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Bogatynia erstattet Anzeige gegen Ex-Bürgermeister

Wojciech Blasiak, neuer Stadt- und Gemeindechef, über das Erbe seines Vorgängers, seine Wünsche und die Zusammenarbeit im Dreiländereck.

Von Thomas Mielke
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Bogatynias neuer Bürgermeister, Wojciech Blasiak.
Bogatynias neuer Bürgermeister, Wojciech Blasiak. © Stadt und Gemeinde Bogatynia

Er ist in Bogatynia aufgewachsen, hat seine Freunde und Familie in Zittaus polnischer Nachbarstadt, eine Firma dort aufgebaut. Und wollte nicht mehr zusehen, wie seine Heimatstadt den Bach runtergeht, sagt Wojciech Blasiak (parteilos). Deshalb ist der 52-jährige, verheiratete Vater von zwei Kindern bei der Bürgermeisterwahl gegen den langjährigen Amtsinhaber Andrzej Grzmielewicz angetreten und hat gewonnen. Der Verlierer sitzt unabhängig davon seit einigen Tagen wegen des Verdachts, Mitglied der organisierten Kriminalität zu sein, in Untersuchungshaft. Über seine Probleme und Wünsche als neuer Stadtchef sprach die SZ mit  Blasiak.

Herr Bürgermeister, herzlichen Glückwunsch zur Wahl. Ihr Start ins Amt war aber holprig ...

Ich bin ein Mensch, der gern vieles mit seinen eigenen Händen macht. So wollte ich am 12. November meine Wahlbanner selber abhängen. Ich stand auf der Leiter, die wackelte. Ich wollte wieder runterklettern und sie richtig hinstellen. Dabei bin ich unglücklich auf einen Stein hinuntergesprungen und habe mir den Fersenknochen gebrochen. Es war ein komplizierter Bruch. Zudem waren Muskeln und Nerven gerissen.

Seit wann sind Sie richtig im Amt?

Seit drei Wochen. Meinen Amtseid habe ich neben dem Rollstuhl geleistet. Auch jetzt muss ich noch regelmäßig zur Reha.  

Ihr Start im Bogatyniaer (Reichenauer) Rathaus ist sicher nicht nur wegen der Verletzung schwer, sondern auch wegen des Erbes, das Sie antreten. Oder?

Ja, es ist ein sehr, sehr schweres Erbe. Es ist mir zwar eine Ehre, als Bogatyniaer Bürgermeister tätig sein zu dürfen, aber die Situation, in die ich gekommen bin, ist schwierig.

Warum?

Vor allem wegen der Finanzen. Die Vorgänger haben uns so große Schulden hinterlassen, dass wir  - als Gemeinde mit dem zehnthöchsten Pro-Kopf-Einkommen in Polen - eigentlich nicht in der Lage sind, die Schulden abzubezahlen, die auf uns lasten. Trotzdem schaffen wir es dank der enormen Anstrengung unserer Finanzabteilung, aber wir balancieren immer noch an der Grenze.

Aber Ihr Vorgänger hat doch voriges Jahr noch ein tolles Freibad eingeweiht. Da kann es doch nicht so schlimm sein.

Das kann nicht als offizielle Eröffnung bezeichnet werden, weil der Bau des Schwimmbades immer noch nicht geklärt ist. Es war der Besuch auf einer Baustelle.

Was stimmt denn beim Bad in Ihren Augen nicht?

Es wurde Geld ohne die ordnungsgemäße rechtliche Genehmigung ausgegeben, illegal ausgegebenes Geld. Es sollte 9,3 Millionen Zloty - rund 2,15 Millionen Euro, Anm. d. Red.  - kosten, aber es wurden zusätzlich rund 9,2 Millionen Zloty ausgegeben – also insgesamt 18,5 Millionen. 

Heißt das, dass Sie jetzt erst einmal den Finanzhaushalt der Stadt konsolidieren müssen? 

Ja. Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Wir geben derzeit nur und ausschließlich Geld für die gesetzlich vorgeschriebenen Aufgaben der Gemeinde aus.

Was bedeutet das für die Einwohner und die Vereine, die Ihr Vorgänger sehr gehegt hat?

Das Budget ist gekürzt worden. Wir haben nicht das Geld, um die Vereine so zu subventionieren, wie es in den vergangenen Jahren war. Wir haben also die Ausgaben auf das notwendige Minimum begrenzt. Das heißt aber nicht, dass wir nicht positiv in die Zukunft sehen. Es gibt Probleme, die gelöst werden müssen. Die Einwohner müssen verstehen, dass wir nicht ständig Geld ausgeben können, ohne etwas einzunehmen. Steuern erhalten wir in einer nahezu konstanten Größe und nur eine rationale Verwaltung dieses Geldes, das in die Gemeinde fließen wird, garantiert die Entstehung dieses Optimismus.

Wie viele Schulden hat Bogatynia denn?

Alle bestehenden Verbindlichkeiten und Bürgschaften der Gemeinde Bogatynia betragen rund 92 Millionen Zloty (rund 21 Millionen Euro, Anm. d. Red.).

