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Ausverkauf im Geschenkeladen

Dass Jörg-Thilo Schurig in Großröhrsdorf dichtmacht, hat vor allem gesundheitliche Gründe. Aber nicht nur.

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© Matthias Schumann

Von Constanze Knappe

Weihnachtsmannmasken hängen neben der Osterdeko, Grußkarten warten darauf, zu schönen Anlässen verschickt zu werden. Auf dem langen Verkaufstresen im DDR-Charme stapeln sich Schreib- und Haushaltwaren. Im Regal warten Teddys auf Spielgefährten. Im Laden von Jörg-Thilo Schurig herrscht Endzeitstimmung. Am 17. April wird der 49-Jährige sein Geschäft für Bürobedarf und Geschenkartikel in der Stolpener Straße in Großröhrsdorf zum letzten Mal öffnen. Der Ausverkauf hat begonnen. Alles ist zur Hälfte reduziert. Ausgenommen erzgebirgische und Herrnhuter Weihnachtsdeko, für die es einen geringeren Nachlass gibt.

Mit Leib und Seele Einzelhändler

Eigentlich dürfte der Großröhrsdorfer gar nicht mehr im Laden stehen. Er ist im Grunde berufsunfähig, darf nur noch maximal drei Stunden täglich arbeiten. Sein Gewerbe hat er deshalb zum 30. April abgemeldet. Schon vorher wird er ins Krankenhaus gehen. Und das nicht zum ersten Mal. Die Krankengeschichte ist lang. 2006 stand Jörg-Thilo Schurig knapp vor einem Herzinfarkt, sprang dem Tod gerade so von der Schippe. 2008 folgte Diabetes, 2011 eine Lungenembolie mit 10-prozentiger Überlebenschance. „Unkraut vergeht nicht“, sagt er. Und es klingt nach Galgenhumor. Seit Jahren leidet er an Muskelschwäche. Die Krankheit ist indes so fortgeschritten, dass die Muskeln selbst die Augenlider nicht mehr richtig geöffnet halten können.

Jörg-Thilo Schurig ist mit Leib und Seele Einzelhändler. Weil es nach dem Abitur mit dem Studium nicht klappte, wurde der gebürtige Dresdner Elektronikfacharbeiter. 1985 verstarb sein Vater. Die Mutter schaffte es nicht allein mit dem Laden. So übernahm er ihn 1988 – in vierter Generation. 1930 war das Elternhaus auf der Stolpener Straße erbaut worden, das Geschäft gab es bereits zuvor an anderer Stelle.

Die zwei Jahre vor der Wende seien stressig gewesen. „In dem Laden in HO-Kommission gab es nicht allzu viel zu verkaufen, aber Leute waren immer da“, erinnert sich Jörg-Thilo Schurig. Bildkalender gab es auf Zuteilung an Kunden, die auch sonst öfter etwas kauften. Für erzgebirgische Schnitzereien wechselte beim Großhandel mancher Schein den Besitzer. Dass seine Kunden die Räuchermänner umgehend in den Westen schickten, um dafür Kaffee zu bekommen, das ärgert ihn noch heute. Mit der D-Mark sei das Geschäft dann gut gelaufen. Bis der Euro kam. 2006 schloss der Penny-Markt an der Stolpener Straße, nach und nach außerdem Getränkemarkt, Drogerie und andere kleine Geschäfte. Mit der Folge, dass bei Jörg-Thilo Schurig ebenfalls die Kunden wegblieben.

Schließung ist auch eine gewissen Befreiung

Seit geraumer Zeit bekommt er Hartz IV als ergänzende Leistung für Selbstständige. Das Amt habe ihm mehrfach zur Schließung geraten. Doch weil er angesichts seines gesundheitlichen Zustands ohnehin nicht vermittlungsfähig ist, hält er den Laden so lange wie möglich offen. Um einen Nachfolger bemühte er sich nicht. Wem könne man ein Geschäft mit solchen Problemen schon schmackhaft machen, sagt er. Das Elternhaus ist inzwischen versteigert. Daran denkt der Großröhrsdorfer aber kaum. Eher daran, dass er gern nach Ägypten gereist wäre. Das ging erst finanziell nicht und nun auch gesundheitlich nicht mehr. Den letzten richtigen Urlaub erlebte Jörg-Thilo Schurig 1994. Seitdem stand er, wenn er nicht gerade im Krankenhaus lag, an fast jedem Werktag im Laden. In gewisser Weise ist die Schließung daher wie eine Befreiung. Obwohl er weiß, dass er danach ganz von Hartz IV leben muss. Ab 1. April senkt er die Preise nochmals: auf 50 Prozent für Erzgebirgsware und 75 Prozent für alles andere. Um es loszukriegen. Ansonsten müssten die Sachen entsorgt werden, sagt Jörg-Thilo Schurig. Für Geld, das er eigentlich nicht hat.