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Als Mutter eines Drogenkindes

Laila Domscheit hat sieben Jahre Sucht mit ihrem Sohn durchlebt. Sie will anderen die Augen öffnen.

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Von Ulrike Keller

Der Anruf erreicht sie morgens in der S-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit. Ihr Sohn im Ferienlager ist dran, warnt sie vor: „Die Bullen waren da.“ Nun sei die Zollfahndung auf dem Weg zu ihnen, der Wohnung der Eltern, wo er sein Zimmer hat. Ob jemand zu Hause sei, will er wissen. „Sonst treten die die Tür ein.“ Der traurige Höhepunkt in der Drogensucht ihres Sohnes.

Laila Domscheit aus Bad Schandau ist Jahrgang 1963. Das Thema Rauschmittel ging sie nichts an, bis ihr Sohn sie direkt damit konfrontierte. Sie wollte nicht, sie musste sich damit auseinandersetzen. Ihre Scham war groß, die Suche nach Hilfe und Verbündeten schwer. Sie litt, doch gab sie nie auf. Erst recht nicht ihren Sohn: „Ich schlug nicht, ich streichelte“, sagt sie.

Anderen Angehörigen die Augen zu öffnen und Angebote der Hilfe aufzuzeigen, das hat sie sich zur Aufgabe gemacht. Vor allem mit Lesungen aus ihrem autobiografischen Buch „Geliebtes Drogenkind“, wie jüngst im Soziokulturellen Zentrum Pirna-Sonnenstein. Der Raum ist gut gefüllt. Die Altersgruppe 50 plus dominiert, Männer sind in der übergroßen Minderheit. Die stille Frage: Was lässt sich aus den Erfahrungen Laila Domscheits lernen?

Als ein Freund ihres Sohnes auf einer Grillparty auf sie zukommt und sie einweiht, weiß sie es instinktiv längst selbst. Der intelligente, willensstarke Teenager war so anders geworden, fremd, schwer zu fassen, beschreibt sie: Er pfeift auf Absprachen, kommt abends viel zu spät oder gar nicht heim, hat schlechte Zensuren. Gitarre und Volleyball interessieren ihn nicht mehr. Sein Bekanntenkreis ist ein neuer.

Er nimmt alles, auch Crystal. Probiert neugierig, was er bekommt. Seine Stimmungen wechseln, manchmal isst er gar nichts, dann wieder Unmengen – je nach Drogen. Oft wartet sie bis weit nach Mitternacht, bis der schmale Körper mit dem blassen Gesicht wieder in der Tür steht. Zu jeder Zeit hält sie ihren „Beichtschaukelstuhl“ zum Reden für ihn bereit, steht morgens viel früher auf, um ihn zu wecken und in den Schulbus einsteigen zu sehen.

Was sie damals noch nicht einordnen kann: Wie viele Angehörige von Suchtkranken ist sie co-abhängig geworden. Heißt: Nicht von dem Stoff besteht Abhängigkeit, sondern von dem Gedanken, wie es dem Süchtigen geht. An sein Befinden werden Verhalten und Alltag angepasst.

Wenn der Geschirrschrank zu leer wird, dringt sie in sein Reich ein und nimmt eine Großreinigung vor. Im Papierkorb türmen sich Flaschen, Essensreste, Zigarettenschachteln. Vom Boden saugt sie Plastiktütchen mit weißem Pulver. Der Schreibtisch liegt voller Zettel mit Zahlen und Namen. Nur Briefwaage und Baseballschläger auf dem Schrank sind nie eingedreckt. Vom häufigen Gebrauch. Der Baseballschläger dient ihm zur Notwehr für den Notfall, sagt er ihr. Er dealt. „Weil ich Geld brauchte“, erklärt er später einmal.

Als der Anruf in der S-Bahn kommt, hat Laila Domscheit das Zimmer schon länger nicht mehr geputzt. Sie weiß: Die Zollfahndung wird fündig werden. In Untersuchungshaft hat ihr Sohn endlich die Kraft, aufzuhören. Auch sie sucht sich Hilfe. Heute reflektiert sie: „Ich habe bei ihm verpasst, Grenzen zu setzen.“ Doch immer wieder würde sie einem Drogenkind mit Liebe und Geduld begegnen. Selbst Anzeige zu erstatten, käme für sie nicht infrage. Ihr Tipp an Angehörige: Zur Suchtberatung gehen! Sie hat sich zur ehrenamtlichen Suchtkrankenhelferin ausbilden lassen. Im Kampf gegen eine Suchtgesellschaft.

Im nächsten Teil der Crystal-Serie geht es um Neugeborene crystalabhängiger Mütter und die Folgen fürs Baby.