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Warum in Pirna zu wenig Kinder geboren werden

Die Einwohnerzahl wächst zwar stetig, aber nicht aus eigener Kraft. Woran das liegt und welche überraschende Chance sich nun bietet.

Von Thomas Möckel
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Baby an der Hand seiner Mutter: Die Geburtenrate in Pirna ist seit Jahren stabil, reicht aber nicht an jene der Sterbefälle heran.
Baby an der Hand seiner Mutter: Die Geburtenrate in Pirna ist seit Jahren stabil, reicht aber nicht an jene der Sterbefälle heran. © dpa

Die Talfahrt, die Pirna besonders zu schaffen machte, setzte vor nunmehr schon 48 Jahren ein. 1975 war ein absolutes Rekordjahr für die Stadt in einer bestimmen Hinsicht. Knapp 50.000 Menschen lebten seinerzeit in Pirna – so viele wie nie zuvor und auch danach nicht mehr. Danach begann die Bevölkerung langsam aber stetig zu schwinden – ein Trend, der sich erst 2011 wieder umkehren sollte. Seit dieser Zeit gewinnt Pirna wieder stetig Einwohner dazu. Den Zuwachs generiert Pirna allerdings aus dem Umstand, dass seither wieder mehr Menschen nach Pirna ziehen als weg.

Aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe von außen hätte Pirna weder den Zuwachs geschafft noch die Rekordmarke geknackt. Betrachtet man rein die natürliche Entwicklung, würde die Stadt einwohnertechnisch weiter schrumpfen, weil die Geburtenzahlen noch lange nicht an jene der Sterbefälle heranreichen.

Seit etwa 20 Jahren schon registriert Pirna einer aktuellen Statistik zufolge im Schnitt jährlich rund 300 Geburten. Demgegenüber stehen im Schnitt rund 600 Sterbefälle im Jahr, Pirna verliert also auf diese Weise etwa 300 Menschen im Jahr. „Pirna würde auch weiterhin schrumpfen, wenn der Zuwachs nicht dieses Defizit ausgleichen würde“, sagt Norbert Kaiser von der Fachgruppe Stadtentwicklung im Pirnaer Rathaus. Der Negativsaldo aus Sterbefällen und Geburten resultiert daraus, dass die Gesellschaft überaltert – und dass generell Kinder fehlen, die wiederum Kinder bekommen könnten und müssten. Das hat mehrere Ursachen – und rührt auch schon aus der Vergangenheit her.

Die Pille war wohl nicht schuld

Dass nach 1975 der Schwund einsetzte, lag auch an einer sinkenden Geburtenrate. „Es kamen damals schon nicht genug Kinder nach“, sagt Kaiser. Große Betriebe wie die Wismut oder das Strömungsmaschinenwerk hatten zunächst viele Menschen nach Pirna gelockt, doch Mitte der 1970er Jahren zogen auch wieder viele von ihnen weg, meist hin zu größeren Ballungszentren wie Dresden oder Berlin, weil sie sich dort noch bessere Lebensbedingungen erhofften. Dabei zogen auch jungen Familien fort, die dann eben in Pirna keine Kinder bekamen.

Eine weitere Ursache für sinkende Kinderzahlen sei laut Kaiser auch der sogenannte Pillen-Knick. Ab 1972 gab es die Antibaby-Pille für Frauen in der DDR kostenlos, viele führen den einsetzenden Kinderschwund auf das Verhütungsmittel zurück. Inzwischen aber sind sich Wissenschaftler einig, dass dieser Zusammenhang nicht so richtig passt. Vor allem in der DDR war der überwiegende Teil der Frauen berufstätig und verdiente eigenes Geld, schon dadurch habe sich die Kinderzahl verringert. Die Pille sei dann erst später als Mittel einer selbst bestimmbaren Familienplanung hinzugekommen.

Doch egal, wie – dieser Schwund von damals wirkt sich bis heute aus. So wurden ab Mitte der 1970er Jahre weniger Kinder geboren, die dann so ab Mitte/Ende der 1990er Jahre fehlten, um wiederum selbst Kinder zu bekommen. Und die Kinder ab Ende der 1990er Jahre – die damals eben nicht geboren wurden, fehlten dann auch etwa 20 Jahre später, um wieder eigene Kinder zu bekommen. Möglicherweise ließe sich diese Spirale jetzt weiter fortsetzen.

Geburtenknick in der Nachwendezeit

Diesen Umstand verdeutlicht einen Blick auf das derzeitige Altersgefüge in Pirna. Die Altersgruppe zwischen 20 und 30 ist die – mengenmäßig – mit Abstand unterrepräsentierte Altersgruppe in Pirna, mithin jene Gruppe im besten zeugungs- und gebärfähigen Alter. Die meisten Menschen in Pirna gibt es in der Altersgruppe von 50 bis 74 Jahre, es gibt auch viele Menschen in der Altersgruppe von 78 bis 86 Jahre.

Einen weiteren Knick in der Geburtenrate mit weitreichenden Folgen bescherte die Nachwendezeit. 1988 beispielsweise gab es in Pirna 558 Geburten, 1992 waren es dann nur noch 150. Erst Anfang der 2000 kletterte die Zahl wieder über die Marke von 300. Das lag zum einen daran, dass sich viele, vor allem junge Menschen in der unsicheren und ungewissen Nachwendezeit scheuten, Kinder zu bekommen.

Darüber hinaus verließen nach der Wende viele Menschen den Osten und somit auch Pirna gen Westen, vor allem der Arbeit wegen. Die meisten blieben dort und wurden in der Ferne sesshaft – mit der Folge, dass sie nun anderswo, aber nicht in Pirna Kinder zur Welt brachten.

Ein Drittel der Ukrainer will bleiben

Die Lücke kann nun eine bestimmte Bevölkerungsgruppe – zumindest zum Teil – schließen, wenngleich der Zuwachs von einem furchtbaren Ereignis herrührt. Im vergangenen Jahr sind viele Schutzsuchende aus der Ukraine nach Pirna gekommen, die vor dem russischen Angriffskrieg geflohen sind. Mittlerweile leben über 600 Ukrainer in Pirna – ohne sie hätte Pirna auch die Marke von 40.000 Einwohner nicht so schnell überschritten.

Unter den Schutzsuchenden ist der Frauenanteil – weil die meisten Männer im Krieg sind – besonders hoch, er liegt bei 68,5 Prozent. Unter den Geflüchteten sind rund 70 Kinder im Alter von null bis sechs Jahre sowie rund 140 Kinder im Alter von sieben bis 17 Jahre. Sowohl für die Schutzsuchenden als auch für Pirna ergeben sich daraus Perspektiven. Denn laut einer aktuellen Statistik wollen 37 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine für immer oder zumindest für mehrere Jahre in Deutschland bleiben.

Daraus resultierend und auch aus dem Umstand, dass in den kommenden Jahren in Deutschland abertausende Arbeitskräfte fehlen werden, hat sich Pirna bereits zum Ziel gesetzt, für Zuzügler aus dem In- und dem Ausland attraktiv zu bleiben – und noch attraktiver zu werden - vor allem hinsichtlich der sozialen Infrastruktur sowie des Wohnungs- und Arbeitsplatzangebotes.