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Chef-Nachwuchs gesucht

Laut IHK erreichen enorm viele Firmenchefs das Rentenalter. Die meisten schieben die Nachfolgefrage aber zu lange vor sich her oder haben per se schlechte Karten.

Von Anja Beutler
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Hans-Werner Kastner hat das Therapiezentrum in Löbau über viele Jahre mit Erfolg aufgebaut. Die Geschäfte hat zum Jahresbeginn nun seine einstige Mitarbeiterin Cindy Dreßler übernommen.
Hans-Werner Kastner hat das Therapiezentrum in Löbau über viele Jahre mit Erfolg aufgebaut. Die Geschäfte hat zum Jahresbeginn nun seine einstige Mitarbeiterin Cindy Dreßler übernommen. © Archivfoto: Rafael Sampedro

Das neue Jahr startet in Löbau mit einem Wechsel auf dem Chefsessel im Therapiezentrum. Die Einrichtung, die von Rückenschule über Massagen bis zu medizinischem Sport allerhand zu bieten hat, arbeitet nun unter einer Chefin. Hans-Werner Kastner, der das Therapiezentrum aufgebaut und zum Erfolg geführt hat, legt die Geschäftsführung nun in die Hände seiner bisherigen Mitarbeiterin Cindy Dreßler. Er selbst bleibt dem Unternehmen als Mitarbeiter aber noch erhalten.

Die Firma erfolgreich in die Zukunft zu entlassen, ist etwas, dass sich viele Unternehmer im Landkreis derzeit wünschen. "Der Druck wächst", weiß Matthias Schwarzbach, Leiter der IHK-Niederlassung in Zittau. Seit Jahren schon bemüht sich die Industrie- und Handelskammer deshalb, die Unternehmer zu sensibilisieren, damit sie sich rechtzeitig um die Zukunft Gedanken machen. Denn je nach Größe der Firma und Branche können schon einmal fünf Jahre ins Land gehen, bis eine Nachfolge-Lösung gefunden ist.

Dass dringend Handlungsbedarf besteht, zeigen auch die Zahlen der IHK: Von den rund 12.400 Unternehmen im Kammerbezirk Görlitz sind bei knapp 3.400 die Chefs älter als 58 Jahre. Das ist ein Alter, in dem man mit der Vorbereitung auf eine Geschäftsübergabe oder einen Verkauf beginnen sollte. "Das heißt, das bei einem Viertel der Unternehmen diese Entscheidungen jetzt anstehen", rechnet Grit Fischer, die sich bei der IHK Dresden intensiv mit diesem Thema befasst, vor. Im Kreis Görlitz erwartet sie bei rund 900 Unternehmen, dass sie direkt in den nächsten Jahren eine Nachfolgelösung finden müssen. Firmen in den Branchen Dienstleistung, Handel und Gastronomie sind dabei besonders stark betroffen und haben es auch in vielen Fällen schwer, zu einem Happy End zu kommen.

Die Chancen auf Erfolg sind aus verschiedenen Gründen sehr unterschiedlich: "Das hängt stark von der Branche und den konkreten Bedingungen ab", betonten sowohl Schwarzbach als auch seine Kollegin Fischer. Eine IHK-Befragung zur Unternehmensnachfolge der IHK Dresden von 2017 zeigt, wo die Probleme liegen: Bei Firmen aus Dienstleistung und Handel, wo besonders viele Übergaben anstehen, haben 72 Prozent der Befragten noch keine konkrete Nachfolgeregelung getroffen. 27 Prozent planen eine Weitergabe in der Familie und 48 Prozent sind noch unschlüssig, ob eine Schenkung, Vererben oder Verkauf die richtige Lösung ist. Ein Fünftel der infrage kommenden Unternehmer plant sogar, die Türen der Firma zu schließen.

Grüne, dass niemand die Nachfolge antreten will, gibt es viele: Keine eigene Immobilie für die Firma, viel Konkurrenz vor Ort oder eben generell zu schlechte Nachfrage nach dem Produkt oder der Dienstleistung sind Hemmnisse, die man schwer überbrücken kann. Und natürlich spielen Umsatz und Gewinn eine Rolle: "Wenn das Erwirtschaftete in einem kleinen Unternehmen gerade so reicht, um die Versicherungsleistungen zu bezahlen, sonst aber nichts mehr bleibt, stehen die Aussichten schlecht", weiß Matthias Schwarzbach. Ohnehin habe die Bereitschaft der jungen Leute, sich selbst in einem gewissen Maße auszubeuten, abgenommen. "Die Work-Life-Balance ist wichtiger geworden und als Angestellter muss man nicht so viel Verantwortung übernehmen", analysiert Schwarzbach die derzeitige Arbeitsmarktsituation. Gerade bei Einzelunternehmen, die keine Mitarbeiter beschäftigen - im Kammerbezirk Görlitz sind das rund 900 der knapp 3.400 von einer Übergabe betroffenen Firmen - ist persönliche Einsatzbereitschaft aber nach wie vor gefragt.

Vor einem weiteren Trugschluss warnt Matthias Schwarzbach zudem: Übernahmen durch Familienangehörige müssen nicht zwangsweise einfacher sein: "Da sind viele Emotionen im Spiel und man muss auch vor den Kindern die Bücher öffnen. Spätestens dann, wenn auch ein fähiger Mitarbeiter den Wechsel in den Chefsessels ablehnt und die Suche nach einem externen Kandidaten nötig wird, sollte der Unternehmer sich rechtzeitig umschauen. Die Frage nach dem Startkapital für den neuen Chef lässt sich nach Angaben von IHK und Bürgschaftsbank Sachsen durchaus klären. Die Bürgschaftsbank, die besonders günstige Konditionen für solche Firmenübernahmen hat, macht vieles möglich. Geld sei vorhanden, das sei nicht das Problem, wenn ein Übernahmekandidat mit einer Idee zur Beratung komme, betonte Nils-Christian Giese, Regionalleiter der Bürgschaftsbank Sachsen, vor einem Dreivierteljahr im Rahmen einer IHK-Veranstaltung. "Da klemmt es manchmal eher noch bei den Hausbanken", erzählt auch Matthias Schwarzbach aus Erfahrung.

Welche Unternehmen besonders attraktiv sind, lässt sich nicht pauschal sagen. So sieht der Zittauer IHK-Chef künftig durchaus dunklere Wolken über der Autoindustrie aufziehen: Derzeit brummende Zulieferbetriebe, die jetzt für die Motorenfertigung Teile fertigten, könnten beim Umschwung auf Elektroautos Probleme bekommen. Auch bei Autohäusern, die derzeit noch viel Geld mit Wartung und Reparaturen verdienen, könnte sich die Lage in den kommenden Jahrzehnten ändern, denn die E-Mobilität ist wesentlich weniger wartungsintensiv. 

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