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Angekettet in Kamenz

Ein Pastor legt sich auf dem Markt in Ketten, um gegen die Abschiebung eines Pärchens zu kämpfen. Den Behörden in Sachsen wirft er Unrecht vor. 

Von Frank Oehl
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Pastor i. R. Wilfried Krause schämt sich für die Staatsregierung. Sie habe im konkreten Einzelfall gegen die Menschlichkeit gehandelt. „Mary und Adler waren leicht abzuschieben, weil man ihre Pässe hatte.“
Pastor i. R. Wilfried Krause schämt sich für die Staatsregierung. Sie habe im konkreten Einzelfall gegen die Menschlichkeit gehandelt. „Mary und Adler waren leicht abzuschieben, weil man ihre Pässe hatte.“ © René Plaul

Kamenz. Wilfried Krause ist ein friedfertiger Mensch. Mit seiner ruhigen und bedachten Art hat der frühere Pastor der Kamenzer Adventgemeinde viel Gutes für die Stadt bewirkt – vor allem auch konfessionsübergreifend. Der 72-Jährige ist ein angenehmer Zeitgenosse, aber er kann auch anders, wenn es ihm reicht. 

Am Montag legte er sich selbst in Ketten. Auf dem Marktplatz – mit zwei kleinen, selbst gefertigten Plakaten ausgestattet: „Ich protestiere gegen die Abschiebung von Mary und Adler nach Venezuela.“ Und noch klarer adressiert: „Ich schäme mich für die Sächs. Staatsregierung.“ Wilfried Krause hatte sich einen kühlen Tag ausgesucht, und zwischendurch tröpfelte es auch etwas. Zum Glück hatte er auch den einen oder anderen Gesprächspartner. Thomas Zschornak zum Beispiel. „Ich bewundere Ihre Zivilcourage“, lobte ihn der Nebelschützer Bürgermeister. Aber auch aus der anderen Richtung her wurde es nicht langweilig. „Es war vorhin ein böser Mensch hier“, berichtete der Angekettete nach zwei Stunden. „Er ist aus dem Auto gestiegen und hat geschimpft, alle Kanaken müssten weg.“

Das war nicht nur allgemeinmenschlicher Unfug, es wurde auch dem konkreten Protestanlass nicht gerecht. Marylin Cabrales Cuellar (25) und Adler Garcia Figuera (26) hatten sich ja mit ihrem gescheiterten Asylantrag schon abgefunden, sie wollten nur nicht in einer Nacht- und Nebelaktion aus dem Kamenzer Asylheim geschleppt und in ein Flugzeug nach Caracas gesteckt werden. War das womöglich zu viel verlangt? Die beiden Leute haben vor sechs Jahren in Venezuela geheiratet. Seither hat sich die Lage in ihrer Heimat dramatisch verschlechtert, wie der aufmerksame Zeitgenosse weiß. Adler hatte sich auch mal an einer Protestkundgebung beteiligt und fühlte sich seitdem offenbar verfolgt.

Eingereist nach Deutschland sind die beiden vor 13 Monaten. Ihr Asylantrag wurde zügig bearbeitet und abgelehnt. Der seit sieben Jahren pensionierte Pastor der Kamenzer Adventgemeinde hatte Mary und Adler beim Deutschunterricht im Asylheim kennengelernt, den er immer dienstags und donnerstags ehrenamtlich anbietet. „Schnell entstand eine engere Beziehung, weil die beiden praktizierende Christen sind und unseren Gottesdienst besuchen wollten.“ Sie fanden in der kleinen Gemeinde an der Pulsnitzer Straße schnell persönliche Kontakte – trotz begrenzter Sprachkenntnisse. „Dank der modernen Übersetzungstechnik war eine gute Verständigung aber durchaus möglich.“

Sie haben noch Bücher im Kamenzer Asylheim liegen, die in die Stadtbibliothek zurückgegeben werden müssten. Das können Marylin und Adler nun nicht mehr erledigen.
Sie haben noch Bücher im Kamenzer Asylheim liegen, die in die Stadtbibliothek zurückgegeben werden müssten. Das können Marylin und Adler nun nicht mehr erledigen. © Michael Horn

