Von Mario Heinke
Wenn sich bei „Sport-Wagus“ am Rathausplatz polnische Kunden zum Einkauf ankündigen, bekommt Darek Ziniewicz am anderen Ende der Stadt in der Sportstraße einen Anruf. Am Telefon ist dann Thomas Wagner, der Inhaber des Sportladens. Wenige Minuten später steht Wagner mit seinem Auto vor der Tür und holt seinen alten Freund ab, der schon 1970 in die DDR gezogen ist. Ziniewicz ist gebürtiger Pole, begeisterter Sportler und übersetzt bei Bedarf im Sportladen. „Meine Polnischkenntnisse laufen außer der Wertung“, gesteht Wagner, der den Freundschaftsdienst gern in Anspruch nimmt. Das Besondere daran: Ziniewicz ist fast blind. Genau genommen ganz blind, wie er selbst sagt. „Ich sehe nur schwarz-weiße Umrisse, wie durch ein kleines Loch“, so der 49-Jährige. Anfang der 1980er Jahre hat Ziniewicz gemerkt, dass mit seinen Augen irgendetwas nicht stimmt. Zehn Jahre später ist die Augenkrankheit richtig ausgebrochen. Bei einer Untersuchung diagnostizierten die Ärzte Retinitis Pigmentosa, eine Erbkrankheit. Nach dem ersten Schock hat Darek Ziniewicz sein Schicksal akzeptiert. Geholfen haben ihm dabei seine Frau Maritta, die Söhne Robert und Tobias und der Sport. Weil er in der Schulzeit ein guter Läufer war, wollte er wieder mit dem Laufen beginnen. Reinhard Thöns von der AOK nahm ihn mit zum Behindertensport und stellte den Kontakt zu Andre Scharf her, der sich als Begleitläufer zur Verfügung stellte. Als Scharf wegzog, rief Ziniewicz bei mehreren Sportvereinen an und fragte, ob er mittrainieren kann. Er wollte mehr und unter den Gesunden laufen. Nach vielen schmerzenden Absagen habe ihn Mario Renner von der HSG Turbine Zittau 2004 in die Laufsportgruppe aufgenommen, wo er bis heute trainiert. Seit 2010 läuft er außerdem mit Jörg Knobloch vom Runing Team Süßmann, immer verbunden mit einem Gummiband am Handgelenk. Knobloch komme extra aus Seifhennersdorf, um mit seinem Freund zu laufen. Zwei bis dreimal in der Woche, je nachdem, ob Wettkämpfe anstehen. „Ohne meine Freunde könnte ich keinen Sport treiben“, sagt der Zittauer, der inzwischen unzählige Medaillen, Pokale und Titel angesammelt hat. Siege und vordere Plätze bei den Polnischen Seniorenmeisterschaften oder den Sächsischen Landesmeisterschaften gehören dazu. „Die Pokale sind unwichtig. Ich möchte vor allem dabei und mit anderen Menschen zusammen sein“, erklärt Ziniewicz. Er könne ja nicht Stricken oder Briefmarkensammeln, sagt er in seinem Wohnzimmer sitzend und reißt einen Witz nach dem anderen. „In meiner Situation braucht man viel Humor“. Seine Lebensfreude ist ansteckend, geradezu entwaffnend. Ein Mann, der einfach nur am Leben teilnehmen will, trotz Handicap.


Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Zettel, auf dem sind riesige Zahlen aufgeschrieben. Es ist eine Telefonnummer, die seine Frau ihm notiert hat. Mit einem Lesesystem, das in der Anbauwand steht, lässt Ziniewicz sich die Nummer von einer „erotischen Frauenstimme“, wie er sagt, vorlesen. „Das Ding ist praktisch, da muss ich niemandem auf die Nerven gehen, wenn ich Briefe oder Bücher lesen möchte“, erklärt er und lacht. Die Bilder seiner Angehörigen und Freunde habe er gespeichert, so wie sie aussahen, als er sie noch sehen konnte. „Die altern nicht mehr, in meinem Kopf sind alle jung geblieben“, sagt Ziniewicz. Die uneigennützige Hilfe seiner Sportfreunde nennt er ein gutes Beispiel für Mitmenschlichkeit. Als Erwerbsunfähigkeitsrentner versucht der jung gebliebene Sportler aber auch der Gesellschaft etwas zurückzugeben. So hilft er schon seit Jahren im Comeback-Verein ehrenamtlich, die Zusammenarbeit mit den polnischen Partnervereinen und Einrichtungen zu organisieren.
Seit vier Jahren nimmt der Läufer am Hospizlauf in Herrnhut teil. Inzwischen ist er dem Verein Christliche Hospizarbeit in der Oberlausitz beigetreten. Er könne sich gut vorstellen, Menschen auf dem letzten Weg zu begleiten, mit ihnen zu reden und ihnen zuzuhören, sagt Ziniewicz. Wie unheilbar Kranke, Sterbende und deren Angehörige sich fühlen, davon hat der fast Blinde vermutlich mehr als nur eine Ahnung. Bevor er selbst helfen könne, müsse er aber erst eine Ausbildung als ehrenamtlicher Hospizhelfer absolvieren, erklärt der Zittauer. Am 1. Juni startet Darek Ziniewicz beim Europamarathon in Görlitz. Mit seinem Begleitläufer Jörg Knobloch will er die 10-Kilometerstrecke laufen.