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Aufstieg und Fall des Bärenjägers

Lutz Mörtl stieg zum Strompaten von Delitzsch auf. Ein Biomassekraftwerk war sein Traum. Dann stellte sich heraus: Mörtl ließ sich bestechen, etwa mit einer Großwildjagd in Russland.

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Von Thomas Schade

Lutz Mörtl kann sich entspannt zurücklehnen auf seinem Anwesen in Pohritzsch, einem kleinen Dorf im Nordosten von Sachsen. Der 56-Jährige muss das Gefängnis nicht mehr fürchten: Das Landgericht Leipzig hat das letzte gegen ihn anhängige Bestechungsverfahren still und leise eingestellt. Mörtl ist so entspannt, dass er sich auch gar nicht mehr äußern möchte zu all den Vorkommnissen der vergangenen Jahre. Die hatten durchaus eine gewisse Brisanz.

Im Zentrum stand kein x-beliebiger Kleinunternehmer, sondern der in der Region mächtige Ex-Chef der Technischen Werke Delitzsch (TWD), dem Energieversorger der Stadt. „Strompate von Delitzsch“ wurde der energische und selbstbewusste Manager auch genannt, war er doch eng verbunden mit kommunalpolitischen Größen. So war der frühere Delitzscher Oberbürgermeister Heinz Bieniek TWD-Aufsichtsratschef. Der Ausgang der Affäre zeigt, wie schwer sich Sachsens Justiz mit Korruptionsermittlungen tut.

Alles begann 2002. Da war Lutz Mörtls Welt noch in Ordnung. Drei Jahre schon stand der ehemalige Offizier der Nationalen Volksarmee und Diplom-Finanzwirt als Geschäftsführer an der Spitze der TWD, einem der größten Arbeitgeber der Gegend. Er machte seinen Job offenbar gut, sein Vertrag wurde bis 2009 verlängert. Wegen Mörtls hohem „Engagement und Sachverstand zum Wohle der Gesellschaft und der Entwicklung der Region“, hieß es im Rathaus. Die TWD sponserten den Handballbundesligisten Concordia Delitzsch, dessen Präsident als Prokurist beim Stromversorger arbeitete und Mörtls rechte Hand war. Das Wachstum vor Augen, stiegen die TWD mit angeblich einer Million Euro bei zwei Firmen namens BMG und SVG ein, die einen Abfall- und Containerdienst und eine Müllsortierung betrieben.

Der große Coup sollte ein Biomassekraftwerk werden. Das wollte Lutz Mörtl auf dem Gelände der alten Delitzscher Zuckerfabrik errichten. Angeblich eine Maschine zum Gelddrucken, wie er damals glaubte. Mehr als 100.000 Tonnen Altholz wollte der Manager dort jährlich verbrennen und bis zu 30 Megawatt Strom ins Netz einspeisen. Etwa 50 Millionen Euro mussten in das Projekt investiert werden. 20 Arbeitern würde die Anlage Lohn und Brot geben. Doch der große Coup entwickelte sich zum Desaster und kostete dem Strompaten von Delitzsch letztlich die Karriere.

Delitzschs Oberbürgermeister Heinz Bieniek wird später sagen, dass das Projekt die Stadt „so richtig reingeritten hat“. Es sei „eine Nummer zu groß“ gewesen. Tatsächlich liefen die Kosten aus dem Ruder und Umweltschützer sowie Anrainer Sturm gegen die Anlage. Sie fürchteten, in den Öfen könnte auch Müll verbrannt werden. Der Verdacht verstärkte sich, als der Holzlieferant absprang. Die Anlage war fast fertig, da sahen sich die Verantwortlichen plötzlich einem Brennstoffproblem gegenüber. Es musste ein Holzkontor gegründet und gebaut werden, das zusätzlich rund sieben Millionen Euro kostete. Mörtl übernahm zunächst auch dort die Geschäftsführung und ging auf die Suche nach Holz. Zudem wurde beim Bau gemauschelt, aber das kam erst später raus.

Erstes Gerede gab es 2003. Lutz Mörtl nutzte einen zweiten Dienstwagen, einen Audi A6, zur Verfügung gestellt von der Abfallfirma BMG, an der sich die TWD beteiligt hatten. Bald sprach sich herum, das die Limousine meist von Mörtls Freundin gefahren wurde. Eine Überprüfung ergab zunächst: alles in Ordnung. Seine Freundin habe den Wagen nicht ausschließlich genutzt, sagte Mörtl später, längere Strecken sei auch er mit dem Auto gefahren.

Doch bei der kleinen Dienstwagenaffäre blieb es nicht. Zum Verhängnis wurde Lutz Mörtl eine bestimmte Leidenschaft: die Jagd. Im Sommer 2004 saß er in der russischen Taiga und lauerte Bären auf. Angeblich hatte ihn die Suche nach Brennholz in die Weiten Russlands verschlagen. Mörtl wollte alte Eisenbahnschwellen im Biomassekraftwerk in Delitzsch verbrennen. Der Jagdausflug mit dem russischen Geschäftspartner sollte das Verhandlungsklima positiv beeinflussen, erzählte Lutz Mörtl später einer regionalen Zeitung.

In einer Jagdstory hatte er der gleichen Zeitung Monate vorher aber gesagt, dass er mit einem deutschen Jagdfreund in der Taiga war. Über den Abschuss des Bären hätte sich wohl auch keiner aufgeregt, hätte nicht sein Geschäftskumpel von der Abfallfirma BMG die Kosten des Jagdausfluges bezahlt: immerhin mehr als 14.000 Euro.