Am 21. Februar war das Ehepaar zu einer Rückkehrberatung in der Ausländerbehörde in der Macherstraße – begleitet von Wilfried Krause. Mary und Adler erklärten, nach Peru ausreisen zu wollen. Sie legten die Kopie eines Personaldokuments von Marylins Mutter vor, die in Lima wohnt. Unklar blieb zunächst, welches Visum für die Einreise mit den gültigen Pässen des Paares nötig sein würde. „Unser Berater rief daraufhin eine übergeordnete Dienststelle an. Von dort kam die Mitteilung, man brauche ein Visum für zwei Jahre. 

Außerdem gäbe es für die Ausreise nach Peru keine finanzielle Unterstützung.“ Also fragte das Ehepaar noch einmal in der Botschaft nach. „Dort wurde bestätigt, dass eine sofortige Einreise möglich sei, aber ein Visum über zwei Jahre nicht erteilt werde. Das teilten wir sofort dem Ausländeramt mit.“ Allerdings ohne Hektik. Wenn man erst einmal in Lima sei, hätte man ja drei Monate Zeit, eine Dauerlösung zu finden. Diesen Visumrahmen gewährleisteten die venezulanischen Pässe auf alle Fälle. Am 7. März gab es sowohl im Ausländeramt in Meißen, wo Mary offiziell gemeldet war, als auch in der Lessingstadt weitere Rückkehrberatungen. Bis dahin hatte sich die Adventgemeinde bereits um das Geld für den Flug nach Peru gekümmert. „Der Berater in Kamenz sagte uns, die Rückführung könne erst richtig anlaufen, wenn der Asylantrag zurückgezogen sei.“ Das klang nach einer reinen Formalie, der Mary und Adler auch nachkamen. „Und es wurde eine umfassende Unterlage zum Ausreisewunsch nach Peru erstellt“, so Wilfried Krause. „Nach diesem Besuch hatten wir den Eindruck, dass alles in guten Bahnen läuft.“ Auch die Passübergabe sei besprochen worden.

Keine humane Einzelfallprüfung

Nur wenige Tage später erhielt Pastor Krause eine Mail, die ihn fast vom (politischen) Glauben abfallen ließ. Am 10. März war das Ehepaar aus dem Asylheim abgeholt worden. Ihre Pässe wurden den beiden vor dem Abflug nach Caracas ausgehändigt. Dort angekommen, war man sofort um das gesamte Bargeld erleichtert worden – und nun saß man hungrig bei Familienangehörigen. „Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll“, schrieben Mary und Adler nach Deutschland.

Wilfried Krause bezeichnet die Abschiebung als eine menschenverachtende, herzlose Aktion. Erst recht nach der Vorgeschichte. „Wieso hat die erfolgte Rückkehrberatung keinen Einfluss auf das eigentliche Rückführungsgeschehen?“ Und, falls die Entscheidungen tatsächlich völlig unabhängig davon weiter oben getroffen werden, was solle dann das ganze Schauspiel vor Ort? „Bereits am 21. Februar haben die Eheleute gewusst, dass sie problemlos nach Peru ausreisen könnten, wenn man ihnen die Pässe ausgehändigt hätte.“

Auch OB Roland Dantz hat die Protestaktion unter seinem Dienstzimmer bewegt. „Viele schätzen Ex-Pastor Krause als besonnenen und redlichen Menschen. Was ihn ärgert, verstehe ich in vielen Punkten.“ Wenn das Ehepaar nach Peru ausreisen wollte, hätte man dies ämterübergreifend regeln müssen. Stattdessen seien die beiden in ein Räderwerk geraten, das einen schon mal zermalmen könne. Eine humane Einzelfallprüfung sei offenbar gar nicht mehr möglich. „Auf der anderen Seite können selbst ernannte King Abodes unseren Rechtsstaat verhöhnen.“ Hier stimme etwas in der Maschinerie nicht, was politisch verheerende Wirkungen entfalte.