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Angekommen

Das Dörfchen Perba machte Schlagzeilen mit dem Widerstand gegen zu viele Asylbewerber. Nun sind sie da. Und vieles ist anders.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Muharrem Berisha nimmt einen letzten Zug von seiner Zigarette, dann schaut er sich suchend nach links und rechts um. Kein Mülleimer. Er weiß, wie es aussieht, wenn er den Stummel jetzt fallen lässt – der junge, gut gekleidete Mann aus Pristina, der Hauptstadt Kosovos, der in Deutschland ein neues Leben beginnen will. Der Asylbewerber. Dass die Kleidung wie auch das Handy Geschenke von Verwandten aus dem Ausland oder Spenden sind, sieht man ja nicht. Berisha hält den Stummel fest zwischen zwei Fingern und redet weiter. „Die waren ja richtig gegen uns“, sagt er in fast akzentfreiem Deutsch. Es klingt verblüfft, wie eine Frage. „Richtig rechtsradikal. Das wusste ich nicht.“ Dann fügt er schnell hinzu: „Vor unserer Ankunft.“

Vor wenigen Wochen sah der Protest in Perba noch so aus: Transparente gegen zu viele Asylbewerber im Gasthof Lossen.
Vor wenigen Wochen sah der Protest in Perba noch so aus: Transparente gegen zu viele Asylbewerber im Gasthof Lossen. © Christoph Scharf

„Die“, das sind die Bewohner von Perba, einem winzigen Dorf bei Nossen. Rund 170 Menschen, die in den vergangenen Monaten deutschlandweit und sogar international Schlagzeilen gemacht haben mit ihrem Widerstand gegen die Unterbringung von Asylbewerbern in einem alten LPG-Block. Außer der Sächsischen Zeitung berichteten unter anderem ARD, ZDF, MDR und sogar die britische BBC und die Irish Times. Die Stuttgarter Nachrichten verlegten Perba kurzerhand nach Brandenburg.

Alles begann mit einer gewöhnlichen Stadtratsitzung in Nossen. Auf der wurde am 13. November zum ersten Mal erwähnt, dass 50 Asylbewerber nach Perba ziehen sollen – für Sachsen ein einzigartiges Verhältnis von Einwohnerzahl und Flüchtlingen. Später war die Rede von 50 jungen Männern und in vielen Ohren klang es wie „50 junge Straftäter“. In einem Ort wie Perba – ohne Bäcker, ohne Einkaufsmöglichkeit, wo der Bus nur alle paar Stunden fährt – da müssten die Leute doch einfach auf dumme Ideen kommen.

Seit anderthalb Wochen sind die Asylbewerber da und in Perba ist nichts mehr, wie es war. Der große Aufschrei, der im Dorf zu erwarten gewesen war – er blieb aus. Vor dem grauen Wohnblock fahren am Donnerstagmorgen kleine Kinder auf Dreirädern in der Sonne umher. Ein paar Eltern stehen daneben und grüßen freundlich. Vor dem Eingang parken Fahrräder. Spenden von Bürgern aus den umliegenden Dörfern, aber auch aus Perba selbst. Aus den 50 jungen Männern sind schließlich acht Familien mit zusammen 14 Kindern geworden. Insgesamt 30 Menschen. Vorher waren sie in der Mehrzweckhalle der Verwaltungshochschule in Meißen untergebracht. Vier Familien stammen aus Kosovo, drei aus Serbien und eine aus Iran, heißt es aus dem Landratsamt. Diese Lösung ist ein Entgegenkommen des Landrats Arndt Steinbach (CDU), der in der Debatte um die Unterbringung in Perba viel Kritik kassiert hatte.

Muharrem Berisha ist einer der Asylbewerber, die nun im Dorf leben. Der Vater eines zweijährigen Sohnes kam mit seiner schwangeren Frau Vjollca und seiner Mutter Sala nach Deutschland. Der 27-Jährige Kosovo-Albaner ist zu einer Art Sprecher für die Asylbewerber in Perba geworden. Als einziger von ihnen kann er bereits gut Deutsch. Er lebte mit seinen Eltern vor vielen Jahren schon einmal in der Bundesrepublik. Auch sie suchten damals Asyl, wurden jedoch abgeschoben. Ihr Sohn pflegte die Sprache. Nun hofft er, dass er mehr Glück haben wird. Weil die Presse in die Asylunterkunft keinen Zutritt hat, kommt Berisha heraus, um über das Leben hier zu reden. Darüber, was nach der Ankunft im Dorf passiert ist. Die Frage ist nur, wo?

Außer Wohnhäusern, Feldern und einem Bächlein gibt es in Perba vor allem viel Ruhe. Der Nachbarort Leuben, knapp einen Kilometer entfernt, hat einen Bäcker, doch der kommt ohne Tische aus. Eine kurze Suche nach einer Sitzbank im Dorf verläuft erfolglos. Also nimmt Berisha auf einem Halbkreis aus Steinen neben der Bushaltestelle Platz und zündet sich eine Zigarette an. „Ohne Auto ist man hier aufgeschmissen“, sagt er. Der Bus fahre nur alle zwei Stunden. Als seine Frau nach Lommatzsch zum Frauenarzt musste, wartete sie auf dem Rückweg drei Stunden lang auf den Bus. „Wenn man in einer Stadt ist, hat man eine kleine Abwechslung, geht mal dahin und dorthin“, sagt Berisha. In Perba, wo man 24 Stunden am Tag nichts zu tun hat, könne man schon leicht depressiv werden. Das ist die eine Seite des Lebens hier.

