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Brautschau bei den Wasserjungfern

Immer im Frühling zählt Ranger Herbert Schnabel die Libellen im Heideland. Dann erlebt er Szenen voller Liebe und Eifersucht.

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© Uwe Soeder

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Es krabbelt. Hunderte, vielleicht sogar Tausende Mini-Erdkröten robben durch das Gras am Neuteich bei Uhyst/Spree. Die wippenden Halme müssen den Winzlingen wie Giganten vorkommen. Aber sie haben ein Ziel: Vom Wasser suchen sich die kleinen Hüpfer ihren Weg in den kühlenden Wald. Ranger Herbert Schnabel schreitet ganz vorsichtig über den Waldboden. Dann beugt er sich nach unten, schon eine Sekunde später sitzt eine Unke in seiner Hand. „Vergangene Woche wimmelten hier am Gewässerufer die Kaulquappen. Nun ist die Metamorphose abgeschlossen“, sagt der Mitarbeiter des Biosphärenreservats Heide- und Teichland. Sein Blick schweift aber schon über das Nass. Denn Herbert Schnabel ist auf seiner Libellen-Mission. Seit knapp 20 Jahren beobachtet der Naturparkranger die Population an ausgewählten Teichen im sächsischen Großschutzgebiet.

Mit der Lupe nimmt der Naturparkranger die Libellen ganz genau in Augenschein. Er kann zum Beispiel bestimmen, ob es sich um Männchen oder Weibchen handelt.
Mit der Lupe nimmt der Naturparkranger die Libellen ganz genau in Augenschein. Er kann zum Beispiel bestimmen, ob es sich um Männchen oder Weibchen handelt. © Uwe Soeder
Seit knapp 20 Jahren beschäftigen Herbert Schnabel die Libellen im europäischen Großschutzgebiet in der Lausitz.
Seit knapp 20 Jahren beschäftigen Herbert Schnabel die Libellen im europäischen Großschutzgebiet in der Lausitz. © Uwe Soeder
Die Vierflecklibelle gehört zu den häufigsten Arten im Heide- und Teichland.
Die Vierflecklibelle gehört zu den häufigsten Arten im Heide- und Teichland. © Uwe Soeder

Sein Interesse an den schillernden Insekten beginnt allerdings mit einem verschlammten Teich in seiner Heimatstadt Wittichenau. Eine Gruppe Freiwilliger macht es sich seinerzeit zur Aufgabe, das verkrautete Gewässer am Stadtrand zu renaturieren. Mit dem Bagger wird alles herausgeholt, was nicht hineingehört. Die Pflanzen- und Tierwelt kehrt zurück, unter ihnen auch die Wasserjungfern, wie die Libellen früher genannt wurden.

Leidenschaft zum Beruf gemacht

Diese tierischen Hubschrauber faszinieren Herbert Schnabel. Vor 25 Jahren hat der gelernte Elektromonteur seine Leidenschaft für die Natur zum Beruf gemacht. Schon als Jugendlicher streift er bei Zeißholz durch die Wälder und Felder und hört sich stundenlang Schallplatten mit Vogelstimmen an. – Wie auf Bestellung setzt in diesem Augenblick das endlose Schimpfen aus Tschir-Tiri ein. „Das ist ein Teichrohrsänger, im Volksmund wird er auch Rohrspatz genannt“, sagt der 61-Jährige. Im Schilf am Teichrand klettert der kleine Sänger gerade einen Stängel herauf und hüpft zum nächsten. Es platscht. Ein Karpfen hat sich scheinbar aus den Tiefen des Wassers mal schnell nach oben begeben. Beeindruckend tiefe Ung-Ung-Laute der Rotbauchunke schallen über den Teich. Mit den Balzrufen versucht der kleine Kerl, im Wasser das Weibchen anzulocken. Darüber schwirren die Vierflecklibelle und der Große Blaupfeil. Mit ihrer Blaufärbung macht diese Libellenart ihrem Namen alle Ehre.

