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Am seidenen Faden

Rund ein Dutzend Hülsenklöppel klappern im Sekundenbruchteiltakt gegeneinander. Jana Kaplanová, Liberecerin, hebt die Klöppelfäden übereinander, verwirrt, verfitzt sie – nur scheinbar. Das ungeübte Auge nimmt nicht wahr, dass jede Handbewegung wohldurchdacht ist.

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Von Katja Zimmermann

Rund ein Dutzend Hülsenklöppel klappern im Sekundenbruchteiltakt gegeneinander. Jana Kaplanová, Liberecerin, hebt die Klöppelfäden übereinander, verwirrt, verfitzt sie – nur scheinbar. Das ungeübte Auge nimmt nicht wahr, dass jede Handbewegung wohldurchdacht ist. Man sieht nur: Ein filigranes Muster entsteht. Und so muss Sinn stecken in Jana Kaplanovás blitzschnellen Bewegungen.

„Wichtig ist, dass man das Ganze zwischendurch immer mit vielen kleinen Nadeln fixiert“, erzählt Jana Kaplanová. Fast jedes Wochenende ist sie mit ihrem Mann Ivo bei einem kleinen Stand auf einem regionalen Markt im Liberecer Raum zu finden. Seit vielen Jahren gehören sie auf solchen Märkten quasi zum Inventar. Dabei hat die geschickte Klöpplerin schon so manche komische Reaktion von Besuchern erlebt – und sich teilweise richtig darüber geärgert. Jana Kaplanová erzählt: „Drängelt doch ein Kind am Rockzipfel, dass es zugucken möchte, wie ich klöpple. Seine Mutter, tief im Geplauder mit einer Bekannten, antwortet: Wir haben genügend Lumpen zu Hause, die kannst du selbst aufkleben.“ Das hat gesessen.

Etwa 15 Stunden arbeitet Jana Kaplanová an einem Klöppelbild: Ihre Idee malt sie auf, korrigiert den Entwurf, zeichnet das Vorlagebild für den Klöppelsack und legt los. „Dabei halte ich mich nicht immer an meine Zeichnung.“ Gekaufte Vorlagen rührt sie nicht an. Jedes Werkstück ist ein Unikat. Noch länger als das Klöppeln selbst dauert dann das vorsichtige Aufkleben auf das Papier. Vorher hat sie das fertige, kunstvolle Spitzendeckchen gestärkt. Der Rahmen bildet den Schluss. -– Am Preisschild jedes einzelnen Bildes steht am Ende eine Angabe von circa „450 Kronen“ (18 Euro). Das entspricht einer Stundenarbeitszeit von etwa 1,20 Euro, das verwendete Material noch gar nicht mit eingerechnet.

Der zarten Dame mit dem elfenhaften weißen Haar glaubt man gern, dass sie als junge Frau Balletttänzerin war. Erst in Liberec (Reichenberg), dann in Plzeò (Pilsen). „Aber nur knapp fünf Jahre“, erzählt sie. Sie habe geheiratet und weil ihr neugeborenes Töchterchen krank war und spezielle Kost brauchte, blieb sie zu Hause. Verständlicherweise konnte sie Jahre später nicht in ihren alten Beruf zurück und heuerte in einer Textilbude an. „In einer Fabrik“, sagt sie nur, „da gibt es nichts zu erzählen.“ Die Arbeit dort scheint jedenfalls nicht zu ihren schönsten Erinnerungen zu zählen.

Tochter lehrte Mutter klöppeln

Ihre Tochter ist heute selbst fast 50. Durch sie ist Mutter Jana aber eigentlich erst zu ihrer Klöppelleidenschaft gekommen. Das muss so vor 30 Jahren gewesen sein, denn die Tochter besuchte ab 1980 vier Jahre lang eine Handarbeitsschule und lehrte ihre Mutter das Klöppeln. „Normalerweise bringen Mütter ihren Töchtern etwas bei“, konstatiert die 69-Jährige, „bei uns war es andersherum.“ Sie setzt sich auf eines ihrer Beine, macht es sich in einem ihrer fast hochherrschaftlich zu nennenden Sessel im Wohnzimmer bequem und nimmt sich ihren großen Klöppelsack vor. Den hat sie selbst gestopft. Mit Heu. „Nicht mit den üblichen Sägespänen, die sind einfach zu schwer, wenn man die Klöppelrolle ständig transportieren muss“, erklärt sie und meint ihre Klöppeltätigkeit auf den Märkten der Umgebung. Auch in Jablonec (Gablonz) und Jelenia Góra (Hirschberg) in Polen ist sie schon gewesen.