Die Finanzierung des Holzkontors wurde ein Jahr später endgültig zum Stolperstein. Mörtl hatte für den Bau bei der Bank mehr als zwei Millionen Euro Schulden gemacht – ohne vorher mit den Aufsichtsgremien über die Konditionen zu sprechen. Mörtl behauptete stets, der Aufsichtsrat habe vor der Aufnahme des Darlehens einen Kreditrahmen in dieser Höhe abgesegnet.

Dennoch wurde er im Sommer 2005 gefeuert und verlor alle seine Geschäftsführerposten. Delitzschs Stadtchef Bieniek sagte später, dass er sich den „Unregelmäßigkeiten im Holzkontor“ nicht entziehen konnte. Sie waren auch vor Gericht ein wichtiger Streitpunkt, denn Lutz Mörtl hatte gegen seine Kündigung geklagt. Der einst erfolgreiche Strommanager kämpfte nun plötzlich ganz allein gegen das Rathaus-Establishment. Anfangs habe es Mörtl „sicherlich gut gemeint“, am Ende habe er „maßlos übertrieben“, resümierte Bürgermeister Bieniek. Mörtl habe sich verhalten, als ob die Technischen Werke sein Eigentum seien.

Das Vertrauen zwischen dem Strompaten und dem lokalen Politikerchef war aufgebraucht. Im Kündigungsschutzstreit einigte man sich nach mehreren Verhandlungstagen zwar außergerichtlich, Lutz Lutz Mörtl aber war draußen. Wohl auch deshalb, weil sich die Staatsanwaltschaft mittlerweile für seine umtriebigen Geschäftstätigkeiten interessierte. Sachsens Anti-Korruptionseinheit Ines übernahm den Fall, durchsuchte Büroräume und Mörtls exklusives Anwesen, das ihm zeitweilig den Spitznamen „Baron von Pohritzsch“ eingebracht hatte.

Die Anti-Korruptionsermittler fanden in den Akten Hinweise darauf, dass in dem Biomassekraftwerk nicht nur Altholz mit einem Anteil von maximal drei Prozent Störstoffen verfeuert wurde, wie es fachtechnisch in der Betriebserlaubnis steht. Zuvor hatte schon eine Bürgerinitiative vermutet, dass in dem Werk auch alte Teppichböden und medizinische Abfälle verfeuert wurden.

Die Ermittlungen dauerten länger als vier Jahre. Dann, im September 2009, klagte die Generalstaatsanwaltschaft Lutz Mörtl wegen Bestechlichkeit, Steuerhinterziehung und wegen des unerlaubten Betreibens einer Anlage an. Die Ermittler warfen dem ehemaligen Vorzeigemanager mehr als nur die Bärenjagd in der Taiga vor. Diese war ihm laut Anklage gesponsert worden, weil er einen Vertrag mit einer der Tochterfirmen zuungunsten der TWD aufgelöst hatte. Die Ermittler fanden zudem heraus, dass Mörtl bereits 2002 rund 76 000 Euro Schmiergeld in bar und Geschenken angenommen sowie weitere 80.000 Euro verlangt hatte. Dafür, so die Anklage, hatte er einem Verbindungsmann des französischen Anlagenbaukonzerns Alstom verraten, welche Preise die Konkurrenz für den Bau des Biomassekraftwerkes geboten hatte. Alstom erhielt später den Zuschlag.

Als Schmiergeld lasteten ihm die Ermittler auch 22.000 Euro Provision an, die ein befreundeter Versicherungsvertreter dafür zahlte, dass er die TWD versichern durfte. Dass Lutz Mörtls Freundin zeitweilig für diesen Mann tätig war, werteten die Ermittler als Scheinanstellung. Bestätigten sich die Vorwürfe in der Beweisaufnahme vor dem Landgericht Leipzig, so drohten Mörtl mehrere Jahre Haft. In der Summe handelte es sich immerhin um rund 135.000 Euro hinterzogene Steuern und Bestechung im Wert von 124.000 Euro.

Doch die Anklage verstaubte fast zwei Jahre beim Landgericht Leipzig, ehe die Wirtschaftsstrafkammer den Prozess für Dezember 2011 terminierte. Was dann im Hinterzimmer des Vorsitzenden Richters Carsten Nickel passierte, kann nicht als Ruhmesblatt für Sachsens Justiz gelten. Man kann nur ahnen, dass gefeilscht wurde wie auf dem arabischen Basar, um den Prozess schnell zu beenden.

Der Angeklagte lutz Mörtl musste lediglich die Schmiergeldannahme bei der Auftragsvergabe zum Biomassekraftwerk und die Steuerhinterziehung zugeben. Im Gegenzug erhielt er eine Bewährungsstrafe von 21 Monaten und eine Geldbuße von 21.000 Euro. Das Urteil sei eine „Ermunterung zur Untreue“, sagte damals Michael Friedrich, der für die Linke im Kreisrat Nordsachsen sitzt.

Alle anderen Korruptionsvorwürfe und auch die illegale Müllverbrennung, für die Mörtl laut Anklage ebenfalls mit 10.000 Euro geschmiert worden war, ließ man fallen. Nur die Bärenjagd in der Taiga trennte Richter Nickel ab, um sie zu einem späteren Zeitpunkt zu verhandeln. Noch im März 2012 zeigte sich die Generalstaatsanwaltschaft interessiert, dass die Bärenjagd bald verhandelt wird. Doch das hatte Richter Nickel wohl in absehbarer Zeit nicht vor, seine Kammer gilt als chronisch überlastet. So kam, was absehbar war: Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft stellte er zu Beginn dieses Jahres das letzte Verfahren gegen Lutz Mörtl ein und begründete den Schritt mit dem Paragrafen 154 der Strafprozessordnung. Juristen übersetzen ihn für Laien mit dem Spruch: Davon wird der Braten auch nicht fett.