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Auch bei uns lagen Tote in der Straße Matyas Probocskai

Als ich ein kleiner Junge war, waren die Zeiten alles andere als rosig. Geboren wurde ich kurz vor Weihnachten 1947, am 21.12. in Budapest. Mein Vater Soltan starb kurz vor meiner Geburt an einem Gehirnschlag.

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Als ich ein kleiner Junge war, waren die Zeiten alles andere als rosig. Geboren wurde ich kurz vor Weihnachten 1947, am 21.12. in Budapest. Mein Vater Soltan starb kurz vor meiner Geburt an einem Gehirnschlag. Er wurde nur 37 Jahre alt. In diesen schwierigen Jahren musste meine Mutter Jolan mich und meine zwei älteren Brüder allein erziehen. Aber bei uns im Haus lebten noch die Großeltern, bei denen ich viel war. Sie betreuten mich, bis ich 1952 in die Schule kam. Als bleibender Eindruck dieser Zeit hat sich bei mir nur das Verlangen nach Schokolade eingeprägt. Wir Kinder damals waren glücklich, wenn wir mal ein Stück bekamen. So richtig hungern musste ich nicht. Daran kann ich mich zumindest nicht erinnern. Die Mutter und die Großeltern haben immer genug herangeschafft. Aber etwas Süßes war eine absolute Rarität und Luxus. Mein Lieblingsessen damals war auf jeden Fall Schnitzel. Dass wir in bewegten Zeiten lebten, bekam ich dann als Schulkind hautnah mit. Das war 1956, als der Aufstand der Studenten losbrach. Das waren Eindrücke, die man sein Leben lang nicht vergisst. Die Bilder sehe ich noch heute, als wäre das alles erst gestern gewesen. Damals wurde auch in unserer Straße geschossen und wir Kinder haben zugeguckt. Damals habe ich zum ersten Mal Tote gesehen. Die lagen auch in unserer Straße. Das war schlimm. Nach dem Aufstand und den Wirren brach die Versorgung mit Lebensmitteln zusammen. Deshalb wurde ich für zwei Monate durch das Rote Kreuz in die damalige Tschechei geschickt. Das war eine lange Zeit für ein Kind, in der es getrennt ist von der Familie. Schön war es da auf jeden Fall. Wir wurden auch unterrichtet. Es wurde aber viel mit Sport überbrückt. Am Wochenende waren wir dann immer bei Gastfamilien untergebracht. Da gab es genug zu essen, was ja wichtig war. Aus dieser Zeit bei den Tschechen stammt auch meine Haltung, mit Ausländern, Fremden allgemein gut auszukommen. Das war so eine prägende Erfahrung, im Ausland willkommen und umsorgt zu sein. Deshalb habe ich viele Jahre später nicht gezögert, in die DDR zu gehen. Da war ich schon Techniker für Kellerwirtschaft wie es bei uns heißt und ausgebildeter Önologe am Institut für Kellerwirtschaft in Budapest. Mein Chef und der Chef von Wackerbarth waren befreundet. In Radebeul sollte eine neue Produktlinie aufgebaut werden. Also fragte man mich, ob ich nicht Lust hätte mitzuarbeiten. Und so wurde ich 1970 Technologe im Staatsweingut Wackerbarth. Das war ich 30 Jahre lang. 2000 haben wir, meine Frau Ingeborg und ich, uns selbstständig gemacht in Coswig.Notiert: Torsten Oelsner

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