SZ +
Merken

Aufstieg und Fall des Martin Spieß

Als Lomma-Chef hantierte er mit Millionen. Jetzt lebt er von ein paar Hundert Euro. Kann man ihm glauben?

Teilen
Folgen
NEU!

Von Jürgen Müller

Er war die Lichtgestalt in Lommatzsch, wurde hofiert und gefeiert, als er die Lomma GmbH 2006 aus der Insolvenz heraus kaufte. Auf ihn projizierten sich die Hoffnungen der Mitarbeiter, ja der gesamten Stadt. Und Martin Spieß packte an. Riss alte Hallen ab, baute neue, schaffte moderne Maschinen und Anlagen an. Erweiterte die Produktion, akquirierte Aufträge im In- und Ausland. Spieß galt als Macher, als einer der anpackt, das Unmögliche möglich macht, aber auch als selbstbewusster, cholerischer Chef, der keinen Widerspruch und niemanden neben sich duldete. Doch Spieß überschätzte sich maßlos. Sein Konzept setzte auf stetiges Wachstum. Als das ausblieb, auch wegen der Wirtschafts- und Finanzkrise, kam, was kommen musste - die Insolvenz. Die hatte er mit allen Mitteln abzuwenden versucht. Dem umtriebigen Niedersachsen gelang es sogar, im August 2009 Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) anlässlich eines „Tages der Ausbildung“ nach Lommatzsch zu holen. Schröder lobte Spieß und dessen Arbeit in den höchsten Tönen, adelte ihn als einen Vorzeigemann beim Aufbau Ost. Sieben Monate nach Schröders Lobhudelei war die Lomma pleite.

Martin Spieß hatte 2006 den insolventen Landmaschinenbauer Lomma für rund zwei Millionen Euro erworben. Im Mai 2007 vermeldet das Unternehmen hohe Umsatzsteigerungen. Betrug der Umsatz 2005 noch 5,8 Millionen Euro, waren es ein Jahr später 6,9 Millionen Euro. Für 2007 peilte die Firma einen Jahresumsatz von 12,8 Millionen Euro an. Im März 2010 meldete die Lomma GmbH Insolvenz an. Die Schulden beliefen sich zu diesem Zeitpunkt auf rund zehn Millionen Euro.

Sechs Jahre nach der Pleite kommt Spieß, der inzwischen in Österreich lebt, wieder nach Sachsen. Nicht ganz freiwillig. Er hat einen Gerichtstermin am Dresdner Landgericht. Dunkles Hemd, schwarze Hose, graukariertes Sakko, er macht einen auf solide und seriös. Drahtig ist er wie eh und je, doch sein Gesicht ist gezeichnet von den vergangenen Jahren. Die Pleite von Lomma und Rotec hat ihm schwer zugesetzt. Von Spieß´ Selbstbewusstsein ist nichts mehr zu spüren. Der Mann der klaren und lauten Worte redet plötzlich leise. Von einem beruflichen Desaster hatte er schon in einer anderen Verhandlung gesprochen. Spieß erzählt dem Richter von einer schweren Krankheit im Jahre 2008. Ein Jahr habe er nicht arbeiten können. Zwei Jahre später dann die Insolvenz. „Bis dahin hatte ich einen tadellosen Lebenslauf“, sagt der heute 57-Jährige.

Viel Erfahrung mit der Justiz

Tadelloser Lebenslauf? Zehnmal schon hatte er mit der Justiz zu tun, ist mehrfach vorbestraft. Nach einem Verkehrsdelikt 1981 kam es fünf Jahre später richtig dicke. Wegen räuberischer Erpressung verurteilte ihn das Landgericht Gießen zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung. Wegen Trunkenheit im Verkehr wird er im gleichen Jahr zu einer weiteren Bewährungsstrafe von neun Monaten verurteilt. Eine Geldstrafe fasst er im Oktober 1989 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ab. 1994 steht er wieder wegen räuberischer Erpressung vor Gericht. Das Urteil diesmal: ein Jahr und drei Monate, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung. Zu einer Geldstrafe von 3 500 Euro wegen Körperverletzung verurteilt ihn das Amtsgericht Dresden im Juli 2007.

Auch privat erlebte er ein Desaster. Kurz nach der Lomma-Pleite ließ sich seine Frau von ihm scheiden. Ist er auch ein Hochstapler? Immerhin gab Spieß stets an, er sei Manager bei Volkswagen gewesen. Vor Gericht nennt er als erlernten Beruf „Maschinenbau-Ingenieur“.

