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Auf der Jagd nach dem Nordlicht

Eine Gruppe sächsischer Fotografen hat sich auf den Weg zum Polarkreis gemacht – mit dicken Socken und viel Geduld. Es hat sich gelohnt. 

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Ein Schauspiel wie aus dem isländischen Sagenbuch: Das Polarlicht strahlt überm Berg Kirkjufell auf der Halbinsel Snaefellsnes in West-Island.
Ein Schauspiel wie aus dem isländischen Sagenbuch: Das Polarlicht strahlt überm Berg Kirkjufell auf der Halbinsel Snaefellsnes in West-Island. © Christoph Simon

Von Thorsten Kutschke

Es ist schon ein seltsames Schauspiel, wenn zwei Männer gemeinsam schwitzend im Badezimmer vorm Spiegelschrank stehen und hektisch mit einem Föhn hantieren. Ob die Frisur sitzt, ist den beiden in diesem Moment aber völlig egal. Der Föhn faucht hier keine Haare trocken, sondern sensible Kameraobjektive, die seit fünf Minuten hoffnungslos beschlagen sind. Genauso wie meine Brillengläser, seit wir aus der Eiseskälte vor der Tür zurück ins wohlig-warme Haus gestürmt sind, um unsere Akkus wieder aufzuladen.

Aus dem Radio tönt liebliche Weihnachtsmusik, aus dem Herd duftet verführerisch eine riesige Lammkeule. Aber keiner von uns hat einen Nerv für diese abendliche Ferienhaus-Idylle gerade. Denn draußen braut sich ein Schauspiel zusammen, das noch viel wunderlicher ist als die beiden Männer und ihr Föhn im Badezimmer.

Wir sind auf Island, unweit von Akureyri, der „Hauptstadt des Nordens“. Es ist Anfang Dezember, und die Tage sind kurz. Sehr kurz. 10.40 Uhr geht die Sonne auf, kurz nach 14 Uhr ist sie schon wieder hinterm Horizont verschwunden. Es ist frostig hier oben kurz vorm Polarkreis. An manchen Tagen wagen wir uns gar nicht vor die Tür, weil man sich bei dem orkanartigen Schneesturm kaum noch auf den Beinen halten kann. Und doch ist es die beste Zeit, jedenfalls für uns: Stephan und Katja aus Berggießhübel, Christoph aus Mittweida, Sven und Susi aus Dresden. Gemeinsam sind wir auf der Jagd nach dem besonderen Augenblick, nach dem besonderen Foto, das jeder Landschaftsfotograf einmal im Leben geschossen haben möchte: ein Foto vom Nordlicht!

Ein Traum, nicht nur für Fotografen: der Goðafoss. 
Ein Traum, nicht nur für Fotografen: der Goðafoss.  © Christoph Simon

Seit drei Tagen warten wir schon, dass sich der Nachthimmel grün färben möge. Aber das exklusive Schauspiel gibt’s auch hier nicht von der Stange – man muss geduldig warten, bis alles zusammenpasst. Was die Laune in unserer Reisegruppe mitnichten trübt, denn dieser isländische Winter hat noch viel mehr fürs (Fotografen-)Auge zu bieten: „Wenn die tief stehende Sonne der Landschaft diese ganz besondere Atmosphäre verleiht und der Dampf der heißen Quellen in der Ferne aufsteigt, dann ist es ein perfekter Wintertag. Und viele Regionen könnt Ihr im Gegensatz zum Sommer beinahe ungestört und deshalb sehr authentisch erleben.“ So hat es mir Rebecca aus Reykjavik versprochen, die im Auftrag einer Tourismus-Marketing-Agentur schon seit vielen Jahren Winter-Rundreisen auf Island organisiert. Uns hat die deutsche Fotografin, die vor Jahren nach Island ausgewandert ist, beim Zusammenstellen einer ganz individuellen Tour geholfen: In einem urgemütlichen Ferienhaus mit beheiztem Hotpot vor der Tür können wir uns auf die Lauer legen, und dank zweier Allrad-Mietwagen sind wir auch im nordischen Winter beweglich.

Stephan, der seine Objektive inzwischen trocken geföhnt hat, schaut gern in den Himmel. Am liebsten im südafrikanischen Namibia, wo der Metallbau-Meister Mitglied in einem Amateur-Astronomen-Club ist und durchs Teleskop ferne Galaxien beobachtet oder die Milchstraße ablichtet. Sein weitester Ausflug in den Norden war bisher Kap Arkona auf Rügen; jetzt sitzt er kurz vorm Polarkreis auf dem Sofa vorm Rechner, sortiert seine Bilder und gibt zu: „Ich habe mich sofort in dieses Land verliebt. Es ist unglaublich, wie einerseits eintönig und beruhigend das hier wirkt, und wie doch hinter jeder Straßenkurve ein neuer fantastischer Ausblick wartet! Wir sind jetzt erst drei Tage hier, mir kommt es vor wie drei Wochen!“

Ich muss schmunzeln, denn ich höre noch die Stimmen aus der Heimat, die da meinten, Island sei im Winter nur grau und stürmisch-kalt. Das hat den Vorteil, dass wir tatsächlich oft allein auf weiter Flur sind, egal ob am Goðafoss, dem „Wasserfall der Götter“, oder beim Baden in einer heißen Quelle mit Wollmütze auf dem Kopf, weil uns bei fünf Grad Minus die Ohren abfrieren würden.

