufen. Die teiloffene Alternative zweigt an derselben Stelle ab, führt dann in einem kurzen Tunnel bis Pirna, taucht am Feistenberg wieder auf, führt über eine riesige Brücke übers Seidewitztal und verschwindet dann bei Dohma im langen Tunnel. Bei der Volltunnel-Variante läge der vor dem Tunnelportal erforderliche Überholbahnhof in Heidenau, bei der teiloffenen Strecke neben dem Dohmaer Ortsteil Goes.

Steffen Spittler von der Dohmaer Bürgerinitiative: Erhebliche Zweifel daran, wie ernst das von der Bahn initiierte Dialogforum gemeint ist.
Steffen Spittler von der Dohmaer Bürgerinitiative: Erhebliche Zweifel daran, wie ernst das von der Bahn initiierte Dialogforum gemeint ist. © Daniel Förster

Voraussichtlich 2024 wird die Bahn dann eine Vorzugsvariante auswählen. Bis es so weit ist, will die Bahn nach Aussage von Neubaustrecken-Projektleiter Kay Müller über das seit Planungsbeginn involvierte Dialogforum gemeinsam mit der Dohmaer Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“, mit Anliegerkommunen und weiteren Betroffenen einen Kriterienkatalog entwickeln. Anhand dessen soll sich ergeben, welche Variante letztendlich besser, wirtschaftlicher und umweltfreundlicher ist.

Doch genau daran entzündet sich nun Streit, vor allem mehren sich Zweifel, wie ernst dieser Austausch zum Kriterienkatalog überhaupt gemeint ist. „Denn letztendlich entscheidet doch ohnehin allein die Bahn als Vorhabenträger“, klagt Steffen Spittler von der Bürgerinitiative „Basistunnel nach Prag“. Daher sei die von der Bahn versprochene Kooperation nur eine Scheinbeteiligung.

Fokus muss auf Volltunnel-Variante liegen

Die Bürgerinitiative, gegründet 2018, hat insgesamt vier Streckenvarianten für die neue Bahntrasse entwickelt, alles Volltunnel-Modelle, nächtelang getüftelt, alles bis ins Detail ausgearbeitet, jede Steigung, jeden Radius berechnet, die Macher wissen genau, an welcher Stelle der Tunnel auf welches Gestein trifft. „Wir haben ein irres Pensum durchgezogen“, sagt Spittler. Dabei ging es darum, die Vorzüge einer Volltunnel-Strecke aufzuzeigen.

„Wir sind nach wie vor für diese neue Bahnstrecke, daran hat sich nichts geändert“, sagt Spittler. Aber wenn sie denn schon kommt, dann in ihrer für alle verträglichsten Ausprägung. Und das kann aus Sicht der Bürgerinitiative nur eine Volltunnel-Variante sein, da sie Mensch und Landschaft am wenigsten beeinträchtigt. Laut der Initiative hätte schon im Ergebnis des vorausgegangenen Raumordnungsverfahrens bei der Landesdirektion der Volltunnel-Korridor den Vorrang erhalten müssen, da diese Variante wesentlich weniger sogenannte Raumwiderstände aufweise.


Das sei zwar festgestellt worden, gleichwohl werde eine teiloffene Variante gleichrangig untersucht. Besser wäre es nach Aussage von Spittler gewesen, zuerst die Volltunnel-Variante zu untersuchen und nur bei unüberwindbaren Hindernissen den Fokus wieder auf die teiloffene zu legen. Denn bei der teiloffenen Strecke droht den Bewohnern im Pirnaer Seidewitztal und von Dohma ein Verkehrsinfarkt, wenn zur nahen Autobahn und zur neuen Südumfahrung auch noch der Industriepark Oberelbe und gar noch eine riesige Bahnbrücke dazukommen. Schon vor dem Raumordnungsverfahren hatte die Initiative über 37.000 Einwände gegen die teiloffene Strecke gesammelt.

Mögliche Korridore für die neue Bahnstrecke: Mit einer teiloffenen Variante droht in Pirna ein Verkehrsinfarkt.
Mögliche Korridore für die neue Bahnstrecke: Mit einer teiloffenen Variante droht in Pirna ein Verkehrsinfarkt. © Daniel Schäfer

Partnerschaft offenbar unerwünscht

Doch die Bürgerinitiative sieht sich in ihren Bemühungen zunehmend ausgebremst, ausgegrenzt und ignoriert. Laut Spittler soll das Dialogforum und der dabei zu entwickelnde Kriterienkatalog in der Öffentlichkeit eine Bürgerbeteiligung demonstrieren. Aber in Wirklichkeit sei es eine Einbahnstraße, da sich die Bahn nach wie vor als Alleinentscheider bei diesem Projekt sehe. Fragen der Bürgerinitiative zum Vorhaben würden nicht ernsthaft beantwortet, Vorschläge ignoriert.

So hatte die Initiative vorgeschlagen, dass das Gut „Mensch“ bei der Abwägung höher eingestuft wird als bisher, zudem sollte der Radius des zu betrachtenden Betroffenheitskorridors rund um die Bahntrasse künftig 500 statt nur 250 Meter betragen – so würde auch Goes mit in diesem Bereich liegen. Beides, so Spittler, habe die Bahn aber bislang abgelehnt.

Auch eine direkte Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative lehne die Bahn weiterhin ab, sämtliche Planungen liefen laut Spittler in einer „Black Box“. „Über wichtige Details lässt man uns in Unkenntnis“, sagt er. Dabei bietet die Initiative der Bahn seit 2018 eine sogenannte Entwicklungspartnerschaft an, von der beide Seiten profitieren würden. Über eine gelebte Bürgerbeteiligung hätte die Bahn die Neubaustrecke zu einem Erfolgsprojekt machen können. „Aber eine solche Partnerschaft“, sagt Spittler, „ist offensichtlich nicht gewünscht.“

Bisher nur verbale Unterstützung von der Politik

Weil sich die Bürgerinitiative derzeit null Chancen ausrechnet, mit der Bahn wirklich ins Gespräch zu kommen, will sie jetzt einem größeren Hebel ansetzen, um die Weichen neu zu stellen und die Bahn zum Umdenken zu bewegen. Helfen soll nun die Politik, von ihr verspricht sich Spittler, dass sie Einfluss nehmen kann auf die Bahn. Die Bürgermeister der meisten Anliegergemeinden, der Landrat und selbst der sächsische Ministerpräsident befürworten im Grunde eine Volltunnel-Variante. Das Problem aber ist: Bislang, sagt Spittler, hätten die Politiker die Initiative nur verbal, aber nicht konkret unterstützt.

Die Initiative sei noch immer hoch motiviert bei ihrer Arbeit, man brauche aber auch konstruktive Unterstützung. „Die Menschen in der Region sehen uns als ihre Interessenvertreter und geben uns Rückhalt“, sagt Spittler. Doch das reiche nicht aus. Bei solch einem Milliarden-Projekt sei ein großer gesellschaftlicher Zusammenhalt und eine gelebte Demokratie erforderlich. „Denn bislang überwiegt bei uns das Gefühl“, sagt Spittler, dass die Bahn zwar offiziell zwei Varianten plant, die Vorzugsvariante aber eigentlich schon feststeht.“