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Abgetaucht und auferstanden: Die Villa Marie wird 20

Der Exil-Mailänder Klaus-Karsten Heidsiek kennt Dresden 1994 noch nicht, verliebt sich aber in ein Haus. Es wird sein Lokal.

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Von Kay Haufe

Einmal am Tag braucht Klaus-Karsten Heidsiek einen Teller Pasta. Am liebsten mit gebratenem Gemüse. Dafür legt der 54-Jährige auch selbst Hand an in der kleinen Restaurantküche. Holt gegrillte Zucchini vom Blech, bereitet eine Soße zu. Zum Essen nimmt sich der Chef der Villa Marie Zeit. Gerade so viel, dass er das italienische Gericht mit Blick auf die Elbe genießen kann. Aber nicht so viel, dass er Stammgäste nicht begrüßen könnte. „In 20  Jahren haben wir uns in der Villa Marie einen Namen gemacht. Darauf will ich mich nicht ausruhen“, sagt Heidsiek.

Meist ist der hochgewachsene Mann zwischen Eingangs- und Küchentür der toskanischen Villa neben dem Blauen Wunder zu finden. Immer einen Blick auf den Tresen, in die Küche und auf die nächsten Gäste. „Nein, ich bin kein Kontrollfreak“, sagt Heidsiek und winkt ab. „Aber ich möchte, dass alles so funktioniert, wie ich es mir vorstelle.“ Nicht nur in der Villa Marie, sondern auch in seinen zwei anderen Lokalen, der Osteria La Viletta in Striesen und der Piazza Nova an der Frauenkirche. Mit dem Rennrad fährt Heidsiek quer durch die Stadt, um täglich in allen drei Häusern präsent zu sein. Vormittags aber finden ihn seine Mitarbeiter fast ohne Ausnahme in der Villa , wo er die tägliche Speisekarte schreibt oder das Kräuterbeet im Garten inspiziert.

„Ich erinnere mich noch mit Schrecken daran, wie schwer es war, Mitte der 90er-Jahre frische Kräuter in Dresden zu bekomme“, sagt Heidsiek. „In meiner Not habe ich einmal nachts Basilikum im Botanischen Garten geklaut und habe einen Zehner in die Spendenbüchse am Eingang gesteckt“, sagt er lachend. Denn nichts ist für ihn schlimmer als auf die Grundlagen seiner frischen Gerichte zu verzichten. „Kräuter gehören an fast jedes meiner Essen“, sagt Heidsiek. Die Vorliebe für den regelmäßigen Einkauf auf Märkten hat er aus Italien mitgebracht. Zehn Jahre lang hat der aus Ost-Westfalen stammende Gastronom in Mailand gekocht. Bei Gualtiero Marchesi, dem ersten Drei-Sterne-Koch Italiens, lernte er traditionelle italienische Küche zuzubereiten. „Da geht es vor allem um gute Grundzutaten“, sagt der Koch.

Die sind auch in seinen Restaurants zu finden, hochwertiges Olivenöl oder Kaffee aus der Rösterei von Alessandro Nannini in Siena. Oft kennt Heidsiek die Produzenten persönlich. „Ich nehme auch meine Mitarbeiter gern mit auf Weingüter oder zu Olivenbauern, damit sie sehen, wie etwas entsteht und wer dahintersteht“, sagt er. „Das fördert ihr Gespür für die Produkte, und sie können es den Gästen ganz anders rüberbringen“, so der Restaurantchef. Insgeheim freut er sich, wenn seine Mitarbeiter zum besten Öl für den eigenen Salat greifen. „Genau das habe ich ihnen beigebracht: Von den einfachen Sachen das Beste wählen. Da muss ich als Chef drüberstehen, dass es etwas mehr kostet.“

Mit bis zu zwölf Espressi hält sich Heidsiek über den Tag verteilt bei guter Stimmung. „Ich liebe diesen Geschmack, das Faible leiste ich mir“, sagt er und schaut bewundernd auf das Blaue Wunder vor seinem Fenster. „Ein toller Ausblick.“

Er weiß noch genau, wie seine ersten Tage in Dresden verliefen. Ohne die Stadt zu kennen, war er aufgrund eines Anrufes aus Italien hergekommen. „Nach zehn Jahren in Mailand wollte ich etwas Eigenes in Deutschland eröffnen. In meiner westfälischen Heimat wäre das mit italienischer Küche nichts geworden. Deshalb war ich offen für alle Angebote. Und eines davon war die Villa Marie“, sagt Heidsiek. Als er davorsteht, weiß er schlagartig, dass es eine Verbindung zwischen diesem Haus und seinem italienischen Traum gibt. Im Juni 1994 eröffnet er sein Restaurant.

Seitdem hat die Villa nicht nur schöne Abende und Hochzeiten erlebt, sondern auch zwei Elbehochwasser. Sechs Monate war sie nach der Flut 2002 geschlossen, drei nach der im Vorjahr. „Wir haben gearbeitet wie verrückt, aber die Dresdner haben trotzdem ständig vor der Tür gestanden und gefragt, wann es wieder losgeht“, sagt der Chef und lächelt. „Obwohl es nur drei Monate waren, haben nach der Wiedereröffnung alle getan, als wären wir zehn Jahre geschlossen gewesen.“

Hin und wieder steht Klaus-Karsten Heidsiek heute noch in der Küche. Dann kocht er so, wie er es immer getan hat: gut und ohne Schnickschnack. So, wie es seine Gäste lieben.