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Pirnas putzige Poller-Parade

Versperrt und zugepollert: Auf dem Markt in Pirna stehen über 60 der eisernen, standhaften Gesellen. Doch das bleibt möglicherweise nicht auf Dauer so.

Von Thomas Möckel
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Poller mit Pudelmütze: Die Sperr-Stützen sind nur eine vorübergehende Zwischenlösung.
Poller mit Pudelmütze: Die Sperr-Stützen sind nur eine vorübergehende Zwischenlösung. © Thomas Möckel

Auf dem Pirnaer Marktplatz ist seit vielen Jahren schon eine spezielle Spezies zu finden, die sich in letzter Zeit deutlich vermehrt hat, ihre Exemplare muten an wie die tapfere Hauptfigur aus Hans Christian Andersens tragischem Märchen „Der standhafte Zinnsoldat“. Auch die Vertreter der Pirnaer Gattung sind quasi einbeinig, standhaft, unverrückbar, für viele unüberwindbar, dabei pflegeleicht, anspruchslos, regungslos, wetterunempfindlich, sie ertragen alles mit stoischer Ruhe, geben keine Widerworte und sind nicht nachtragend.

Zuverlässig verrichten sie ihren Dienst, verharren auf den ihnen zugewiesenen Posten, stehen mal geradlinig neben- oder hintereinander, mal beschreiben sie einen leichten Bogen. Über 60 sind es mittlerweile, jene mattgraue Poller, die rund ums Rathaus stehen, die den Verkehr in die richtigen Bahnen lenken und bestimmten Gefährten auch auftragsgemäß den Weg versperren.

Die Historie der standhaften Pfosten reicht schon etwas zurück. So verhindern die stählernen Gesellen seit vielen Jahren, dass Autos direkt vor das Canalettohaus und in die Außenbereiche der Gaststätten am Markt kurven, sie halten die Mobile auf Abstand. 2007 verbannte die Stadt den Verkehr vom Obermarkt, seither versperren auch Poller an der Westseite und an der Ostseite des Rathauses motorisierten Karossen den Weg. Und vor noch nicht allzu langer Zeit bekam die Garde der Standhaften Zuwachs.

Pirnaer Marktdurchfahrt ist seit 2021 Vergangenheit

Nach einem mehrmonatigen Verkehrsversuch hatte der Pirnaer Stadtrat Ende 2021 entschieden, den Pirnaer Markt auf Dauer für den Durchgangsverkehr zu sperren. Bis dato war die Route über Nord- und Ostseite vor allem bei Ortskundigen ein beliebter Schleichweg in Richtung Sonnenstein, doch das ist seither passé. Anlieferer und Anlieger können dennoch den Markt weiterhin befahren, sowohl von der Badergasse als auch von der Schlossstraße aus. Nur eben die früher mögliche Durchfahrt ist tabu.

Ziel des Verkehrsversuchs und der späteren Entscheidung war, die Aufenthaltsqualität auf dem Markt entscheidend zu verbessern. Aus dem Ort des Transits sollte nach Aussage der Stadt ein Ort der Interaktion und der Kommunikation werden. Vor allem Fußgängern wollte man mehr Raum geben, wie es auch schon seit Jahren im Verkehrsentwicklungsplan 2030 verankert ist. Demnach soll die Fußgängerzone in Pirna perspektivisch bis zum Marienkirche ausgeweitet werden.

Um die Neuregelung auch sichtbar zu machen, entstand an der Südostseite des Rathauses – also vom Standesamt hinüber zur Kirchgasse – eine zusätzliche Pollerreihe, die hinüber zur Südseite wurde begradigt, auch einige neue Pflanzkübel aus Sandstein kamen hinzu. Doch kurz nachdem die Sperrung auch sichtbar in Metall gegossen war, kam die Frage auf, ob die Poller-Häufung auf Dauer so bleiben sollte – denn viele hielten das stählerne Sperr-Geschwader nicht für die optisch glücklichste Variante.

30-köpfiger Bürgerrat erarbeitet Marktkonzept

Ralf Böhmer, Fraktionschef der Freien Wähler im Stadtrat, hob dieses Problem kürzlich noch einmal aufs Tableau. Wenn die Sperrung auf dem Markt nun dauerhaft bleibe und andere Straßen im Stadtgebiet laut des Rathauses den Verkehr, der früher über den Markt rollte, problemlos aufnehmen könne, so argumentiert Böhmer, dann sollten die Metall-Poller auf dem Obermarkt entfernt und durch Sandsteingefäße ersetzt werden.

Möglicherweise passiert das auch, nur wann, ist noch unklar. Die Stadt hatte schon von Anfang an betont, dass die künstliche Poller-Mehrung nicht ewig Bestand haben müsse. Nach Aussage des Rathauses zielte die Poller-Lösung auf eine kurzfristige Lösung ab, um den Verkehr zugunsten der Aufenthaltsqualität zu beruhigen. Sowohl die Anzahl der Poller als auch die Standorte seien so gewählt worden, dass angefangen vom Lieferverkehr über die Müllentsorgung bis hin zum Rettungsdienst und auch die Fußgänger den Marktplatz nutzen können.

Der Stadt sei bewusst, dass diese Gestaltung nur eine Zwischenlösung darstellt. Man habe von Beginn an kommuniziert, dass Pirna eine Neugestaltung anstrebt. Momentan sicherten die Poller eine flexible Handhabung, beispielsweise bei Veranstaltungen wie dem Canalettomarkt. Perspektivisch ist aber geplant, dass auch die Nordseite des Marktes irgendwann autofrei sein soll. Damit stellt sich dann grundsätzlich die Frage, wie viele Poller dann überhaupt noch nötig und wie der Markt letztendlich möbliert werden soll.

Über Letzteres wird nun ein spezielles Gremium beraten, das Pirna erstmals einberuft: ein Bürgerrat, dem etwa 30 Pirnaer angehören werden, die die Pirnaer Bevölkerung möglichst in ihrer Gesamtheit repräsentieren sollen. Hinsichtlich des Bürgerrates ist Pirna Modellkommune in Sachsen, dank einer 90-prozentigen Förderung kann die Stadt dieses Projekt nun starten. Das Gremium wird zu dem Thema „Marktplatzgestaltung – Historischer Markt im 21. Jahrhundert“ bis zum dritten Quartal 2023 Gestaltungsvorschläge für den Marktplatz erarbeiten. Ob danach die standhaften Poller – so wie der Zinnsoldat in Andersens Märchen – eingeschmolzen werden, ist noch ungewiss.