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20 Jahre 2raumwohnung: Sie kommen nach Sachsen

Das Pop-Duo aus Inga Humpe und Tommi Eckart sorgt sich im großen Geburtstags-Interview um den Klimawandel und ihre Rente.

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Tommi Eckart und Inga Humpe sind seit 20 Jahren als Duo 2raumwohnung unterwegs, im April treten sie in Leipzig auf und im kommenden Sommer wollen sie erstmals einige Festivals in Polen testen. Foto:
Tommi Eckart und Inga Humpe sind seit 20 Jahren als Duo 2raumwohnung unterwegs, im April treten sie in Leipzig auf und im kommenden Sommer wollen sie erstmals einige Festivals in Polen testen. Foto: © Julija Goyd

Tommi Eckart (57) und Inga Humpe (64), beruflich seit zwanzig Jahren und privat noch länger ein Paar, veröffentlichen mit „20 Jahre 2raumwohnung“ einen Rückblick auf ihre bewegte Karriere als Pop-Duo. Das steht für warme Melodien und zu klugen Texten und geht auf Jubiläumstournee. Vorher reden die beiden im Interview übers Klima, über Einsamkeit und über die Zukunft ihrer Arbeit.

Frau Humpe, Sie haben über „36 Grad“ gesagt, der Song sei so etwas wie Ihr „Last Christmas“.

Inga Humpe: Ja, das habe ich.

Das Stück ist mehr als zehn Jahre alt. Kann man „36 Grad“ wegen des Klimawandels noch unbefangen singen?

Humpe: Wir haben die Nummer umgetextet. In einem der Refrains singe ich jetzt: „36 Grad und es wird immer heißer / unser Beat wird nie mehr leiser / nur ein halbes Grad noch bis zur Katastrophe / die Welt singt schon die letzte Strophe.“ Das werden wir auch live so singen. Uns hatten zwei Aktivistinnen, zwei Schülerinnen, geschrieben, ob wir den Text nicht ändern wollten. Und dann haben wir das gemacht.

Tommi Eckart: Den Song haben wir 2007 veröffentlicht. Den Klimawandel gab es auch damals schon, aber wir hätten nicht gedacht, wie schnell das geht.

Dürfen bei einem 2raumwohnung-Konzert die Probleme ansonsten mal für zwei Stunden vor der Tür bleiben?

Humpe: Na ja, wenn man unterhält, schließt das nicht aus, dass man den Leuten auch eine gewisse Anregung mitgibt. Wir sind der Ansicht, dass sich Tanzen und Nachdenken nicht ausschließen müssen.

Eckart: Unsere Musik klingt angenehm, was leicht dazu führt, dass man uns ein gewisses Wohlfühlaroma bescheinigt. Aber wir haben auch Texte über den Tod oder über jemanden, der im Koma liegt.

Humpe: Selbst in unseren fröhlichen Stücken steckt Melancholie. Die Melancholie ist bei uns grundlegend wichtig.

„Somebody Lonely and Me“ ist ein Lied über Einsamkeit. Ist man in einer Stadt wie Berlin einsamkeitsgefährdet?

Humpe: Ich glaube schon. Einige Leute in unserem Bekanntenkreis sind im Grunde einsam. Die sieht man manchmal, sie sind jetzt keine Außenseiter oder so, aber sie führen eine Art Doppelleben. Die Zeit, die viele daheim vor dem Rechner verbringen ist wesentlich größer als die Zeit, in der sie unter die Leute gehen. In einer Großstadt ist das noch ausgeprägter. Ich finde, man sieht den Menschen ihre Einsamkeit an.

Ihre Musik wurde als „Neue Deutsche Lässigkeit“ beschrieben. Damals war es plötzlich cool, deutsch zu singen und deutsch zu sein. Wo ist dieses Lebensgefühl, das etwa auch die Fußball-WM 2006 prägte, eigentlich hin?

Humpe: Es ist wohl einfach schwer, immer lässig zu bleiben. Was die Musik angeht, gab es damals nicht viele Sachen auf Deutsch, wir waren ziemlich einzigartig. Später kam der Schlager groß auf. Eine Musikform, die ich erschreckend finde. Ich mag Schlager einfach nicht. Ich finde, Brüche müssen sein. Dieses Heile-Welt-Theater ist einfach nur grausam. Ich komme auch überhaupt nicht damit klar, auf Knopfdruck gut drauf sein zu müssen.

Eckart: Pathos ist nicht Ingas Sache.

Humpe: Ich glaube, in einem früheren Leben war ich Japanerin. Die sind auch sehr undramatisch, und es wird ihnen immer unterstellt, sie hätten keine Gefühle.

Ist die Lässigkeit denn jetzt für alle Zeiten weg?

Humpe: Nein, das glauben wir nicht. Bilderbuch ist zum Beispiel eine extrem lässige Band. Sexy sind die noch dazu.

Sind Sie auch sexy?

Humpe: Das ist nicht das erste Wort, das mir in Bezug auf uns einfällt.

Eckart: Nur weil es jetzt die AfD gibt, ist ja auch nicht alle Lässigkeit verschwunden. Es gibt trotzdem die Grünen. Die sind stärker denn je und mit dem Rückenwind im Moment bestimmt besonders lässig.