Die andere Seite ist tiefe Dankbarkeit, von den Menschen so aufgenommen worden zu sein. Denn anders als man es von den gerne als Negativbeispiel genannten Perbaern erwartet hätte, war der Empfang überraschend herzlich. Und er endete nicht mit der Ankunft. Der Perbaer Stephan Degen, der mit Brot und einem Schälchen Salz bereitstand, als der Bus aus Meißen am 17. Februar vor dem Heim hielt, habe die Neuankömmlinge danach durch die umliegenden Dörfer geführt und Schlösser und Kirchen gezeigt, erzählt Berisha. Mit anderen Anwohnern – wenn sie nicht aktiv helfen, Spenden vorbeibringen oder eine Mitfahrgelegenheit anbieten – gab es zumindest noch keine Konflikte. „Ok, es gab manche, die vom Auto aus geschimpft oder uns den Mittelfinger gezeigt haben“, räumt Berisha ein. „Aber in Perba drinne? Überhaupt keine Probleme.“

Die wahrscheinlich größte Überraschung für alle: Joachim Möhler. Der studierte Maschinenbauer im Ruhestand wurde zum Gesicht des Widerstands in Perba. Nach der Ankündigung im November war es Möhler, der einen wütenden Brief an Landrat Steinbach schrieb. „Halten Sie es für tragbar, dass 50 Menschen in einem abgelegenen Dorf ohne Einkaufsmöglichkeiten und ohne jegliche kulturellen Angebote einen angemessenen Platz finden?“, hieß es darin. Es war Möhler, der zum Protest vor dem Landratsamt aufrief. Und es war Möhler, der den Medien immer wieder Interviews zur Lage in Perba gab. Irgendwann lief er auch bei Pegida mit.

„So einen Wandel siehst du nicht oft“, sagt Muharrem Berisha und muss schmunzeln. „Er kommt jeden Tag.“ Gemeint ist Möhler. „Er fragt immer, ob wir etwas brauchen. Ich wusste nicht, dass er so gegen uns war. Ich habe es nicht gemerkt.“ Einmal habe er Asylbewerber sogar auf seinem Motorrad mitnehmen wollen.

Möhlers Wandel begann nach einem Besuch der Übergangsunterkunft in der Meißner Turnhalle. Dort konnte er mit zwei Familien sprechen, sah, wie beengt die Menschen lebten, darunter viele kleine Kinder. „Das hat mich wirklich berührt und ich konnte dann gar nicht richtig weiterreden“, erzählt der 65-Jährige bei der Begrüßung der Asylbewerber in Perba. Diesen medial verfolgten Termin hat er sich nicht nehmen lassen. Gleich nach seinem Besuch habe er gesagt, warum solle man diese Leute nicht nach Perba holen. „Wir wollen auch, dass die Leute sehen, dass wir sie nicht etwa mit Plakaten abwehren oder verscheuchen wollen.“ Vor wenigen Wochen sah das noch ganz anders aus. „10 dürfen rein, 50 NEIN“ stand damals groß auf Transparenten, die im Gasthof Lossen im Nachbarort bei einer Protestveranstaltung aufgehängt wurden.

Der große Asylfreund ist Möhler dennoch nicht geworden. Nach wie vor spricht er sich gegen die Unterbringung von 50 – oder mehr – jungen Männern aus. „Aber wenn es Familien sind, die einen gewissen Integrationswillen haben – auch wenn sie vielleicht nicht so lange bleiben können – dann ist das doch ok.“

Gegen jede Wahrscheinlichkeit bleiben zu können, das ist die Hoffnung von Muharrem Berisha. Politiker betonen immer wieder, dass die Anerkennungsquote von Kosovaren gegen Null geht. Es wird sogar diskutiert, das Land zu einem sicheren Herkunftsstaat zu erklären. Dann könnten Menschen wie Berisha und seine kleine Familie noch schneller abgeschoben werden. „Deutschland braucht doch Fachkräfte“, sagt er auf einmal mit Hoffnung in der Stimme. „Stimmt das?“ Muharrem hat studiert, zuletzt war er Manager eines Restaurants. Seine Frau arbeitete in einem Call-Center. Von dem Lohn – um die 200 Euro – könne man nicht leben. Gleichzeitig verschulde man sich jeden Monat um 200 Euro. Ohne Finanzspritzen aus dem Ausland geht es nicht. „Wieso nutzen sie die Asylanten nicht als Fachkräfte?“ fragt Berisha. Doch Asylbewerber dürfen in Deutschland nicht so einfach einer Arbeit nachgehen. Auch wenn das viele wollen.

Zurück in sein Heimatland, das mag der 27-Jährige sich nicht vorstellen. „Ich könnte Geschichten erzählen über Kosovo“, sagt er und es klingt resigniert. Er spricht von Jugendlichen ohne Perspektive, die natürlich alle irgendwann kriminell werden. Von einer korrupten Regierung, die mit Polizeigewalt an der Macht bleibt. „Organisiertes Verbrechen, das gibt es alles.“

Nicht einmal Fußball spielen könne man, wenn man keine einflussreiche Position habe. Fußball, das ist Berishas Leidenschaft. Früher konnte er schon einmal in Deutschland kicken. „Ich habe in der Kreisliga in Nordrhein-Westfalen gespielt. Da macht man Turniere, das gibt es alles in Kosovo nicht.“ Jetzt kommen oft Kinder aus dem Nachbardorf, mit denen die Asylbewerber ein paar Bälle schießen. Berisha hofft, auch bald mit den Großen spielen zu können. Ein Verein in Lommatzsch hat die Asylbewerber zum Probetraining eingeladen. Es ist noch keine Arbeit, aber es hilft, die langen Tage im Dorf zu füllen. Berisha freut sich darauf. „Da schauen wir uns mal an, wie das in Deutschland so läuft, mit den Weltmeistern.“