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Als die Rucksackbande unterwegs war

Noch heute treffen sich regelmäßig die einstigen Kinder, die früher in der Kohlbergstraße in Pirna wohnten.

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Von Mareike Huisinga

Die drei Damen haben die kleine Küche gut im Griff. „Margitta, setzt du schon mal den Kaffee auf?“, ruft Anita Reinert (69). „Geht sofort los“, antwortet Margitta Colosser (66) und füllt kurzerhand die Kanne mit Wasser auf. Derweil schneidet Gisela Preller (70) akkurat den Kirschkuchen an, selbstgebacken, versteht sich. Die drei Damen haben alle etwas gemeinsam: Sie sind mit Männern verheiratet, die früher in der Kohlbergstraße in Pirna wohnten. Jedes zweite Jahr treffen sich die ehemaligen Kinder mit ihren Partnern, um alte Erinnerungen aufzufrischen, aber auch, um von neuen Zeiten zu erzählen. Vor einer Woche kamen die rund 40 Erwachsenen im Vereinshaus vom Hundesportverein, gleich in der Nähe der Kohlbergstraße, zusammen.

Eingeschworene Gemeinschaft

Der Kaffee röchelt in der Maschine, just in diesem Moment betritt eine weitere Dame die Küche und wird erstmal umarmt. „Mensch, Brigitte, schön, dass du da bist.“ Brigitte Petit (69) lebt heute in Lohmen, wuchs jedoch in der Kohlberg-Straße auf. „Und wir waren eine eingeschworene Gemeinschaft, das kann ich Ihnen versichern.“ So erinnert sie sich zum Beispiel daran, als die 38 Mädchen und Jungen von damals Räuber und Gendarm spielten. Eine Mutter wurde dabei gleich mal gefangen genommen und an einen Baum gefesselt. Keine Sorge, nur für kurze Zeit. Fremder Flieder war am Muttertag übrigens auch nicht vor der Rasselbande sicher. Auch Manfred Reinert (70) erinnert sich noch gut: „Man nannte uns damals die Rucksackstraße, weil wir nach dem Krieg, als es wenig zu essen gab, mit Rucksäcken zu den Bauern gingen und Kartoffeln und Äpfel klauten.“ Nicht nur das. Außerdem fischten die Bengels aus der Seidewitz Forellen heraus. Selbstverständlich unerlaubt. „Dafür saßen wir dann auch für einige Stunden zusammen im Knast. Das schweißt zusammen“, erzählt Manfred Reinert und stößt bei diesen Worten Klaus Colosser (67) freundschaftlich in die Seite. Der weiß es noch ganz genau und hat sichtbar Spaß bei dieser Erinnerung.

Ohne Klaus Colosser würde es vermutlich das Treffen der „Ehemaligen“ aus der Kohlbergstraße nicht geben. Wie die Idee entstand? „Damals blickten wir alle ziemlich zum Zschaler Jochen auf, der etwas älter war als wir und recht mutig. Er zog dann zu DDR-Zeiten in den Westen. Immer, wenn er wieder nach Pirna kam, trafen wir uns im kleinen Kreis. Da kamen wir nach der Wende auf die Idee, sämtliche aktuellen Adressen der anderen Kinder zu besorgen und ein großes Treffen mit allen, auch mit den Partnern, zu organisieren.“ Gesagt, getan. 1998 kamen die „Kohlberg-Kinder“ das erste Mal zusammen. Übrigens sehr romantisch, denn passenderweise trafen sich die Pirnaer auf dem Kohlberg, machten Lagerfeuer und erzählten und erzählten. „Klassentreffen und Jubelkonfirmationen gibt es häufig, aber ein Treffen der Kinder, die zusammen in einer Straße groß geworden sind, ist doch mal etwas Besonderes“, stellt Brigitte Petit fest und lacht dabei übers ganze Gesicht.

Gegenseitige Hilfe

„Wir sind ne richtig gute Truppe“, stimmt ihr Anita Reinert zu. In der Tat, denn es bleibt nicht nur bei der Zusammenkunft aller zwei Jahre, man hilft sich gegenseitig. „Neulich war der Legler Jochen, der heute in Dresden wohnt, verreist. Ganz klar, dass sich einer von uns um den Garten kümmert“, sagt Klaus Colosser. Wenn jemand aus dem Kreis stirbt, so gehen die anderen, die in der Nähe wohnen, zur Beerdigung. Aber zum großen Treffen jedes zweite Jahr reisen auch die Auswärtigen aus Gelsenkirchen, Essen Thüringen, Berlin, Dresden und Lohmen an. So wie Jochen Zschaler, der bei Recklinghausen wohnt und mittlerweile mit lautem Hallo begrüßt wird. Sein Kommentar: „Ehrensache, dass ich heute hier dabei bin. Ich würde auch noch mehr Kilometer fahren, um meine alten Freunde zu sehen.“