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Aus Liebe zur deutschen Sprache

Thomas Schmidt unterrichtet in seiner Freizeit Flüchtlinge in Bischofswerda. Ehrenamtlich.

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© Regina Berger

Von Constanze Knappe

Bischofswerda. Matthias war ein Tunichtgut, ein Bursche voller Übermut. Wie erklärt man Arabern, was ein Tunichtgut ist? Noch dazu, wenn man kein Wort Arabisch spricht. Thomas Schmidt versucht es mit Englisch und einer Umschreibung. Na bitte, das klappt. Die meisten lachen. An einem der Tische malt ein kleines Mädchen aus Kroatien. An den anderen Tischen haben 14 Erwachsene und ein albanischer Junge jeder ein bedrucktes Blatt vor sich liegen. Mit der Geschichte über ein Kind, welches die Tiere im Tierpark ärgert und zur Strafe von einem der Vierbeiner ziemlich unsanft auf den Allerwertesten befördert wird. Eine lustige Geschichte. Für den, der des Deutschen mächtig ist. Damit die vor ihm Sitzenden mit der Sprache etwas besser zurechtkommen, gibt ihnen Thomas Schmidt Unterricht. Nicht im Sinne eines Alphabetisierungskurses oder einer Sprachschule mit Prüfung. Das wäre Staatsaufgabe. Aber im Auftrag des Staats ist der 47-Jährige nicht hier. Der Deutschkurs ist ein Angebot des Vereins Mosaika in Bischofswerda für Bewohner des Asylbewerberheims und der Erstaufnahmeeinrichtung. Thomas Schmidt übernahm die Aufgabe aus freien Stücken. Ohne, dass man ihn hätte groß darum bitten müssen.

Von Hause aus Lehrer für Deutsch und Religion am Goethe-Gymnasium in Bischofswerda mit einer Vorliebe für antike Sprachen und Geschichte ist das Unterrichten für den Burkauer längst Routine. Und doch ist es anders als vor einer deutschen Klasse zu stehen. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen der Flüchtlinge. Einige Syrier sind wissbegierig, sprechen fließend englisch. Sich mit ihnen zu verständigen, da hilft zur Not ein übersetztes Wort oder ein Bild aus dem Smartphone, zum Beispiel wie ein Hirsch aussieht. Die Kroatin hingegen kann mit der englischen Übersetzung des deutschen Satzes, den sie vorzulesen hat, nicht viel anfangen. Thomas Schmidt kramt im Kopf ein paar Brocken Russisch zusammen. Dann ist klar, worum es geht. Die Pakistani können gar nicht lesen. Doch auch sie werden mit neuen Erkenntnissen zurück ins Heim gehen. Ein Gefühl für den Klang der deutschen Sprache möchte Thomas Schmidt ihnen allen vermitteln, dass sie den Mut haben, einige Wörter deutsch zu sprechen und sich selber reden hören, damit sie die Scheu davor verlieren.

Eine Chance für Jeden

Die Teilnahme ist freiwillig. Deshalb weiß er vorher nie, wie viele es in der Stunde sein werden. Anfangs sei der Raum im Obergeschoss der Schiebock-Passage gerammelt voll gewesen, da saßen alle dicht gedrängt im Schneidersitz auf dem Boden, erzählt er. Deshalb wurde der Kurs geteilt, montags für die Neuen und donnerstags für die, die schon ein bisschen weiter sind. Es kam aber schon vor, dass er fast alleine dastand, weil Ausländer ohne Bleiberecht am Abend zuvor abgeschoben wurden. Oder aber, weil die arabischen Christen aus Syrien und die Afghanen aus der Erstaufnahme in ein Asylbewerberheim in eine andere Stadt verlegt wurden. Wie die beiden Kurden, die extra mit dem Bus aus Bautzen kamen, weil ihnen der Kurs bei Thomas Schmidt so gefällt. Der freut sich über das Lob. Die Begrüßung ist herzlich.

Er ist überzeugt, dass einige ihren Weg in Deutschland machen werden. Bei anderen ist er sich da nicht so sicher. Und dennoch, so findet er, sollen sie alle eine Chance haben. „Es muss ja einen Grund geben, warum die Leute hier im Kurs sind. Wenn ihnen die Sprache hilft, sich zurechtzufinden, umso besser“, erklärt er. Deswegen stellt er sich zweimal die Woche hin, wenn es seine freie Zeit erlaubt.

Thomas Schmidt liest mit den Flüchtlingen Märchen oder in der Zeitung, erklärt ihnen mit einfachen Worten die Grammatik, hört und singt mit ihnen Lieder, verweist sie auf arabische Nachrichten über Deutschland im Internet. „Damit sie wissen, was hier passiert“, begründet er. Er spricht auch über unsere Lebensweise. Darüber, dass Schweinefleisch zu essen kein Verbrechen ist, dass die Frauen hierzulande eigenes Geld verdienen, dass sie selbst entscheiden, was sie tun oder lassen wollen. Auch in den Ansichten darüber sind die Flüchtlinge sehr verschieden. Eine Frau mit Kopftuch musste ihren Mann um Erlaubnis fragen, ob sie am Deutschkurs teilnehmen darf. Hingegen mussten zwei junge Frauen einer kurdischen Familie niemanden betteln und ein Kopftuch tragen sie auch nicht. Jede der beiden hat ein Heft vor sich, in dem sie viele deutsche Vokabeln aufgeschrieben haben. Ihre Sätze aus der Kindergeschichte lesen sie beinahe fehlerfrei vor. Auch wenn Wörter wie wecken, necken und erschrecken für sie ziemlich schwer auszusprechen sind.

Keine Anfeindungen

Schon vor vier Jahren, als kaum jemand ahnte, dass die Flüchtlingsfrage Europa in eine Krise stürzen würde, bot Thomas Schmidt im Asylbewerberheim Bischofswerda seine Hilfe an. Und damit lange, „bevor es schick wurde“, sagt er. Bis heute macht es ihm Spaß, den Ausländern seine Muttersprache zu vermitteln und über sein Land zu erzählen. Die meisten, die seither in seinem Kurs saßen, kamen mit dem Schlauchboot übers Mittelmeer. Über ihr Schicksal sprechen sie kaum. Dass man als Fremder in einer völlig anderen Kultur alleine ist, kann er sich gut vorstellen. Deshalb will er ihnen den Aufenthalt erleichtern. Auch denen, die wieder gehen müssen. Seit er mit Flüchtlingen über Deutschland spricht, nimmt er die Vorzüge seines Heimatlandes noch stärker wahr. Aber auch, dass viele Deutsche selbst „eben diese Vorzüge wenig zu schätzen wissen“.

Thomas Schmidt ist Christ. Angefeindet wurde er für seinen ehrenamtlichen Einsatz noch nie. Ihn mit Nächstenliebe zu begründen, das hält er für zu hochtrabend. Er macht es eben einfach so, wie er sagt. Aus Menschlichkeit und aus der Liebe zur deutschen Sprache. Durch den Kontakt zu den Asylbewerbern ist er selber neugierig geworden. Neuerdings hat er immer ein Übungsheft dabei - zum Schreiben und Lesen des arabischen Alphabets.