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An der Stange

In der Nachtbar Klax sind fast nur Frauen an der Macht. Zu den Tänzerinnen gehört auch eine gebürtige Bautzenerin.

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© Christian Juppe

Von Ulrike Kirsten

Wer Jacki tanzen sehen will, der muss zuallererst an Bernd vorbei. Wenn es draußen an der Tür klingelt, kneift der Türsteher seine Augen zusammen und linst durch kleine Sichtluken in der Tür. Mehr als zehn Jahre arbeitet er im Dresdner Klax. Bernd ist keiner dieser furchterregenden Klischee-Türsteher, die sich vor einem aufbauen wie ein Schrank. Ein bisschen breiter ist er zwar, das Haar zum Pferdeschwanz zusammengebunden. Doch Bernd ist freundlich, auch wenn er jemanden wegschicken muss. Wer es an seinem prüfendem Blick vorbei in die kleine, verspiegelte Nachtbar an der Leipziger Straße in Dresden geschafft hat, der wird mit Handschlag begrüßt. Dann kassiert Bernd ab. Sechs Euro Eintritt zahlen Männer, Frauen kommen kostenlos rein. Bernd lächelt. Für die Tänzerinnen im Klax ist er wie ein großer Bruder, sagt Jacki. Bernd ist Beschützer, passt auf, dass kein Gast zu aufdringlich wird.

Es ist kurz vor 22 Uhr. In ein paar Minuten muss sie das erste Mal auf die Bühne. Ihr makelloser Körper steckt in einem schwarzen, glitzernden Body. Sie trägt hohe, geschlossene Stiefel. „Ich wollte schon immer tanzen“, sagt die 35-Jährige. Jacki tanzt zum ersten Mal vor ihren Eltern, da ist sie sechs. Verkleidet sich, studiert Choreografien ein. Die gebürtige Bautzenerin beendet zwei Ausbildungen, doch glücklich wird sie hinterm Schreibtisch nicht. Jacki beobachtet in der Disko viel lieber stundenlang Go-Go-Girls, saugt jede Bewegung in ihr Gedächtnis auf. „Zu Hause habe ich das dann alles nachgetanzt, Stunden vor dem Spiegel verbracht, damit es so aussah, wie ich es gesehen habe“, sagt Jacki. Schließlich landet sie selbst auf der Box, tourt für ihren Job durch die Republik, tanzt in Clubs in München und auf Sylt.

Eine Viertelstunde später ist der Laden voll. Ein Pärchen prostet sich mit Prosecco zu, ein paar Männer sitzen an der Tanzfläche. Die ist nicht größer als vier Quadratmeter, in der Mitte eine Stange. Gleich verwandelt sie sich zur Traumfabrik. Zehn Jungs aus dem Erzgebirge feiern Junggesellenabschied, kichern wie aufgeregte Teenager. Roland Kaiser singt über die Liebe. „Hier hast du alles dabei“, sagt Jacki und nippt an ihrem Mineralwasser. Alleinstehende, Paare, Alte, Junge, Lesben, Schwule. Am liebsten, sagt Jacki, tanzt sie vor Frauen. „Viele Männer sehen uns nur als Objekte. Klar gibt es auch Ausnahmen. Aber ich höre jeden Abend zig Mal den gleichen Spruch.“ Jacki nerven diese Vorurteile. „Wir sind Tänzerinnen, keine Prostituierten. Anfassen ist nicht“, sagt sie. Seit zwölf Jahren arbeitet sie im Klax, drei Tage die Woche, von 22 Uhr bis sechs Uhr morgens. Sie bekommt eine Grundgage, ihr übriges Gehalt muss sie sich über Getränke und Klax-Dollar dazuverdienen, die ihr beim Tanzen und Ausziehen zugesteckt werden. Aus den Boxen ertönt Miley Cyrus. Jacki, die Tänzerin, hat jetzt ihren Auftritt, windet ihren schlanken Körper um die Stange. Sie macht das so grazil, anmutig und doch kraftvoll, sie könnte Weltmeisterin darin sein. Ihre Bewegungen und akrobatischen Kunststücke an der Pole, wie die Stange auch genannt wird, hat sie sich selbst beigebracht, bei Kolleginnen abgeschaut.

Kurz nach 23 Uhr kommt Wolle Förster auf einen Absacker ins Klax, das er vor 25 Jahren eröffnet hat. Getanzt wird hier aber erst seit 20 Jahren. Nur zwei Tage hat er in dieser Zeit zu gehabt. Beim Hochwasser 2002 und wegen einer Schießerei in den 90er-Jahren. „Ich weiß noch genau, wie ich Wolle das erste Mal traf“, sagt Jacki. Eine Kollegin habe nicht zum Vortanzen gekonnt, dann sei sie hingegangen. Einen Abend beobachtet er Jacki beim Tanzen, schaut, wie sie bei den Gästen ankommt.

„Die Jacki ist schon eine Wucht.“, sagt Wolle. Auch deshalb ist es Jacki schwergefallen, Wolle vom nahenden Abschied zu erzählen. „Wolle ist ein Freund geworden, das Klax Familie. Menschen, die man mag, enttäuscht man nur ungern“, sagt Jacki. Doch nach zwölf Jahren hat sich Erschöpfung in ihrem Körper breitgemacht. Auch wenn ihr Freund kein Problem mit ihrem Job hat, soll bald Schluss sein. „Das ständige Nachtarbeiten zehrt an meinen Nerven.“ Es ist kurz nach Mitternacht. Bernd steht an der Tür, wo vier ältere Herren warten. „Schönen Abend euch“, sagt Bernd und zückt das Portemonnaie.