Corona: Darf ich noch Erste Hilfe leisten?

Angesichts des Umstandes, dass die Menschen wegen der Corona-Pandemie allzu viel körperliche Nähe vermeiden sollen, sah sich Sächsische.de-Leser Lothar Hein mit folgender Frage konfrontiert: Wenn ich zufällig zu einem Unfall komme, was tue ich dann sachgerecht? Hein ist 77 Jahre alt und gehört damit zur Corona-Risikogruppe.
Soll er nun helfen und sich im Zweifel das Virus einfangen? Oder soll er lieber Abstand halten und versuchen, anderweitig Hilfe zu mobilisieren? Sein Dilemma in einer derartigen Situation formuliert er etwas überspitzt: "Entweder sterbe ich, wenn ich Pech habe, durch Corona, oder der Schwerverletzte wegen Corona, weil ich aus Vorsorge oder Angst Abstand gehalten habe."
Sächsische.de hat nun bei Roy-Udo Heim nachgefragt, wie man sich in solchen Situationen verhalten soll. Heim ist Bereichsleiter Bildung und Fachreferent Erste Hilfe im Regionalverband Dresden der Johanniter-Unfall-Hilfe.
Herr Heim, darf/muss ich trotz der Corona-Pandemie an einem Unfallort bei einem Verletzten Erste Hilfe leisten?
Grundsätzlich sollte auch in Zeiten von Corona aus Gründen der Solidarität Erste Hilfe geleistet werden. In der aktuellen Situation gilt es jetzt gegebenenfalls zusätzlich abzuwägen, welches Risiko stärker wirkt. Ist der Unfall so schwer, dass der Verletzte in kürzester Zeit versterben könnte? Dann sollte man unverzüglich handeln. Sollte der Verletzte tatsächlich Corona gehabt haben, geht der Helfer danach zwar für 14 Tage in Quarantäne, hat aber einem Menschen das Leben gerettet.
Wie aber sollen sich Risikogruppen, beispielsweise ältere Menschen, verhalten? Dürfen sie sich etwas zurücknehmen?
Wer zur Corona-Risikogruppe zählt, darf sich bei der Ersten Hilfe etwas zurücknehmen, das ist in Ordnung. Aber dann sollte derjenige zumindest selbst einen Notruf absetzen und andere ermuntern, zu helfen.
Sollte man jetzt mehr denn je auf den Eigenschutz achten?
Wie auch außerhalb der Corona-Pandemie gilt auch jetzt, stets auf den Eigenschutz zu achten. Ersthelfer sollten die Unfallstelle absichern und sich Gummihandschuhe anziehen. Gummihandschuhe gehören zur Standard-Ausstattung in jedem Erste-Hilfe-Kasten. Wer einen Mundschutz zur Hand hat, kann sowohl dem Verletzten einen geben und sich selbst einen aufsetzen. Nach der Hilfeleistung ist es ratsam, sich sofort die Hände zu waschen und zu desinfizieren. Der Rettungsdienst wird sicherlich etwas vom Desinfektionsmittel abgeben. So minimiert man die Ansteckungsgefahr wirkungsvoll.

Im Zweifel müssen Schwerverletzte wiederbelebt werden, mit Herzdruckmassage und/oder Beatmung. Sollte man das trotz der Ansteckungsgefahr tun?
Im Rahmen des Eigenschutzes ist es möglich, auf die Beatmung zu verzichten. In diesem Fall sollte der Helfer einen Notruf absetzen und im Anschluss ausschließlich die Herzdruckmassage ununterbrochen durchführen. Statistisch gesehen kommen Ersthelfer jedoch seltener gänzlich fremden Personen zu Hilfe. Deutlich wahrscheinlicher ist die Hilfe innerhalb der Familie, auf Arbeit oder in der Hausgemeinschaft. Gerade in der Familie sollte sich eine Beatmung sicher nicht als Problem darstellen. Aber auch hier gilt generell: Jeder sollte für sich das Risiko persönlich abwägen.
Bei der Ersten Hilfe am Unfallort kommt der Ersthelfer unter Umständen auch mit Körperflüssigkeiten in Kontakt. Schützt man sich da jetzt anders als sonst?
Auch jetzt gilt, wie auch generell bei Erster Hilfe: Eigenschutz beachten. Ersthelfer sollten Handschuhe anziehen, bedacht handeln und im Anschluss Hände waschen und desinfizieren. Ist die Kleidung mit betroffen, sollte man diese zeitnah wechseln und waschen, der Ersthelfer sollte zudem möglichst rasch duschen gehen.
Wer keine Erste Hilfe leistet, macht sich unter Umständen einer unterlassenen Hilfeleistung strafbar. Gibt es Auswege aus diesem Dilemma, vor allem jetzt unter den besonderen Umständen?
Bereits vor Corona galt, dass der Eigenschutz immer vorgeht. Ist die eigene Sicherheit nicht zu gewährleisten, sollte in jedem Fall ein Notruf abgesetzt werden. Je nach Situation kann mit einem angemessenen Sicherheitsabstand geholfen und so die Sicherheit für den Ersthelfer gewährleistet werden. Dies muss jedoch von Fall zu Fall entschieden werden. Helfen sollte man auf alle Fälle, mehr ist immer besser.
Kann der Ersthelfer überhaupt selbst eine Güterabwägung treffen, nach dem Prinzip: Wenn ich helfe, stecke ich mich vielleicht mit Corona an, helfe ich nicht, stirbt im Zweifel der Verletzte?
Diese Güterabwägung musste der Ersthelfer schon immer treffen. Ist meine eigene Sicherheit gewährleistet? Was bin ich bereit zu leisten? Wie weit gehe ich mit meinen Tätigkeiten? Genau diese Fragen müssen sich Ersthelfer auch jetzt stellen und und je nach Situation für sich beantworten. Wie gesagt, helfen sollte man immer.
Wie kann man Menschen ermutigen, auch derzeit weiterhin Erste Hilfe zu leisten?
Um darauf zu antworten, würde ich die Frage gern einmal andersherum stellen: Würden Sie sich wünschen, dass Ihnen geholfen wird, wenn Sie in einer Notlage oder in einen Unfall verwickelt sind und selbst nichts tun können? Ich denke, jeder würde diese Frage mit "Ja" beantworten. Ich denke, bei der Erste-Hilfe-Leistung handelt es sich ein stückweit um einen Solidaritätspakt, den jeder einzelne geschlossen hat.
Bieten die Johanniter derzeit noch Erste-Hilfe-Kurse an?
Nein, bis zum 30. April wurden alle Kurse vorerst abgesagt.
Tipps zur Ersten Hilfe finden Sie auf der Serviceseite der Johanniter.
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