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Blauhelme in der Krise

Für ihre Missionen in Srebrenica oder Haiti geriet die Uno in die Kritik. Reformen sind notwendig, erklärt eine Dresdner Wissenschaftlerin.

Von Jana Mundus
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Der Blauhelm, Markenzeichen der UN-Friedenstruppen. In insgesamt 13 Missionen sind sie derzeit weltweit im Einsatz. Doch immer schwieriger wird es, gerade wichtige Mitgliedsstaaten für ein Entsenden von Soldaten zu gewinnen.
Der Blauhelm, Markenzeichen der UN-Friedenstruppen. In insgesamt 13 Missionen sind sie derzeit weltweit im Einsatz. Doch immer schwieriger wird es, gerade wichtige Mitgliedsstaaten für ein Entsenden von Soldaten zu gewinnen. © Michael Kappeler/dpa

Ihre Doktorarbeit hat Sylvia Maus nicht ohne Grund in Englisch verfasst. Wenn sie in wenigen Wochen gedruckt ist, wird die Dresdnerin einige Bücher nach New York schicken. Das Paket geht nach Manhattan, in ein Hochhaus direkt am Ufer des East Rivers, mitten ins Herz der Vereinten Nationen. Denn am United Nations Plaza in New York steht das Uno-Hauptquartier. Die Menschen, die dort arbeiten, sollen lesen, was die Dresdner Wissenschaftlerin aufgeschrieben hat. Schließlich geht es in ihrer Arbeit um eine der Grundfesten der Vereinten Nationen: die Friedensmissionen der UN-Blauhelm-Soldaten. Die sind in den vergangenen Jahren immer wieder in die Kritik geraten. Sylvia Maus hat aufwendig die Gründe dafür erforscht und beschreibt nun die schwierige Situation, in der sich die Uno befindet. Es geht um Menschenrechte, Verantwortung und den internationalen Gedanken.

Das Erdbeben dauert nur 37 Sekunden. Doch die reichten aus, um in eines der ärmsten Länder der Welt noch mehr Leid zu bringen. Mit einer Stärke von 7,0 auf der Richterskala zerstörte das Beben am 12. Januar 2010 weite Teile des Karibikstaates. Insgesamt 220.000 Menschen starben, 2,3 Millionen Haitianer wurden obdachlos. Doch nach der Naturkatastrophe folgte die nächste, diesmal von Menschen gemacht. Die Vereinten Nationen schickten Blauhelm-Soldaten nach Haiti. Unter anderem auch Truppen aus Nepal. Was keiner ahnte: Sie brachten die Cholera nach Haiti.

Eigentlich, sagt Sylvia Maus, hätte dieser Fehler nicht passieren dürfen. „Es gibt Gesundheitschecks für die Soldaten, bevor sie zu einem neuen Einsatz geschickt werden.“ Doch das damalige Verfahren war ungenügend. Der Erreger aus Nepal gelangte durch unzureichende Sanitärmaßnahmen im UN-Camp auf Haiti in einen nahen Fluss. Daraus tranken die ersten Cholera-Betroffenen. Die Bilanz bis heute ist verheerend: 680.000 Erkrankte, fast 10.000 Tote. Erst im Jahr 2016 räumte die Uno eine Mitverantwortung für die Epidemie ein, ein Schuldbekenntnis gibt es nicht – obwohl mehrere Wissenschaftler den Cholera-Stamm aus Nepal in Haiti nachweisen konnten.

Dr. Sylvia Maus, Unesco-Lehrstuhl der TU Dresden
Dr. Sylvia Maus, Unesco-Lehrstuhl der TU Dresden © Nils Eisfeld

Genau das ist das Problem. „Es gibt bis zum jetzigen Zeitpunkt keine adäquaten Verfahren, um Betroffene zu entschädigen, wenn sie bei einem UN-Einsatz zu Schaden kommen.“ Darunter leide zuallererst der Ruf der Uno, erklärt die Juristin. Dabei hatten sich die Vereinten Nationen bereits 1946 verpflichtet, eine Kommission für Betroffene einzurichten. Passiert ist das allerdings nie. „Für viele Menschen in Deutschland ist Haiti gedanklich weit weg“, sagt Sylvia Maus. Doch der Präzedenzfall mache deutlich, wie sehr es solch einer Regelung eigentlich bedarf. „Auch die Öffentlichkeit bei uns ist gefordert.“ 

Politische Entscheidungsträger in Deutschland müssten sich dafür einsetzen, dass Opfer zu ihrem Recht kommen. Für ihre Arbeit wertete die Forscherin nicht nur Unterlagen der Vereinten Nationen aus. Sie schaute sich auch an, wie über Einsätze der UN-Friedensmissionen in den Medien berichtet wurde, las Fachbeiträge zum Thema. Und sie machte sich selbst ein Bild vor Ort. 