Stimmt es, dass Bogatynia wegen der finanziellen Schieflage Anzeige gegen Ihren Vorgänger erstattet hat?

Die derzeitige Festnahme des ehemaligen Bürgermeisters betrifft die Abfallwirtschaft. Wir haben im Zusammenhang mit dem Bau des Freibades eine weitere Strafanzeige erstattet. Ich weiß nicht, ob es noch mehr geben wird. Zurzeit wird bei uns eine weitere Überprüfung durchgeführt. Ich möchte aber nicht vorgreifen, ob diese Kontrolle weitere Anzeichen für Straftaten ergibt. 


Das neue Bogatyniaer Freibad.
Das neue Bogatyniaer Freibad. © Archivfoto: Wolfgang Wittchen

Hradeker (Grottauer) und Zittauer sind enttäuscht darüber, dass sich Bogatynia in den letzten Jahren immer weiter aus der Zusammenarbeit im "Kleinen Dreieck" zurückgezogen hat. Wird sich das unter Ihnen wieder ändern?

Bogatynia wird wiederkommen, wir sind bereits zurückgekehrt. Ich habe zum Hradeker Bürgermeister im Spaß gesagt: Wir werden so eng mit euch zusammenarbeiten, dass ihr es bald satt habt. Aber im Ernst: Wir wollen mit unseren Partnern aus Tschechien und Deutschland zusammenarbeiten.

Gehört dazu auch die von Ihnen angeregte trinationale Konferenz über die Zukunft nach dem Tagebau Turow?

Ja. Wir denken über die Zukunft von Bogatynia nach, nicht nur darüber, was in einem Jahr, sondern auch darüber, was in zehn bis 15 Jahren passiert. Also was passiert, wenn der Tagebau die Braunkohleförderung beendet.

Bis wann ist der Tagebau genehmigt?

Der Betrieb ist bis 2044 vorgesehen.

Und danach entsteht das "Turower Meer"?

Vielleicht, aber das ist nicht sicher. Ich weiß nicht, wer darüber entscheiden wird und wie viel Zeit nötig wäre, um dieses Meer entstehen zu lassen. Über die Pläne kann der Direktor des Tagebaus oder die PGE (Polnische Energie Gruppe) Auskunft geben. Das gehört nicht zu meinen Kompetenzen.

Welche Ziele für Bogatynia haben Sie nach der Haushaltskonsolidierung?

Ich würde gerne das Krankenhaus behalten, weiß aber noch nicht in welcher Form.

Ist es in Gefahr?

Wir sind meines Wissens nach in ganz Polen die einzige Gemeinde, die ein Krankenhaus unterhält. Ansonsten sind die Landkreise dafür zuständig. Außer dem Erhalt des Krankenhauses möchte ich als nächstes die Bildungsbedingungen verbessern, also Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen sanieren. Auch die sozialen Belange sind mir wichtig. Und das, was man unter Industrialisierung versteht: Ich wünsche mir, dass in der Gemeinde Bogatynia Arbeitsstätten mit Arbeitsplätzen als Alternative zu Kraftwerk und Tagebau entstehen. Nicht zuletzt werde ich mich um die  Entwicklung des öffentlichen Personennahverkehrs, auch mit der Eisenbahn, bemühen. Ich möchte gerne erreichen, dass aus unserer Region, zum Beispiel von Turoszów (Türchau)aus ein Triebwagen verkehrt - bis zu einem Bahnhof, in dem man in die Züge der auf polnischer Seite bereits elektrifizierten Eisenbahnstrecke Dresden–Wrocław (Breslau) umsteigen kann. In Wrocław studieren viele unserer jungen Leute. Schon seit den 90-er Jahren gibt es in unserem Zipfel auf der Schiene nur noch Güterverkehr und die Busse fahren auch selten. Eigentlich kommt man nur mit dem eigenen Auto bequem ins restliche Polen. Außerdem will ich zum Beispiel eine Arbeitsgruppe zum Erhalt von Denkmälern wie den Umgebindehäusern gründen.

Gehört zu Ihren Eisenbahn-Wünschen auch ein Haltepunkt auf der Strecke Zittau-Liberec (Reichenberg) in Porajow (Poritsch)?

Ja, wir sind daran interessiert.

Und gehört zu Ihren Infrastruktur-Wünschen auch der Ausbau der Buckelpiste nach Zittau?

Ja. In diesem Jahr wird das noch nichts, aber wir sind mit den zuständigen Stellen darüber im Gespräch. Und nicht nur das: Wir wollen entlang der Straße auch einen Fahrradweg von Bogatynia bis Opole zdroj (Bad Oppelsdorf) bauen, der dann in Richtung Tschechien weitergeht. Wir würden ihn zudem gern bis Zittau weiterführen und einen an der Neiße-Straße bauen, weil wir uns auch eine Anbindung an das deutsche Radwegenetz wünschen. Aber dazu fehlt uns leider derzeit das Geld. 

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