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Als es in Ziegra noch eine Schule gab

Einst war der Ort ein Bauern- und Handwerkerdorf. Von dem ist aber nicht mehr viel übrig geblieben.

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Von Cathrin Reichelt

Sie kennen sich, seit sie Kinder waren. Sie haben so manchen Blödsinn miteinander gemacht, aber auch einiges im Dorf gemeinsam angepackt. Fritz Kießling und Werner Heinze wurden in Ziegra geboren, sind dort aufgewachsen und haben immer in dem Ort gelebt. Werner Heinze wohnt sogar noch in dem Haus, in dem er das Licht der Welt erblickte.

Das ehemalige Rittergut ist ein Schandfleck im Ort. Es wurde bis 1945 genutzt und danach in etwa 20 Neubauernstellen aufgeteilt. Zwar hat das Gebäude einen Besitzer. Doch dessen Pläne wurden nie umgesetzt. Das Haus verfällt immer mehr.
Das ehemalige Rittergut ist ein Schandfleck im Ort. Es wurde bis 1945 genutzt und danach in etwa 20 Neubauernstellen aufgeteilt. Zwar hat das Gebäude einen Besitzer. Doch dessen Pläne wurden nie umgesetzt. Das Haus verfällt immer mehr.
In dem sanierten Haus an der Döbelner Straße fühlen sich heute die Mädchen und Jungen der Kita Spatzennest wohl. Unter dem Dach befindet sich das Gemeindeamt. Früher war das Gebäude die Schule.
In dem sanierten Haus an der Döbelner Straße fühlen sich heute die Mädchen und Jungen der Kita Spatzennest wohl. Unter dem Dach befindet sich das Gemeindeamt. Früher war das Gebäude die Schule.

In den Kindertagen der beiden ging es noch gemächlich zu im Dorf. „Wir konnten im Winter auf dem Dorfberg Schlitten fahren“, erzählt der 82-jährige Kießling. Es gab mehr Pferdekutschen als Autos. Heute ist es für Fußgänger teilweise gefährlich auf der schmalen Gebersbacher Straße. Die Autos fahren viel zu schnell und halten auch nicht an, wenn ihnen ein Laster oder Bus entgegenkommt. „Letztens musste ich mich deshalb richtig an die Mauer quetschen“, erzählt Heinze. Den 86-Jährigen ärgert solches Verhalten.

Vorbei sind die Tage, als sie mit Rollern und Handwagen die Straße gefahrlos hinunter sausen konnte. „Einmal bin ich damit im Schlammgraben gelandet“, sagt Kießling. Es war nicht nur Schlamm, der sich in dem Straßengraben sammelte. Es waren die Abwässer aus den Häusern. Die Schleusen wurden erst 1937 verlegt. „Und sie funktionieren bis heute“, so Heinze. Beide Männer sind gespannt, was der Bau der neuen Kläranlage bringt, an die das ganze Dorf künftig angeschlossen werden soll. Im September vergangenen Jahres gab es dazu eine Einwohnerversammlung. Losgegangen ist noch nichts. Auch die angekündigten Gespräche mit den Anwohnern haben noch nicht stattgefunden.

Kinderlärm und Bürostress

Die Kläranlage ist eine weitere Veränderung im Dorf. Von denen hat es in den vergangenen Jahrzehnten einige gegeben. Fritz Kießling und Werner Heinze sind noch in Ziegra zur Schule gegangen. Heinze wurde 1934 eingeschult, Kießling vier Jahre später. Allerdings lernte nur die erste bis vierte sowie siebte und achte Klasse in Ziegra. Die Fünft- und Sechstklässler besuchten die Schule in Limmritz. „Dorthin mussten wir laufen. Damals gab’s keinen Schulbus“, erzählt Kießling. Bei dem Fußmarsch baumelte ein feuchter Lappen aus dem Ranzen. Denn geschrieben wurde noch auf Schiefertafeln. Auch die Kinder der beiden Männer wurden noch in Ziegra eingeschult, wechselten dann aber nach Waldheim und Technitz. Denn 1954 wurde die Ziegraer Schule geschlossen. In die Räume zog ein Kindergarten ein und danach das Gemeindeamt. Außerdem gab es zwei Wohnungen. Nach einer umfassenden Sanierung teilen sich seit Februar 2009 die Kindertagesstätte Spatzennest und das Gemeindeamt das Haus.

Nach der Schulzeit ging Werner Heinze in die Lehre zum Schmied, Fritz Kießling auf den Bau und beide in die Feuerwehr. Die hatte Rittergutsbesitzer Werner Schmidt 1937 gegründet. Aufgelöst wurde sie in den 1990er Jahren. Heinze und Kießling haben beide die Ehrenurkunde für 50  Jahre Mitgliedschaft in der Wehr zu Hause. Eins haben sie in dieser Zeit aber nie erlebt: einen Brand in Ziegra. Dafür haben die Kameraden in den Nachbarorten geholfen, zum Beispiel bei einem Hausbrand in Limmritz, einem Scheunenbrand in Forchheim und einem Brand im Tümmlitzwald. „Das war ein Großbrand. Bei dem waren wir zwei Tage im Einsatz“, erinnert sich Kießling. In Ziegra selbst haben die Feuerwehrleute anders mit angepackt.

Zweimal haben sie einen Konsum gebaut. Den Ersten auf einem Privatgrundstück, den Zweiten Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre gegenüber dem Gasthof. Nach der Wende wurde der Laden geschlossen. „Heute gibt es nichts mehr, wo die Leute einkaufen können. Nur der Bäckerwagen kommt mal vorbei“, bedauert Fritz Kießling. Wer in Döbeln einkaufen will, zahlt für die Hin- und Rückfahrt mit dem Bus 7,20 Euro. „Da kommt man mit dem Auto billiger“, meint Kießling, der früher für eine Bus-Monatskarte 80 Pfennige bezahlt hat. Auch die Bushaltestelle haben die Feuerwehrmänner gebaut. An der heutigen an der ehemaligen Schmiede wünscht sich Werner Heinze noch eine Erhöhung, um besser in den Bus einsteigen zu können. Denn vieles müssen die Ziegraer heute außerhalb ihres Ortes erledigen.

Früher gab es dort einen Maler, einen Tischler, einen Schmied, einen Stellmacher, einen Bäcker, einen Fleischer, zwei Schneider, einen Korbmacher, eine Poststelle und eine Schwesternstation, in die jede Woche ein Arzt kam. Geblieben ist eine Arztpraxis.

Tanzen, kegeln, Kino gucken

Auch das gesellschaftliche Leben in Ziegra ist mit früher nicht mehr zu vergleichen. Es gab Schulfeste mit Umzügen und später von der LPG organisierte Barackenfeste. „Da war immer was los“, meint Kießling. Im Gasthof wurde zum Tanz aufgespielt, Kino geschaut und gekegelt. Sogar die französischen Gefangenen, die dort im Krieg einquartiert waren und auf den Feldern gearbeitet haben, nutzten die Kegelbahn. Der Gesangverein sorgte für Unterhaltung. Heute gibt es noch einen regelmäßigen Frauentreff. Nach und nach zieht auch in den Gasthof wieder Leben ein. Mit dem Lindenblütenfest und der Feier in der Weihnachtszeit sei ein guter Anfang gemacht, meinen die beiden Männer.

Trotz der vielen Veränderungen ist Ziegra für Häuslebauer attraktiv. Neun junge Familien haben sich nach der Wende im Dorf niedergelassen. Die meisten bestehenden Häuser wurden saniert.