Herbert Schnabel holt ein Insektennetz aus seinem Auto. „Teiche sind echte Hotspots der Artenvielfalt“, sagt er und wedelt in der Nähe des Schilfs mit dem engmaschigen Netz durch die Luft. Zweimal, dreimal, viermal wiederholt der das Prozedere unter den Augen von Marcel Kackrow. Der Fischereiingenieur kümmert sich im Auftrag der Firma Spreewaldfisch aus dem brandenburgischen Peitz seit drei Jahren um Teichgruppen bei Uhyst, Mönau und Drehna mit gut 250 Hektar. Der Neuteich ist eins dieser Gewässer. Er liegt in direkter Nachbarschaft zu einem Moor und damit einer Kernzone des Biosphärenreservats. In diesen Bereichen steht die ungestörte Natur im Mittelpunkt. Der Kranich hat hier schon seine Jungen aufgezogen. Naturschutz trifft an dieser Stelle auf die jahrhundertealte Bewirtschaftung. Im Winter standen im Teich nur noch einige Pfützen, im Januar hat Kackrow begonnen ihn anzustauen. In dem sehr trockenen und sandigen Gebiet braucht es sehr lange, um eine ausreichende Wasserhöhe für die Fischzucht zu erreichen.

Hufeisen auf dem Hinterleib

Mit Schwung fängt der Naturparkranger eine erste Libelle. Ganz vorsichtig befreit er den Vierflügler aus dem Netz. Das filigrane Tier ist so lang wie ein kleiner Finger, die leuchtend blaue Färbung wird ganz regelmäßig durch schwarze Binden unterbrochen. „Das ist eine Hufeisen-Azurjungfer“, sagt er und klemmt sich eine Lupe ins Auge. Mit der anderen Hand klappt er behutsam die zarten Flügel zusammen. Dann betrachtet er den Schönling. Ganz deutlich ist das schwarze Hufeisen auf dem Hinterleib zu erkennen. Insgesamt gibt es nach seinen Zählungen etwa 20 Libellenarten im Heide- und Teichland, 68 Arten in Sachsen. Alle sind geschützt, manche streng. Die Hufeisen-Azurjungfer bekommt ihre Freiheit zurück. Doch statt in die Luft schaut Herbert Schnabel nun ans Schilf im Uferbereich. Akribisch wandern seine Augen über das Grün nur wenige Zentimeter über dem Wasser. Er sucht nach Larvenhäuten der Libellen an den Wasserschwertlilien. „Es ist Schlupfwetter“, sagt er. Die Häutungshemdchen lassen die Insekten zurück, bei ihrer Umwandlung vom Wassertier zum Flugkünstler.

Der Experte wird schnell fündig. Was aussieht wie ein verwelktes Pflanzenstück erzählt das Wunder der Natur und wird unter Fachleuten „Exuvie“ genannt. Übrigens: Bevor sich die tierischen Hubschrauber in die Luft erheben, haben sie schon ein spannendes Leben unter Wasser hinter sich. „Einige von ihnen fressen sogar kleinste Fische und Kaulquappen“, sagt Marcel Kackrow. Mithilfe der Libellenlarven kann Herbert Schnabel auf die Größe der Population und den Lebensraum schließen. Zu seinem Untersuchungsgebiet in diesem Jahr zählen gleich zwei Gewässer in der Uhyster Teichgruppe. Einmal pro Woche schaut der Ranger derzeit in die Libellenkinderstube. Nach dem Abfischen der Teiche im Herbst macht er sich nochmals auf die Suche nach Larven-Spuren. Bis zu 2 000 solcher Insektenpuppen sammelt und bestimmt er an solchen Tagen. Danach setzt er die Tiere in einem Teich aus, der nicht abgelassen wird, damit sie über den Winter kommen.

Schillernde Damen geizen nicht mit Reizen

Sein nächster Stopp an diesem Morgen gemeinsam mit Marcel Kackrow ist der Truhenteich. Er liegt nur wenige Schritte von der Spree entfernt. Wunderbar spiegelt sich die Sonne im Nass. Wieder kommt das Insektennetz mit. Froschbiss und Pfeilkraut schwimmen krautig auf dem Wasser. Wasserläufer huschen mit ihren sechs Beinchen ohne unterzugehen über das Nass. Statt Erdkröten strampeln sich Mini-Moorfrösche aus dem Wasser. Darüber stürzen zwei Vierflecklibellen durch die Luft. Für einen Moment berühren sie sich dabei.

