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Auge in Auge mit Otto

Ute und Werner Winde aus Techritz bei Bautzen teilen ihr Leben mit Greifvögeln.Die Falknerei, sagen sie, hat sie Respekt und Geduld gelehrt – auch im Umgang mit Menschen.

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Von Jana Ulbrich

Otto traut sich nicht. Scheu und misstrauisch beäugt der kleine Wanderfalke den ledernen Handschuh. Ute Winde lächelt. „Man muss eben Geduld haben“, sagt sie leise. Sie flüstert fast und vermeidet jede schnelle Bewegung, die den kleinen Falken erschrecken könnte. Otto soll mal ein mutiger Jäger werden. Aber das braucht noch Zeit. Viel Zeit. Jetzt streckt Ute Winde dem scheuen Tier erneut ihre Hand entgegen. „Na komm, Otto, komm. Brauchst keine Angst haben“, lockt sie freundlich. Otto äugt weiter. Ute Winde setzt ihren Jägerhut ab. Vielleicht ist der es ja, der den Falken heute stört.

Seit Tagen schon übt sie mit Otto. Der junge Wanderfalke soll ausgebildet werden für die Falknerei. Ute Winde kann das. Die 58-Jährige hat einen Falknerschein und viel Erfahrung. Ihr halbes Leben teilt sie mit Greifvögeln. Die andere Hälfte mit ihrem Mann Werner, der schuld an der Vogelliebe ist. Und der sie jetzt vom Fenster aus beobachtet. Werner Winde schmunzelt anerkennend in seinen Weihnachtsmannbart. Sie macht das gut, seine Frau.

Der 64-jährige Chef des ostsächsischen Falknerbundes hatte schon als Kind statt Hamster oder Katze lieber einen kleinen Habicht. Seine Frau musste mit ihm auch die Greifvögel heiraten. „Am Anfang wollte ich mit den Tieren eigentlich nichts zu tun haben“, erzählt sie. „Aber es hat mich dann doch fasziniert, wie mein Mann das macht.“ Es habe sie fasziniert, sagt sie, welche Ruhe er den Tieren gegenüber ausstrahlt. Und mit wie viel Geduld und Sanftmut er das Vertrauen der scheuen Vögel gewinnt. Für Werner Winde ist das nichts Besonderes. „Man braucht den Respekt vor dem Tier“, sagt er. Und fügt dann schmunzelnd hinzu, dass ihm das auch im Umgang mit Menschen ganz gut helfe.

Nicht nur im kleinen Ortsteil Techritz bei Bautzen, wo die Wildes mit ihrer Greifvogelschar leben, kennt und schätzt man das Wissen und Können der beiden Falkner. Der Tierpark Bischofswerda bittet um Aufnahme einer Schneeeule, Landwirte oder Spaziergänger bringen verletzte Tiere, wie den stattlichen Seeadler, der nicht mehr fliegen kann. 20 Greifvögel füttern die Wildes auf ihrem Hof gerade durch. Viele bekommen hier ihr Gnadenbrot, weil sie in freier Natur nicht mehr überleben würden. Ein verletzter Turmfalke ist fast genesen. Nach dem Winter will Werner Winde ihn wieder auswildern. Er weiß, wie schwer das ist und versucht, so wenig Kontakt wie möglich zu dem Tier aufzubauen. Es ist ihm schon passiert, dass Tiere immer wieder zu ihm zurückgekehrt sind. Dabei freut er sich über jeden seiner Zöglinge auf Zeit, die gesund davonfliegen und das Jagen nicht verlernt haben. Manchmal sieht er heute noch einen der hellen Bussarde über Techritz kreisen, die er vor zehn Jahren auf den Weg ins eigene Leben geschickt hat.

Ute Winde hat ein totes Eintagsküken aus ihrer Jackentasche geholt. Ottos Lieblingsspeise. Die wird er doch jetzt nicht verschmähen? Der Falke hüpft auf seiner Stange hin und her – immer noch unentschlossen, ob er dem Handschuh trauen kann. „Man muss eine innere Bindung zu den Vögeln aufbauen. Und man darf vor allem ihr Vertrauen niemals enttäuschen“, sagt Ute Winde – und wartet weiter.

Ihre Arbeit mit den Greifvögeln ist ein zeitaufwendiger Job. Alleine das Füttern dauert zwei, drei Stunden am Tag. 90 Eintagsküken, die ein Tierparkversorger tiefgefroren liefert, verfüttert Ute Winde täglich. Der Seeadler braucht schon mal 16 Stück. Dazu gibt’s ab und zu Unfallwild, das Jäger vorbeibringen und Kaninchenköpfe zum Schnabelwetzen.

Neben dem täglichen Training gehen Windes nachmittags mit den Vögeln auf dem Handschuh spazieren. Das ist wichtig, um sie an eine andere Umgebung und andere Menschen zu gewöhnen. Oft gehen da auch die drei Enkel mit oder Jugendliche, die den Falknern in ihrer Freizeit helfen. Ute Winde ist mit ihren Tieren auch oft in Schulen oder Alten- und Behindertenheimen zu Gast. „Wir machen keine Flugvorführungen, wir erklären die Tiere und ihre Lebensweise“, sagt sie. Die zahmen Tiere lassen sich streicheln. „Das sind oft ganz berührende Momente, die ich da erlebe“, erzählt sie.

Und in dem Moment erlebt sie Otto. Jetzt endlich siegt der Appetit aufs Küken über die Angst vorm Ungewissen: Mit einem Flügelschlag hüpft Otto auf den Handschuh. Ute Winde hat gewonnen. Sie wird es morgen wieder versuchen und übermorgen. Und in einem halben Jahr vielleicht wird Otto ein Jagdfalke sein.