SZ +
Merken

Als alle nur noch Westautos wollten

Wolfgang Rank wurde im April 1990 offizieller Opel-Händler in Kamenz. An Autos kam er auf abenteuerliche Weise.

Teilen
Folgen
NEU!
© René Plaul

Frank Oehl

Der Kamenzer Wolfgang Rank hat die Währungsunion von Anfang Juli 1990 noch sehr gut in Erinnerung. Kein Wunder. Schließlich führte der heute 65-Jährige damals an der Eselsburg seine Kfz-Werkstatt für Wartburg, die erst kurz zuvor von der Theaterstraße auf ein größeres Areal umgezogen war. Am Ende der DDR-Mark war auch das Gelände im Westen der Stadt heillos überfüllt. Und das ist schon eine ganz besondere Wendegeschichte.

Juni 1990 an der Eselsburg: Die ersten Westautos sind da, das Interesse war auch beim neuen Opel-Vertragspartner Wolfgang Rank in Kamenz riesig, wie man sieht. Gekauft wurde erst ab 2. Juli, versteht sich.
Juni 1990 an der Eselsburg: Die ersten Westautos sind da, das Interesse war auch beim neuen Opel-Vertragspartner Wolfgang Rank in Kamenz riesig, wie man sieht. Gekauft wurde erst ab 2. Juli, versteht sich. © privat

„Ich habe 18 Jahre auf meinen Wartburg deluxe gewartet“, erinnert sich der Kamenzer. Im Dezember 1988 war es soweit, der 1.3er-Wartburg mit VW-Motor konnte in Dresden abgeholt werden. „Ein Traum sollte endlich in Erfüllung gehen.“ Wolfgang Rank musste zunächst in Bautzen ins HO-Büro auf einem einsturzgefährdeten Gelände. Der Kamenzer träumte von einem coconbeige-farbigen Wartburg, erfuhr aber vor Ort, dass nur noch weiß und delfingrau im Angebot war. „Da war ich enttäuscht, aber zum Glück kannte ich den Chef des Auslieferungsbetriebs auf der Bremer Straße in Dresden.“ Rechtzeitig zum Weihnachtsfest fuhr der stolze Besitzer eines doch coconbeige-farbigen Viertakters in Kamenz vor. 32 000 DDR-Mark hatte er dafür hingelegt. Halt deluxe, also. Das war Luxus, aber ohne Radio.

Tolle Autoideen für den Papierkorb

Wie die meisten wurde auch Wolfgang Rank von der politischen Wende überrascht. Natürlich wusste man, dass der Osten dem Westen wirtschaftlich heillos unterlegen war. Das sah man ja auch an den Autos, die produziert wurden. „Das war aber nicht immer so. In den 50er-Jahren hatten wir eine tolle Palette beim Wartburg 311, sogar mit einem international preisgekrönten Sportcoupé.“ Leider sei die DDR-Fahrzeugindustrie über die Manufakturfertigung nie hinausgekommen, es fehlte an Material und Taktstraßen gleichermaßen. „Das war alles vorsintflutig.“ Die Konsumgüterproduktion in der DDR sei auf den Westmarkt fixiert gewesen. „Was über Neckermann auch nur zehn Pfennige Devisen brachte, wurde gemacht. Die Leute im Land und ihre Bedürfnisse waren den Oberen wurscht.“ Dass dies auch eine Frage der wirtschaftlichen Potenz gewesen war, ist klar. „Als ich von 1969 bis 1973 studierte, gab es noch ganz viele tolle Autoideen made in DDR, die leider nur für den Papierkorb entwickelt wurden.“

Opelfahne flattert an der Eselsburg

Insofern war der mit der Wende einsetzende Run auf Westautos verständlich. Wolfgang Rank hatte Glück, dass er seinen 1.3er-Wartburg im März 1990 für den Kaufpreis von 1988 (allerdings nun mit Schiebdach und Westradio) an einen Betrieb loswurde. Nur einen Monat später fiel der Wert für den gleichen Typ schon auf die Hälfte, und im Herbst 1990 war gar nur noch ein Bruchteil davon übrig.

„Die Findigsten im Osten hatten schon im Winter 1990 erkannt, wohin die Reise gehen würde“, erinnert sich Wolfgang Rank. „Und das waren noch nicht mal die Autohändler selbst gewesen.“

Aber schließlich war der Wunsch der Leute nach einem Westauto von niemandem mehr zu ignorieren.

Schon zu Ostern flatterte die Opelfahne an der Eselsburg, nachdem die Firma Rank einen der ersten offiziellen Markenverträge abgeschlossen hatte. „Bloß Autos hatten wir noch keine. Aber vor allem die wollte die Kundschaft sehen.“ Was tun? Wolfgang Rank bekam über einen ehemaligen Mitarbeiter, der aus der DDR ausgereist war, Kontakt zu einem Autohändler im Ruhrgebiet. „Wir sind zu acht mit einem Kleinbus-Taxi rübergefahren und mit acht Autos zurückgekommen. Natürlich nur Opel-Modelle.“

Kundschaft bildet Spalier

Als die Kolonne am Abend, es wurde bereits dämmrig, auf das Eselburg-Areal fuhr, musste sie durch das Spalier der kommenden Kundschaft. „Die ersten legten sich sofort fest: Das wird mein Auto!“ Ranks unternahmen noch zwei weitere Fahrten und nahmen insgesamt 24 Auto quasi in Kommission. „Der Westhändler vertraute mir, dass irgendwann das Geld dafür fließen wird.“ 

Und so ist es auch gekommen. Schon am 2. Juli wurden die meisten der Opel für harte DM verkauft. Rank erinnert sich: „Am Abend bin ich mit sage und schreibe 350 000 Westmark und einem mulmigen Gefühl auf die Volksbank in Pulsnitz gefahren und habe das Geld eingezahlt.“ Alles ist gutgegangen. Und schon Ende Juli gab es im Westen so gut wie keine Gebrauchten mehr. Für manchen Autohändler in den alten Bundesländern war dies die Rettung gewesen, meint Wolfgang Rank heute.

Er startete erfolgreich in die Marktwirtschaft durch. Nicht nur mithilfe von Opel, sondern vor allem mit viel Übersicht und Seriosität und einem Kundenservice, der heute mit dem nach wie vor guten Namen Rank in der Autohaus Winter GmbH fortgeführt wird. „Es war schon eine verrückte Zeit“, sagt der rüstige Senior. Und etwas berechtigter Stolz schwingt da mit.