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Abends in Leisnigs Gassen

Nachtwächter Dietrich führt interessierte Besucher durch die Altstadt – und verrät dabei einige Geheimnisse.

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Von Christian Dittmar

Willkommen ihr Gäste in Leisnig, hebt Nachtwächter Dietrich an, „mit einem Durchschnittsalter über...“. „Dreißig“, kommt es von seinem Publikum zurück. Nachtwächter Dietrich, mit bürgerlichem Namen Dietrich Simon, hat zu einem Rundgang geladen. Stilecht ausgerüstet mit Umhang, Hellebarde und Funzel geht es diesmal von Burg Mildenstein durch Leisnigs Vorstädte und zurück. Die Handvoll Zuhörer des Nachtwächters hat dabei in der Tat mehrheitlich die 30 schon überschritten.

Da ist etwa Erhard Poppig, 79 Lenze zählend, gebürtiger Leisniger und seit fünf Jahrzehnten in der Lichtenberggasse wohnhaft. Manchmal weiß er besser Bescheid als Nachtwächter Dietrich selbst. Beispielsweise bei der ersten Station am Fuße des Schlossbergs. „Hier standen früher Häuser, unter anderem die Schlossschmiede“, erklärt Poppig fachmännisch, während der Nachtwächter dabei ist, das nächste Lied zu intonieren. Diesmal sind geht es um das ewig junge Thema Männer und Frauen und ihre Problemchen miteinander.

Aber auch das Informative kommt beim Rundgang nicht zu kurz, weiter oben in der Niederlanggasse erklärt Nachtwächter Dietrich zum Beispiel, dass sich hier im Mittelalter die Hauptgeschäftsstraße Leisnigs befand und bis zu 90 Läden an der nur wenige Hundert Meter langen Gasse standen. Auch seinen Berufsstand erläutert er: Die Nachtwächter sollten früher die Stadttore kontrollieren, die Uhrzeit ausrufen und für die Einhaltung der Sperrstunde sorgen. „Wenn ein Nachtwächter abends zu einem Wirt kam, konnte es aber passieren, dass die Sperrstunde bei dem einen oder anderen Bier noch verlängert wurde“.

Zu der kleinen Gruppe haben sich inzwischen weitere Interessierte gesellt, andere wie Erhard Poppig verlassen sie wieder. Eine Familie will eigentlich erst zum nachfolgenden Burggeflüster auf Burg Mildenstein, aber entscheidet sich dann, die Wartezeit mit der Teilnahme am Rundgang zu verkürzen. Sie bereut es nicht, denn der Nachtwächter Dietrich kann mit einigen amüsanten Anekdoten aufwarten; am Saumarkt etwa mit der Geschichte, wie der Platz zu seinem Namen kam. „Hier stand früher die Teichschenke“, erläutert der Nachtwächter. „Wenn der Schenkenwirt ein gutes Geschäft gemacht hat, soll er nachts noch auf einer Sau um den Platz geritten sein.“

Der perfekte Geschichtenerzähler

Woher er das alles weiß? Dietrich Simon ist Mitglied im Geschichts- und Heimatverein Leisnig, im Ruhestand kann sich der ehemalige Lehrer nun ganz seinem Hobby widmen. Mit weißem Vollbart und tiefer Stimme wirkt er wie der perfekte Geschichtenerzähler. Und davon hat der 69-Jährige eine Menge zu bieten: Vor einem mittelalterlichen Haus legt er dar, warum drei steinerne Köpfe an der Fassade angebracht sind. „Die grausamere Variante ist: Hier wohnte eine Frau, die ihre Ehemänner umbrachte, um an das Erbe zu kommen. Sie wurde hingerichtet und als Mahnung die Köpfe von ihr und zwei Opfern angebracht“, erzählt der Nachtwächter. „Die weniger grausame ist: Hier wohnte eine Frau, die dem ältesten Gewerbe der Welt nachging und deren Freier sind dort abgebildet“.

Bei so vielen Histörchen muss Nachtwächter Simon schließlich zur Eile mahnen und sieht von einigen Abstechern, etwa zum Markt, am Ende ab. Kurz erläutert er noch die Namen der Stadttore, von denen Leisnig früher fünf besaß. „Das Kitteltor hieß so, weil es so schmal war, dass man gerade mal im Kittel durchpasste, vor dem Kutteltor wiederum wurden die Überreste nach dem Schlachten gelagert, weshalb es dort bestialisch stank.“ Wieder angekommen, gibt es vor der Burg noch ein Liedchen: „Ich hab jetzt schon kalte Hände“, fängt Nachtwächter Dietrich an, „hätte auch nichts gegen eine Spende“. Nach einem derart interessanten Rundgang wird sie ihm reichlich gewährt.