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Buchmesse in Leipzig abgesagt: Späte Entscheidung

Die Leipziger Buchmesse ist abgesagt – ein schwerer Verlust für die Branche, die um jedes Gramm Aufmerksamkeit kämpft.

Von Karin Großmann
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Leser, Autoren, Buchhändler und Verlagsleute schieben sich jedes Jahr im dichten Pulk durch die Leipziger Buchmesse – die nächste ist verlegt auf März 2021.
Leser, Autoren, Buchhändler und Verlagsleute schieben sich jedes Jahr im dichten Pulk durch die Leipziger Buchmesse – die nächste ist verlegt auf März 2021. © PICTURE POINT

Es ist sehr schade, aber verständlich. So kommentiert Sebastian Wolter vom Dresdner Verlag Voland & Quist die Absage der Leipziger Buchmesse. Der größte deutsche Branchentreff des Frühjahrs sollte am Abend des 11. März eröffnet werden mit 2.800 Ausstellern und mit Mitwirkenden aus 51 Ländern. 

Wie in den Vorjahren war mit fast 300.000 Besuchern zu rechnen. Solche Erfolgszahlen sehen angesichts der Coronavirus-Infektion eher wie ein Albtraum aus. Wer je die dicht gedrängte Menschenmenge in den Messehallen erlebte, fragt sich sowieso, warum die Zuständigen nicht längst auf Stopp drückten. Noch am Montag wurden wacker Einladungen verschickt, ungeachtet der Warnungen von Virologen und der Absagen anderer Großveranstaltungen.

Am Dienstagmittag wurde nun offiziell mitgeteilt, dass die Leipziger Buchmesse in diesem Jahr nicht stattfindet. „Die Entscheidung wurde auf Grundlage der Empfehlung der zuständigen Fachbehörden getroffen“, so der frisch gewählte Oberbürgermeister Burkhard Jung. „Die Gesundheit unserer Bürger und der Stadt steht für uns an erster Stelle.“

Umsatz in der Buchbranche stagniert

Das Leipziger Gesundheitsamt hatte dringend empfohlen, das Prinzip der Rückverfolgung von möglichen Kontaktpersonen durchzusetzen. Danach hätte jeder Messeteilnehmer schriftlich belegen müssen, nicht aus definierten Risikogebieten zu stammen oder Kontakt zu Personen aus Risikogebieten gehabt zu haben. Das ist an sich schwer zu leisten und bei dieser großen Gästezahl gar nicht. „Angesichts der aktuellen Situation schätzen wir im Einklang mit der Stadt Leipzig das Risiko für die Gesundheit unserer Aussteller, Besucher, Gäste und Mitarbeiter bei der Leipziger Buchmesse als zu groß ein“, so begründet Martin Buhl-Wagner die Absage, Geschäftsführer der Leipziger Messe.

Dabei hätte die Buchbranche jede Aufmerksamkeit gebraucht. Der Umsatz stagniert, die Leserzahl sinkt, die Verlage verkleinern die Auflagen. In dieser Situation ist eine Werbeveranstaltung wie die Messe eine wunderbare Gelegenheit, Schriftsteller mit ihren neuen Büchern ins richtige Licht zu rücken. „Nun werden ein paar tausend Kontakte für unsere Autoren fehlen“, sagt Verleger Sebastian Wolter von Voland & Quist. Er hat unter anderem die Dichterin Nora Gomringer mit einem neuen Lyrikband im Programm, die kroatische Schriftstellerin Ivana Sajko mit einem Familienroman und die Österreicherin Anna Herzig mit einer turbulent-traurigen Liebesgeschichte. 

Wie immer sollte Voland & Quist an jener Insel stehen, um die sich die kleineren, kreativen, konzernunabhängigen Verlage versammeln. Es ist eine seltene Gelegenheit, miteinander über die Lage in den Lüften zu reden, über Fördermittel, Preise, Grenzüberschreitungen. Voland & Quist will im Herbst mit einem eigenen Kooperationsprojekt in den englischsprachigen Markt aufbrechen.

Nun fallen vereinbarte Interviewtermine aus, Verhandlungen mit Literaturagenten und Lizenznehmern werden verschoben. Und auch die Gespräche mit interessierten Lesern finden nicht statt – mit der Messe wurde das Fest „Leipzig liest“ mit seinen 3.700 Veranstaltungen an 500 Orten abgesagt.

Alles war bestens vorbereitet

Dabei war alles bestens vorbereitet. „Wir haben für unsere Autoren und Mitarbeiter die Hotels gebucht und die Zugplätze reserviert, haben Prospekte drucken lassen – das sind Kosten im mittleren vierstelligen Bereich, auf denen wir nun wohl sitzen bleiben“, sagt Sebastian Wolter. Sein Haus hatte sich gerade leicht erholt nach der Insolvenz des Buchlogistikers KNV. Sie hatte ein Loch von 60.000 Euro in die Verlagskasse gerissen. Das hätte der Buchverkauf etwas ausgleichen können: Zum ersten Mal durften die Verlage ihre Neuerscheinungen selbst am Messestand verkaufen. Das hätte auch die Leser gefreut. Aber: „Gesundheit und Sicherheit gehen in diesem Fall ganz klar vor“, wie es in einer Verlautbarung des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer heißt.

Auch Buchmessedirektor Oliver Zille bedauert die Absage sehr: „Solch eine schwere Entscheidung mussten wir in den letzten sieben Jahrzehnten der Leipziger Buchmesse noch nie treffen. Sie ist bitter für uns und für die gesamte Buchbranche.“

Allerdings hat gerade diese Branche Glück im Unglück. Sie steht für Produkte, die ohne Veranstaltungsrummel nutzbar sind. Ein Rückzug mit Büchern ist jederzeit möglich. Die Verlage werden sich schnell auf die neue Situation einstellen und Expertenratgeber drucken. In den Buchhandlungen soll es Nachfragen nach Lektüre über die Spanische Grippe geben, an der zwischen 1918 und 1920 mindestens 25 Millionen Menschen starben. Für Panikmacher und Freunde des schwarzen Humors empfiehlt sich ein Roman aus dem Frühjahrsprogramm von Voland & Quist: „In diesem Buch stirbt jeder“.