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Aus Straßen wurden Sturzbäche

Am ersten Juli-Wochenende 1958 richteten Wolkenbrüche in der Südlausitz große Schäden an.

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© Archivfoto: SZ

Von Bernd Dreßler

Löbau-Zittau. Die Himmelsschleusen hatten sich Ende Juni/Anfang Juli 1958 über der Südlausitz schon mehrfach kräftig geöffnet. Im SZ-Wetter waren die Comic-Figuren Pitt und Bolle, die die Prognose täglich illustrierten, fast nur noch mit Regenschirm zu sehen. Nun kündigte der Wetterbericht für das erste Juli-Wochenende dank eines Tiefdruckgebietes neue bedrohliche Regenmengen an. Aber dass sich wahre Wassermassen über der Südlausitz ausschütten würden, damit rechneten die wenigsten. Im Altkreis Löbau erwischte es neben Lautitz vor allem Ebersdorf, aber auch Ober- und Niedercunnersdorf, Kemnitz, Herwigsdorf und Bischdorf bekamen die Naturgewalten zu spüren. Innerhalb weniger Minuten wurden selbst kleine Rinnsale und Bäche zu reißenden Gewässern.

In Cunewalde, das damals zum Kreis Löbau gehörte, waren am 28. Juni 1958 schwere Wolkenbrüche niedergegangen. Die Straßen wurden zu Flüssen. Die Erinnerung an dieses Ereignis wurde mit diesem und anderen Fotos im Bildband „Vu Hoalbendurf bis a de Hoalbe“
In Cunewalde, das damals zum Kreis Löbau gehörte, waren am 28. Juni 1958 schwere Wolkenbrüche niedergegangen. Die Straßen wurden zu Flüssen. Die Erinnerung an dieses Ereignis wurde mit diesem und anderen Fotos im Bildband „Vu Hoalbendurf bis a de Hoalbe“ © Repro: SZ

In Ebersdorf war die Flut nach einem Wolkenbruch am Abend des 5. Juli vom Jäckel her zu Tal geschossen. „Die Flutwellen spülten Zäune und Schuppen hinweg, verwüsteten die Blumengärten, stauten sich an den Brücken und rissen an vielen Stellen die Straßendecke auf. Durch zahlreiche Häuser strömte das Wasser“, resümierte ein Einsatzleiter der Freiwilligen Feuerwehr.

In Niedercunnersdorf drang in die meisten Häuser an der Hauptstraße Wasser ein. Aus der Straße selbst und vielen Gärten und Wegen waren Geröllfelder oder gar eine Kraterlandschaft geworden. In Herwigsdorf und Bischdorf hatte der Rosenbach Felder, Wiesen und Gärten überflutet, Häuser umspült. In Kemnitz traf es besonders die Gebäude am Kretscham und am gerade neu eingerichteten Konsum. Auch in Löbau wurde Alarm ausgelöst, weil die Seltenrein in Altlöbau so angeschwollen war, dass in vier Häusern Keller und Wohnungen im Erdgeschoss geräumt werden mussten.

Im Nachbarkreis Zittau hatte es bereits am 4. Juli das Kraftwerk Hirschfelde erwischt. Aus der kräftig angestiegenen Neiße drang das Wasser in das Wärmepumpenhaus ein. Zwar konnte verhindert werden, dass die Stromerzeugung völlig ausfiel, aber die bereitgestellten Energiemengen mussten erheblich reduziert werden.

So gewaltig wie das Unwetter gewütet hatte, so stark war aber danach der Wille, die Schäden zu beseitigen. In Ebersdorf brachten bereits am Sonntag Fahrzeuge der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei, der Ostsächsischen Natursteinwerke Löbau, der Maschinen- und Traktorenstation Bischdorf oder der Landwirtschaftsbetriebe von überall her Schotter, Feldsteine, Kies und Sand, um die aufgerissene Dorfstraße wieder instand zu setzen. Bereits am Montagmorgen wurde mit dem Pflastern begonnen. In Niedercunnersdorf rief ein Lautsprecherwagen des Kreislichtspielbetriebes die Einwohner „zur sofortigen Wiederaufbauarbeit“ auf. Mehrere Hundert Einwohner ließen sich das laut „Sächsischer Zeitung“ nicht zweimal sagen. Wobei der Reporter die Realität etwas verkannt haben dürfte, wenn er schrieb: „Viele Einwohner hatten selbst Wasser im Keller, ließen es sich aber trotzdem nicht nehmen, zuerst bei den Aufräumungsarbeiten im Ort mit Hand anzulegen.“

Im Kraftwerk Hirschfelde arbeiteten Schlosser, Elektriker und Bunkerwärter ununterbrochen an der Reparatur der beschädigten Technik, bauten verschlammte Schaltanlagen und Motoren aus, reinigten und trockneten sie.

In einer ersten Schadensbilanz stellte die Löbauer Kreiskatastrophenkommission für ihr Territorium fest, dass für die Wiederinstandsetzung der Straßendecken und Brücken etwa 400 bis 500 Tonnen Pflastersteine und 2000 Tonnen Schotter benötigt würden. Sie appellierte an alle Betriebe der steinverarbeitenden Industrie des Kreises, „durch gute Arbeitsleistungen die benötigten Mengen Steine zu beschaffen. Maßnahmen, um eine erhöhte Produktion durchführen zu können, werden in den zuständigen Stellen des Kreises veranlasst“, hieß es. Daraufhin gab es vom Werk Ebersbach der Natursteinwerke Löbau Sondereinsätze zur Schottergewinnung. Im Steinbruch Schönbach wurde im Nationalen Aufbauwerk (später „Mach mit!“-Wettbewerb) ein Sondereinsatz gefahren.

Die Wetterstation Dresden-Klotzsche errechnete für den Juli 1958 eine Gesamtniederschlagsmenge von 216,6 Liter/Quadratmeter, das entsprach 315 Prozent! Für die Tage zu Monatsbeginn reichte fast der Platz im Säulendiagramm nicht aus. Doch das letzte Hochwasser solchen Ausmaßes in der Oberlausitz sollte es nicht gewesen sein. Vom 17. bis 21. Juli 1981 verursachte eine Flut Schäden von großem Ausmaß. Dann kam 2002 das Jahrhunderthochwasser, die Fluten von 2010 und 2013 sind noch in guter Erinnerung. Und auch in diesem Sommer gingen schon oft besorgte Blicke zum Himmel.