Herbert Schnabel kommentiert den „Quickie“ in der Luft. „Das war die Paarung. Die Männchen passen mit den Weibchen wie Schloss und Schlüssel zusammen. Bei den Vielflecklibellen dauert sie nur einige Sekunden“, sagt er. Auf diesen wenigen Quadratmetern treffen nun Liebe, Eifersucht und Buhlerei aufeinander. Eine Große Königslibelle lässt auf einem Schwimmblatt ihre unzähligen Augen kreisen. Schillernde Damen geizen nicht mit Reizen. In diesem Moment stürzt ein Nebenbuhler heran. Ohne Zaudern steigt der majestätische Libellenmacho nach oben und verteidigt sein Revier.

Aus gutem Grund, sagt der Experte. Schließlich sind die fliegenden Libellen fast schon an ihrem Lebensende angelangt. Deshalb verfolgen sie nur ein Ziel – die Paarung, um den Zyklus des Lebens neu zu starten. Ein geschlechtsreifes Libellenweibchen begnügt sich aus diesem Grund auch nicht nur mit einem Mann. „Nach der Begattung legt die Libelle sofort die Eier ab und paart sich gleich mit dem nächsten Männchen – mehrfach hintereinander“, sagt der Naturparkranger. In seinem Netz hat er nun eine Binsenjungfer gefangen.

Fast zärtlich pult Herbert Schnabel das zerbrechlich wirkende Insekt aus dem Netz. „Vergangene Woche habe ich von ihnen noch keine Exemplare gesehen. Sie müssen also in jüngster Zeit geschlüpft sein. Viele Arten sind in diesem Jahr aufgrund des zeitigen Sommers zwei, drei Wochen zu früh“, sagt er – und Schwups ist der Minisegler wieder über dem Wasser verschwunden.

Bei einem weiteren Fang landet im Insektenkescher eine Keilfleckmosaikjungfer. Vorsichtig klappt der Biosphärenreservatsmitarbeiter ihre Flügel aufeinander und klemmt sich die Lupe ins Auge. Ganz deutlich ist der namensgebende gelbe Keil auf dem Hinterleib zu sehen. Noch faszinierender aber sind die riesigen grün-leuchtenden Facettenaugen. Bei einigen Arten bestehen sie aus bis zu 30 000 Einzelaugen. Auch jener kleiner Segler reiht sich wieder leicht über dem Wasser in die Brautschau ein. Allein über den Truhenteich buhlen ein knappes Dutzend verschiedene Libellenarten um die Gunst des anderen Geschlechts, darunter auch die knallrote Feuerlibelle.

Einwanderer aus Südeuropa

Jene Wasserjungfer ist ein Einwanderer aus Südeuropa, weiß Herbert Schnabel. Seine Beobachtung – Monitoring sagen die Experten – haben einen ernsten Hintergrund. „Wir wollen wissen, was in den Teichen drin ist und wie sich die Libellen vermehren“, sagt er. Auch für Marcel Kackrow ist die Erfassung von Bedeutung. Schließlich kann es sein, dass er für bestimmte Arten sein Teichmanagement umstellen muss. Für solche Fälle gibt es teilweise Förderprogramme. Auch so bleiben Ranger und Fischwirt immer im Gespräch.

Insgesamt betreut Herbert Schnabel 10 000 Hektar im westlichen Biosphärenreservat.

„Die Vielfalt der Pflanzen- und Tierwelt hängt eng mit der Bewirtschaftung der Teiche zusammen. Jetzt geht es darum, die Artenvielfalt zu erhalten“, sagt der Reservatsmitarbeiter. Dann packt er seinen Kescher ein und verabschiedet sich. Kommende Woche wird er wieder nach den Libellen Ausschau halten.