Reich werden könne man damit nicht. Die Eheleute wählen bewusst aus, auf welchen „lebendigen Handwerkermarkt“ sie überhaupt gehen. „Meistens bleiben wir in der Nähe“, sagt die dezent geschminkte Klöpplerin. Der Grund ist einfach: Jede Anreise kostet Geld, genauso wie die Rahmen und das Buchbinderpapier, auf das Jana Kaplanová vorsichtig ihre Kunstwerke klebt. Da die Rente prozentmäßig nach dem früheren Gehalt berechnet werde, bekommt das Ehepaar umgerechnet etwa 760 Euro jeden Monat – beide zusammen. Hohe Standmiete auf irgendwelchen Märkten zu bezahlen, fällt deshalb schon von vornherein aus. Zum Glück können die Kaplanovys eine von vier Wohnungen in einer Liberecer Altstadt-Villa ihr Eigen nennen.

Jana Kaplanová denkt zurück, plötzlich kommen die Erinnerungen, stückweise, immer mal wieder. „Kommt ein Paar an meinen Stand, beide um die 45. Der Frau gefällt ein geklöppeltes Blumenbild. Sie möchte es der Großmutter zum Geburtstag schenken. Die springe oft als Babysitterin ein. Der Mann sagt: `Nein, das ist viel zu teuer` und sie gehen weiter – an den Stand, der für etwa 240 Kronen (rund 9,60 Euro) Spanferkelstücken verkauft. Die Großmutter hätte sich bestimmt gefreut“, meint Jana Kaplanová traurig. Das Bild hatte nur 170 Kronen (6,80 Euro) gekostet.

Fast in jedem Theater der Tschechischen Republik hat Jana Kaplanová schon eine Ausstellung ihrer Werke gehabt. Seit fast 20 Jahren rund 60 Mal. Wie passt das zusammen, Klöppelbilder in Schauspielhäusern? – „Der besondere Schatz sind ihre 56 großen Klöppelbilder von verschiedenen Bühnenfiguren“, erklärt ihr Mann Ivo Kaplan stolz und holt einige herbei. Sie sind auf edles braunes Papier geklebt und eingerahmt. Auf dem einen singt die Königin der Nacht, auf einem anderen ist der Papageno aus der „Zauberflöte“ in Aktion. Am liebsten würden sie jetzt die Kunstwerke im Zittauer Theater ausstellen, aus Anlass der gerade begangenen 30-jährigen Städtepartnerschaft mit Liberec. Die Verhandlungen dazu sind gestartet. „Die Bilder gehören in keine Galerie, wo nur eine Handvoll Leute hingeht“, ist sich Ivo Kaplan sicher, „die müssen im Theater gezeigt werden. Dort, wo viele Menschen sind.“ Der stattliche Herr war früher unter anderem Radioredakteur und hat bei einer Zeitung in Liberec gearbeitet. „Damals haben wir uns mit den Kollegen aus der DDR getroffen“, erinnert er sich. Das war in der Zeit, als nach dem „Prager Frühling“ und dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag am 21. August 1968 die ziemlich liberale Zeit im Land vorbei war. Da brauchte man für den Grenzübertritt noch einen Pass. Heute ist der Grenzgang einfach. Der 76-Jährige fährt öfter mal ins polnische Bogatynia (Reichenau). „Dort gibt es so schöne Champignons zu kaufen“, verrät er.

Deckchen vom Christkind

Ivo Kaplan freut sich auf das nächste Jahr. Denn alle Frauen seiner Familie – mit Ausnahme der 20-jährigen Enkelin, die an einer Wirtschaftsschule lernt – möchten eine Ausstellung im Liberecer Bezirksamt gestalten. Mit handgefertigten Erzeugnissen wie „ruèní papír“ (handgeschöpftes Papier) der Tochter, die dann gerade 50 wird, den Klöppelerzeugnissen der Mutter Jana sowie den Theaterkleidern von Janas Mutter, die dann ihren 95. Geburtstag feiert.

Zum Abschluss hat Jana Kaplanová noch eine Geschichte auf Lager: „Steht eine Mutti in der Vorweihnachtszeit vor meinem Stand. Ihr kleiner Sohn beobachtet eine Weile, wie ich klöppele. Man sieht, dass es in seinem Köpfchen arbeitet. Nach einiger Zeit fasst er sich ein Herz, fixiert mich und sagt: Bitteschön, Ihre Produkte sind bestimmt sehr teuer. Wenn das Christkind zu Weihnachten meiner Mama so etwas bringt – da bleibt doch hoffentlich auch noch ein Geschenk für mich mit übrig?`“