Er macht auf die Mitleidstour, berichtet von seinen schweren Krankheiten und davon, dass er innerhalb kurzer Zeit seine Eltern und seinen Bruder verlor. „Ich bin durch die Hölle gegangen. Mir geht es nach wie vor schlecht“, sagt er. In diese Zeit fielen auch die Straftaten, deretwegen er vom Amtsgericht Dresden verurteilt wurde. Gegen das Urteil – elf Monate auf Bewährung und eine Geldauflage von 19 800 Euro – ging er jetzt in Berufung. Nun muss das Landgericht darüber entscheiden. Was wird ihm vorgeworfen?

Nach der Lomma-Pleite gründet Spieß eine neue Firma. Für diese wollte er ein Wohnmobil für 86 500 Euro kaufen, um es beruflich zu nutzen. Doch er bekommt keinen Kredit, weil er eine negative Schufa-Auskunft hat. Auch seine neue Lebensgefährtin, eine offenbar vermögende Österreicherin mit Doktor-Titel, kann den Kredit für ihn nicht aufnehmen. Angeblich lehnt die Bank eine Finanzierung durch eine Ausländerin ab. Spieß braucht also einen „Strohmann“, besser: eine „Strohfrau“. Er bittet eine Bekannte aus Dresden, für ihn den Kreditvertrag abzuschließen. Leider verdient diese als Krankenschwester viel zu wenig. Also stellt ihr Spieß eine Bescheinigung aus, dass die Frau in seiner Firma beschäftigt ist und monatlich weitere 400 Euro verdient. Auch das reicht noch nicht. Dann legt die Frau eine Bescheinigung vor, dass sie von ihrem Ex monatlich 1 000 Euro Unterhalt bezieht. Daraufhin genehmigt die Bank den Kredit. Dumm nur: Der Ex weiß gar nichts davon. Das Schreiben hat Spieß aufgesetzt und die Unterschrift gefälscht. So wird das Wohnmobil für 86 500 Euro plus 26 000 Euro Zinsen gekauft. Er soll es privat genutzt haben.

Als der Schwindel auffliegt, gibt Spieß das Wohnmobil zurück. Den Zinsschaden von 12 000 Euro, auf dem die Bekannte sitzen geblieben wäre, treibt Spieß zwischen zwei Verhandlungstagen auf. So ist letztlich niemandem ein wirtschaftlicher Schaden entstanden.

Bereits im Mai 2011 war Spieß im Zusammenhang mit der Lomma wegen Subventionsbetrugs in drei Fällen vom Amtsgericht Dresden zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt worden. Die Strafe wurde für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Ein Verfahren wegen Insolvenzverschleppung bei der Lomma ist noch anhängig.

800 Euro bleiben zum Leben

Auch deshalb hat Spieß Berufung eingelegt, um finanziellen Spielraum für das anstehende Verfahren zu haben. Nach seinen Worten kann er die Geldauflage nicht zahlen. Er sei jetzt angestellt, verdiente 3 400 Euro brutto, wovon 1 800 Netto bleiben. Davon zahle er Unterhalt für seine 16 und 20 Jahre alten Kinder, gibt ihnen außerdem Taschengeld. „Mir bleiben zum Leben gerade noch 800 Euro“, klagt er. Welch Zufall: Das ist genau jene monatliche Rate, mit der er die 19 800 Euro abzahlen soll.

Zwar hatte seine Lebensgefährtin angeboten, die Geldauflage zu zahlen, doch das Amtsgericht Dresden hatte das strikt abgelehnt. Es sei nicht Sinn einer Bewährungsauflage, dass diese von Dritten bezahlt wird. Dieser Auffassung ist auch das Landgericht. Es ändert das Urteil ab. Spieß muss jetzt nur noch 2 000 Euro Geldauflage bezahlen, und diese nicht wie zunächst vorgesehen an die Staatskasse, sondern an die Heilsarmee. Inzwischen hat Spieß auch Hafterfahrung gemacht. Weil er nach einer Verurteilung als Bewährungsauflage jeden Wohnsitzwechsel melden musste, dass aber irgendwie nicht klappte, wurde gegen ihn Haftbefehl erlassen. 19 Tage saß er in Untersuchungshaft.

So wie sich der Ex-Lomma-Chef vor Gericht gab, möchte man fast so etwas wie Mitleid für ihn empfinden. Oder täuscht er schon wieder alle?