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19 alte Rebsorten kommen wieder

Im Radebeuler Weingut Hoflößnitz wird ein in Deutschland einmaliges Projekt gestartet. Mit Experten-Hilfe.

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Von Peter Redlich

Kellermeister Felix Hößelbarth zeigt das nicht. Aber in dem 32-jährigen Weinveredler vom Radebeuler Stadtgut Hoflößnitz macht sich Stolz breit. Ein neuer Weinberg wird aufgerebt. Das passiert nicht jedes Jahr. Nicht irgendeiner ein ganz besonderer Weinberg. Einen, den es so in Deutschland noch nicht gibt.

Der Radebeuler hält einen Zettel in der Hand. Darauf stehen Namen wie „Schwarzer Heinrich“, „Mährische Frühe“, „Blaue Geisdutte“ und „Blauer Räuschling“. Insgesamt 19 Rebsorten, die heute kaum mehr einer kennt. In Klammer stehen hinter den Sorten Jahreszahlen geschrieben, bei der „Blauen Geisdutte“ wurde 1803 und Kerner notiert. „Die Zahlen bezeichnen die erste schriftliche Erwähnung der Weinsorte, wahrscheinlich sind die Reben noch älter“, sagt der Kellermeister.

Ein Weinexperte, Professor Andreas Jung, in Fachkreisen der Rebenretter genannt, hat die ältesten Weinberge Sachsens durchforstet und Restpflanzungen von alten Reben ausfindig gemacht. Von deren Triebspitzen wurden mühselig im Reagenzglas neue Wurzeltriebe gezüchtet, aus denen neue Jungstöcke entstanden. 500 vom „Schwarzen Heinrich“, einem Rotwein, und je 30 von den anderen werden gerade auf dem kleinen Weinberg unterhalb der Hoflößnitz-Terrasse gepflanzt.

Es sind die ältesten noch auffindbaren Weinsorten Sachsens, sagt Felix Hößelbarth. Derzeit seien in der westlichen Welt nahezu alle auf der Suche nach solchen alten Reben. Der Grund: Auf der Suche nach dem immer perfekteren Wein, immer raffinierteren Züchtungen, besteht die Gefahr, dass die genetische Vielfalt verloren geht. Geschmacksstoffe verlieren sich. Der Kellermeister: „Das Rückbesinnen auf die alten Rebsorten, aus denen viele der heutigen Weine hervorgegangen sind, ist auch notwendig, um krankheitsresistente Sorten wieder zu beleben.“

Erste Rebenversuchsanstalt

Die Hoflößnitz-Winzer beginnen gerade, den ersten Weinberg Deutschlands konsequent nur mit solchen alten Rebsorten zu bepflanzen. Ein ähnliches Projekt möchte das Landesweingut Kloster Pforta GmbH an der Saale in Sachsen-Anhalt angehen. Aber die Radebeuler sind schon voll dabei. Bei ihnen entsteht die erste sächsische Rebenversuchsanstalt. Auf der Fläche wurde schon zu Zeiten der Kurfürsten von Sachsen, seit dem 15. Jahrhundert, Wein angebaut. Allerdings war der Hang in den letzten Jahren als Gartenland zugewuchert.

In den nächsten drei bis vier Jahren sollen die Stöcke so weit heranwachsen, dass dann 2019 der erste Wein daraus gekeltert werden kann. Hoflößnitz-Geschäftsführer Jörg Hahn sagt schon mal voraus, dass die besonderen Weine dann wieder in der bekannten Flaschenform der Sachsenkeule abgefüllt werden sollen.

Doch vor allem soll der Weinberg der Forschung dienen. Versuchswein, der sortenrein gekeltert wird. Begleitet wird das Vorhaben der Radebeuler Winzer von Experten der Berliner Humboldt-Universität, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen in Quedlinburg und dem Mitteldeutschen Institut für Weinforschung in Köthen.

Auf dem Wachstumsweg bis zur ersten Ernte und auch danach wollen die Forscher Inhaltsanalysen und Virentests zu den Rebsorten durchführen. Geschmacksstoffe in ihrer Urform sollen bestimmt werden, um letztlich der Gefahr der Inzucht bei heutigen Weinen begegnen zu können.

Hößelbarth und Hahn sind sich einig, dass der neue kleine Weinberg unterhalb der Hoflößnitz-Terrasse ein Juwel auch innerhalb des Weinbaumuseums werden kann. Entlang der Treppe, die vom Fuße der Hoflößnitz zur Terrasse führt, soll eine Art Schaugarten mit Tafeln eingerichtet werden. Führungen durch den Weinberg werden die Besucher auf die Ururgroßväter der heutigen Rebstöcke aufmerksam machen und sicher auch mal probieren, wie eben ein „Schwarzer Heinrich“ oder die „Mährische Frühe“ schmeckt.

Finanziert wird das rund 2 000 Quadratmeter große Versuchsfeld mit Fördermitteln, allerdings nur der rein materielle Aufwand. Die Arbeitskraft kommt vom Weingut. Gepachtet ist das vorher brach liegende Land von einer Nachbarin der Hoflößnitz. Und die Rebrechte gab es offiziell von der EU, weil der Berg zur Steillage gehört und darauf noch angebaut werden darf.

Doch noch sind die Stecklinge gerade mal 30 bis 50 Zentimeter hoch. Weinstock-Babys. Im Frühjahr sollen die restlichen Stöcke in die Erde kommen. Die Spaliere sind gezogen. Die Erde aufbereitet. „Mal sehen, was dann in der Frühlingssonne gut anwächst“, sagt Kellermeister Hößelbarth und schiebt sich im Novembergrau die Mütze zurecht.