Frau Humpe, Sie wurden 1956 in Hagen geboren. Sehen Sie sich noch als Nachkriegskind oder schon als frühes Hippie-Mädchen?

Humpe: Ganz krass als beides. Die Menschen waren noch sehr verstört vom Krieg, als ich klein war, andererseits wollten sie es unbedingt krachen lassen. In diesem Gegensatz aufzuwachsen, fand ich interessant. Noch dazu hatten meine Eltern ein Café, wo die Leute ein und aus gingen, bei uns war immer Action. Oft saßen meine Eltern, die Angestellten und wir Kinder an einem großen Tisch und aßen.

Eckart: Bei mir war es tatsächlich relativ ähnlich. Mein Vater ist Anwalt gewesen. Er hat zu Hause gearbeitet. Nachmittags kamen oft die Mandanten und wir sollten leise spielen, was wir natürlich nicht gemacht haben. Ich weiß noch, dass die Leute meistens bedrückt rein und erleichtert wieder raus kamen.

Humpe: Wie bei einem Konzert! Bei uns kommen die Leute allerdings gut drauf rein und noch glücklicher wieder raus. Die Stimmung bei unseren Shows ist wirklich toll.

Eckart: Die Menschen haben unsere Lieder oft aufgeladen mit persönlichen Geschichten. „Ich und Elaine“ ist zum Beispiel für viele Frauen ein Freundschaftssong. Diese emotionale Verbundenheit bekommen wir mit, und für uns ist das toll.

Ihr Album „20 Jahre 2raumwohnung“ ist tatsächlich voller Hits und Hymnen wie „Wir trafen uns in einem Garten“, „Besser geht’s nicht“ oder „Sexy Girl“. Wisst ihr, wie man ein Lied schreibt, das bleibt?

Humpe: Nee, das wissen wir nicht. Leider. Ich glaube auch, das weiß keiner. Es gibt ein paar objektive Kriterien, aber wer behauptet, er habe das Rezept gefunden, dem traue ich nicht. Wir denken von jedem unserer Lieder, dass es ein Hit werden sollte.

Einer der beiden neuen Songs der Werkschau heißt „Das ist nicht das Ende, Baby“. Eine Vorschau auf die nächsten zwanzig Jahre?

Humpe: Der Song ist schon ein bisschen älter und sollte auf unser letztes Album „Nacht und Tag“, wurde aber nicht rechtzeitig fertig. Jetzt passt er fast ein bisschen zu gut. Natürlich geht es irgendwie weiter, als Musiker hören wir ja nicht irgendwann einfach auf zu arbeiten. Wir werden auch nie Rentner sein – weil wir keine Rente kriegen.

Eckart: Unsere Arbeit verändert sich, weil sich die Musikbranche sehr verändert hat. Alben werden immer unwichtiger, einzelne Stücke und vor allem Live-Konzerte immer wichtiger.

2raumwohnung gibt es, als Band und als Paar, schon sehr lange.

Humpe: Ja, passt gut.

Eckart: Wir haben zusammen eine Aufgabe, die über die reine Freizeitgestaltung hinausgeht. Bei uns geht es eben nicht nur darum, ob wir heute ins Kino gehen oder ob wir etwas kochen, sondern wir haben ein vielfältiges Projekt, auf das wir eigentlich permanent fokussiert sind.

Humpe: Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn wir das nicht hätten. Weiß gar nicht, was wir ohne unsere Musik miteinander machen sollten.

Es heißt, die jungen Leute blieben immer häufiger zu Hause und hätten keine Lust mehr auf Klubs. Können Sie das bestätigen?

Humpe: Nein, den Eindruck habe ich nicht. Wir waren neulich nach Jahren mal wieder im Berghain, weil Carl Craig dort spielte. Es war brechend voll. Ich hatte nicht den Eindruck, dass die Klubkultur dahinsiecht. Männer alle oben ohne, viele Frauen auch, das scheint neu zu sein.

Ihr auch?

Humpe: Wir haben unsere Oberteile angelassen.

Dr. Motte will die Love Parade wiederbeleben. Was denkt ihr darüber?

Humpe: Soll er gerne machen. Ich bin keine Nostalgikerin. Wenn etwas gelaufen ist, dann ist es gelaufen. Für ihn ist das natürlich etwas anderes. Das Lebensgefühl damals war wirklich der Wahnsinn. Uns fragen junge Leute oft, wie das denn war. Wir geben dann immer an wie die Hölle, schmücken alles noch richtig aus und machen die total neidisch. Jede Generation hat so etwas. Für die einen war es Woodstock, für die nächsten die Love Parade, und für die neuen jetzt ist der Sehnsuchtsort vielleicht das Coachella Festival in Kalifornien. Das soll ja übrigens der Horror sein. Dafür höre ich immer, dass die Festivals in Polen supertoll und wild und krass sein sollen. Wenn wir es schaffen, fahren wir dort im Sommer mal hin.

Das Interview führte Steffen Rüth.


Das Album: „20jahre 2raumwohnung“. It Sounds/RT

Das Sachsen-Konzert: 2.4., Täubchenthal, Leipzig