An den meisten Tagen ist es nicht kälter als zu Hause, zumindest nicht am Meer. Die rauchende Insel im Nordmeer liegt direkt am Golfstrom. Wer glaubt, dass Island auch klimatisch kurz vorm Nordpol liege, der irrt. Freilich braut sich hier das Wetter zusammen, von dem wir daheim in den Nachrichten so oft hören. Was dazu führt, dass wir manchmal fünf verschiedene Wetter an einem einzigen Tag erleben. Oder auch mal drei Tage mit kristallklarem Himmel, so wie auf der Snaefellsness-Halbinsel: „Das ist verrückt, dieses Pastell-Licht“, schwärmt Sven, der sonst am liebsten im Elbsandsteingebirge fotografiert. Er weiß den großen Unterschied zu schätzen: „Daheim auf der Bastei hast du zehn Minuten, dann ist die schöne Lichtstimmung vorbei. Hier dauert die Dämmerung fast zwei Stunden – du hast unendlich viel Zeit, in diesem Licht zu fotografieren und es auch ganz für dich selbst zu genießen!“

Und es sind, wie immer auf Reisen, auch die Begegnungen mit den Menschen, die einen Aufbruch ins Ungewisse spannend machen: Als wir einen Erdhügel mit Tür fotografieren (ähnlich den Hobbit-Häusern bei „Herr der Ringe“), durch dessen Gras-Dach dicker Qualm aufsteigt, kommen Sigurdur und seine Frau Hildur aus dem benachbarten Bauernhof auf uns zu: „Das ist unser Räucherhaus“, erklären sie. „Es ist an der Zeit, das Lamm für die Weihnachtsfeiertage vorzubereiten.“ Ob denn bald auch mal ein Nordlicht käme, wollen wir von den beiden Alten wissen. Aber da lachen sie nur und sagen: „Fragt die Sonne!“ Das tun wir dann auch – mithilfe unserer Handys. Abhängig von den messbaren Sonnenwinden, die ihre Teilchen in die Erdatmosphäre schleudern, meldet eine App den sogenannten „KP-Index“. Wer den lesen und deuten kann, der weiß, wann mit Polarlichtern zu rechnen ist. Weshalb Stephan und Christoph heute so hektisch ihre Objektive geföhnt haben.

Tatsächlich gibt die App kurz vor 22 Uhr das lang ersehnte Signal: Nordlicht-Alarm! Wir ziehen alles an, was wir mithaben, stellen die Stative in den Schnee und warten, bis das Schauspiel über den Horizont wabert. Lautlos, tanzend, magisch – irgendwie fast zu schön, um wirklich von dieser Welt zu sein. Wir haben das Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein. Und wir spüren weder kalte Füße noch frostige Finger, während wir die inzwischen getrockneten Objektive der Kameras justieren: Wir sind am ersehnten Ziel unserer Reise, wir vergessen die Zeit, und wir sehen mit fast kindlicher Neugier, wie Elfen und Walküren ihren Reigen tanzen. 

Island im Winter: Das raten Experten

© Grafik: SZ/Gernot Grunwald

Flüge rechtzeitig buchen! Auch wenn die Insel nicht so überlaufen ist wie im Sommer, sind die Flüge sehr begehrt. Empfehlenswert sind Iceland-Air und WOW-Air (beide ab Berlin).

Nicht am Mietwagen sparen! Ein Auto zu mieten ist kein billiges Vergnügen. Wer flexibel sein will, sollte ein Allrad-Fahrzeug wählen. Spikes sind obligatorisch.

Alle Wetter! Man kann auf Island alle Jahreszeiten an einem Tag erleben, auch im Winter. Der isländische Wetterdienst (www.vedur.is) liefert stündliche Prognosen für Temperatur und Niederschlag, Wind (!) und auch Wolkenabdeckung (für Nordlichtbeobachtung!).

Großzügige Zeitplanung! Rechnen Sie immer damit, dass Sie auch mal einen oder zwei Tage wegen schlechten Wetters feststecken können oder eine Straße zeitweise gesperrt wird. Die aktuellen Straßenberichte gibt es auf www.road.is

Planungshilfe: „Guide To Iceland“ (auch auf Deutsch) ist eine Plattform im Internet, auf der man von Quartieren über Mietwagen bis hin zu Tagesausflügen und Erlebnisberichten so ziemlich alles bekommt, was man für die Vorbereitung einer Island-Tour benötigt: www.guidetoiceland.is

Beinahe gespenstisch: die qualmenden Solfataren des Namafjall im Morgenlicht.
 (l.) Die Islandpferde trotzen auch im Winter Sturm und strengen Minusgraden. 
Beinahe gespenstisch: die qualmenden Solfataren des Namafjall im Morgenlicht. (l.) Die Islandpferde trotzen auch im Winter Sturm und strengen Minusgraden.  © Christoph Simon/Sven Dietrich

Der Autor: Thorsten Kutschke (48) lebt und arbeitet als freiberuflicher Journalist und Tour-Guide in der Dresdner Neustadt. Für das MDR-Fernsehen moderiert er seit 17 Jahren das Outdoor- und Bergsportmagazin BIWAK, für das er u. a. Expeditions-Reportagen aus Kamtschatka, vom Baikalsee und aus dem Pamir produzierte sowie zahlreiche Kletterfilme in der Sächsischen Schweiz gedreht hat. Kutschke bereist Island seit 1997 und nennt die Insel „Heimat seiner Seele“. Einmal pro Jahr organisiert er als Tour-Guide eine Winter-Safari für Fotografen nach Island.

Endlose Weiten: Die isländische Ringstraße im Norden der Insel. 
Endlose Weiten: Die isländische Ringstraße im Norden der Insel.  © Christoph Simon

Diese Reise wurde unterstützt von Guide to Iceland.