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Auf Schritt und Tritt verfolgt

Nach dem Tod von Werner Greifendorf versucht die Stasi alles, um die Selbstverbrennung zu vertuschen.

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Von Jens Ostrowski

Andreas Schoob steht an dem Grab seines großen Bruders Werner Greifendorf. Fast auf den Tag genau vor 36 Jahren trug er den 28-Jährigen auf dem Poppitzer Friedhof zu Grabe. Oder besser gesagt: Die Stasi beerdigte ihn. Denn die Familie durfte weder den Leichnam sehen, noch den Sarg selbst tragen.

„Die Stasi ließ uns nicht einmal in Ruhe trauern!“ Diese Fotos des Geheimdienstes zeigt die Familie von Werner Greifendorf am 14. November 1978 auf dem Weg zu dessen Beerdigung zum Friedhof in Poppitz. Fotos: BStU
„Die Stasi ließ uns nicht einmal in Ruhe trauern!“ Diese Fotos des Geheimdienstes zeigt die Familie von Werner Greifendorf am 14. November 1978 auf dem Weg zu dessen Beerdigung zum Friedhof in Poppitz. Fotos: BStU
Links im Bild: Andreas Schoob.
Links im Bild: Andreas Schoob.

Die Selbstverbrennung des 28-jährigen Riesaers im Zuchthaus Cottbus will die DDR damals unter allen Umständen vor dem Westen geheim halten. Wie hoch die Sache angebunden ist, zeigt sich darin, dass Minister Erich Mielke über jeden Schritt persönlich informiert wird. Neben den Mithäftlingen, die die Selbstverbrennung mit eigenen Augen sahen und deren längst geplanter Freikauf durch die BRD deshalb für viele Monate ausgesetzt wird, sieht die Staatssicherheit auch die Beisetzung des Leichnams als neuralgischen Punkt. Aus Sorge, dass hier West-Journalisten auftauchen könnten, verabschiedet der Chef der Riesaer Kreisdienststelle, Siegfried Winkler, einen Maßnahmeplan mit insgesamt elf Punkten.

Schon einen Tag vor der Trauerfeier wird demnach das Wohnhaus der Mutter in der Maxim-Gorki-Straße 17 unter ständige Kontrolle gestellt. Ein- und ausgehende Post aller Bewohner des Gebäudes wird von der Stasi geöffnet und gelesen, um zu verhindern, dass sich die Information von der Selbstverbrennung verbreitet. Greifendorfs Verwandte in anderen DDR-Bezirken werden von den dort zuständigen Dienststellen überwacht. „Denn es wurde uns verboten, über die wahren Gründe für den Tod von Werner zu sprechen“, erinnert sich Andreas Schoob.

Der damals 18-jährige Riesaer Seifenwerker hatte seinen Bruder zuletzt zwei Tage nach dessen Selbstverbrennung im Krankenbett gesehen. „Das Zimmer bewachte ein Stasi-Mann mit Maschinengewehr. Werner war völlig in Verbandsmaterial eingewickelt und nicht ansprechbar.“ Knapp drei Wochen später stirbt Werner.

Die Beisetzung am 14. November 1978 in Poppitz selbst wird von der Staatssicherheit mit einem Großaufgebot überwacht und abgeschirmt. Über ein Dutzend Stasi-Mitarbeiter der Kreisdienststelle Riesa und der Bezirksverwaltung Dresden sowie der Volkspolizei kommen zum Einsatz. Für außergewöhnliche Vorkommnisse steht im Bereich des Polizeireviers zudem noch eine Reserve von rund 150 Polizisten parat.

Streifenwagen bewachen an diesem Tag die Hauptzufahrtsstraßen zum Stadtgebiet in Seerhausen, Röderau und Heyda, „um eine unkontrollierte Bewegung von ausländischen Journalisten nach Riesa zu verhindern“, wie es in den Akten heißt. Die Transportpolizei wird beauftragt, den Riesaer Bahnhof zu kontrollieren, über den Journalisten einreisen könnten.

Die Eingänge zum Friedhof werden von jeweils einem Stasi-Mitarbeiter und einem Angehörigen des Kommissariats I der Volkspolizei bewacht. Sie sollen sich beim Auftauchen von Journalisten als Friedhofspersonal ausgeben und Ihnen aus Achtung vor dem Toten den Zutritt verweigern.

Der Sarg wird nach seiner Überführung aus Cottbus bis zur Beisetzung in einer verschließbaren, für fremde Personen unzugänglichen Kühlzelle in der Leichenhalle Strehla aufbewahrt – und unter Kontrolle der Stasi erst kurz vor der Trauerfeier nach Riesa transportiert. Und selbst den Angehörigen ist es nicht erlaubt, einen Blick in den Sarg zu werfen. „Ich wollte unbedingt sehen, ob Werner auch wirklich da drin ist“, erinnert sich Andreas Schoob. Doch die Stasi lässt das nicht zu. Selbst die Schleifen der Kränze und Blumengebinde werden auf regimekritische Äußerungen geprüft.

Die Hauptabteilung VIII der Bezirksverwaltung Dresden – zuständig für Beobachtungen, Ermittlungen, Durchsuchungen und Festnahme – beschattete die Beerdigungsgesellschaft an diesem Tag auf Schritt und Tritt. Eine ganze Fotofolge dokumentiert den Gang der Familie zum Friedhof. Das bleibt den Anwesenden nicht verborgen. „Wir haben uns die gesamte Zeit beobachtet gefühlt. Dass die Stasi uns nicht einmal in Ruhe trauern ließ, spricht ja für sich“, sagt Andreas Schoob.

Am Ende aber nützt der gesamte Aufwand der Stasi nicht viel. Schon sechs Wochen nach der Beerdigung berichtet die Berliner Zeitung unter der Überschrift „28-Jähriger zündet sich im Zuchthaus an“ erstmals über den Fall Werner Greifendorf.

Lesen Sie morgen im nächsten Serienteil: Die DNA der Stasi. Wir zeigen, wie die Kreisdienstelle Riesa intern funktionierte.

Alle Teile dieser Serie finden Sie unter: www.szlink.de/stasi