In Osttimor in Südostasien besuchte sie die UN-Einsatzkräfte. Obwohl sie aus verschiedenen Ländern kommen, sehen sich die Soldaten bei einem Einsatz einer gemeinsamen Sache verpflichtet. Das haben ihr gleich mehrere ihrer Gesprächspartner erzählt. Nationale Interessen müssten zurückstehen. Die Befehle kommen aus New York und nicht aus den Niederlanden oder Thailand.

Doch die Vereinten Nationen haben es gerade nicht leicht. Im Jahr 1945 gegründet, gehören heute 193 Staaten zur weltweiten Organisation. Von einer Rolle als Weltpolizist oder gar Weltregierung ist sie weit entfernt. Auch weil Staatspräsidenten wie Donald Trump oder Brasiliens Jair Bolsonaro lauthals Kritik an der Uno üben und lieber nationale statt globale Ziele in den Mittelpunkt rücken. 

In immer weniger Mitgliedsstaaten herrscht zudem Demokratie. Viele werden von Autokraten geführt, Regierungschefs mit hohem Machtanspruch. Eine starke Uno – nicht unbedingt deren Interesse. „Auch deshalb ist es wichtig, die Organisation zu stärken“, erklärt die Wissenschaftlerin, die am Unesco-Lehrstuhl für Internationale Beziehungen der TU Dresden arbeitet. Sie sei vorsichtig optimistisch, dass das gelingt. „Dafür sind aber Reformen unerlässlich.“

Nach dem Erdbeben kam die Cholera nach Haiti. Experten gehen heute davon aus, dass nepalesische UN-Soldaten sie mitbrachten. Auf eine Entschädigung warten die Opfer noch heute.
Nach dem Erdbeben kam die Cholera nach Haiti. Experten gehen heute davon aus, dass nepalesische UN-Soldaten sie mitbrachten. Auf eine Entschädigung warten die Opfer noch heute. © epa efe/dpa

Bei den Friedensmissionen der Blauhelme hat sich da schon einiges getan. Doch es sind tragische Beispiele aus der Vergangenheit, die die Veränderungen anschieben, sie unumgänglich machen. Der Abzug der Blauhelme etwa, als 1994 in Ruanda die Hutu fast eine Millionen Tutsi ermordeten. Oder das Massaker von Srebrenica 1995, bei dem bosnisch-serbische Militärs 8.000 Bosniaken töteten. Vor Ort stationierte Blauhelm-Soldaten taten damals nichts. 

Ihre Neutralität hatte in diesen Zeiten für die UN oberste Priorität. „Sie waren auch nicht in der Lage einzugreifen, weil sie gar nicht die Ausrüstung hatten, die Menschen vor Ort zu schützen“, sagt Sylvia Maus dazu. Das damalige Mandat passte nicht zur Situation vor Ort. „Die Voraussetzung für eine erfolgreiche UN-Friedensmission ist, dass sich die Konfliktparteien bereits auf eine politische Lösung geeinigt haben und es somit einen Frieden gibt, den es zu erhalten gilt.“ Auf dem Balkan wäre das Mitte der 1990er-Jahre nicht der Fall gewesen.

Heute haben Blauhelm-Soldaten die Erlaubnis einzugreifen, wenn sie um ihr Leben fürchten müssen, die sie schützen sollen. „Die menschenrechtlichen Verpflichtungen der UN werden jetzt viel stärker betont als früher.“ Auch dann, wenn Blauhelme selbst Gräueltaten begehen und etwa Frauen in Krisenregionen vergewaltigen. „Sie werden sofort abgezogen und müssen zu Hause vor ein Gericht gestellt werden.“ Insgesamt 13 UN-Friedensmissionen gibt es zurzeit. Doch es existieren auf der Welt blinde Flecken, wo Hilfe nötig wäre, aber ein Mandat fehlt. Libyen ist so ein Beispiel, so die Wissenschaftlerin, aber auch der Jemen oder Syrien.

Die Mitgliedsstaaten sind gefragt, sie müssen mehr wagen. „Sie dürfen keine Angst davor haben, Verantwortung zu übernehmen“, fordert Sylvia Maus. Wenn eine Mission geplant wird und gerade große, wichtige Staaten keine Soldaten entsenden wollen, wäre das nicht nur ein Imageschaden für die Vereinten Nationen. „Dann geraten auch die in Gefahr, die die Hilfe der Blauhelme dringend brauchen.“ In New York dürfte diese Ansicht auf jeden Fall interessieren.